Elke Schwab
Ein ganz klarer Fall
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Inhaltsverzeichnis
Titel Elke Schwab Ein ganz klarer Fall Dieses ebook wurde erstellt bei
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Impressum neobooks
Ein ganz klarer Fall
vonElke Schwab
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
© Elke Schwab, 2017
www.elkeschwab.de
Covergestaltung: Elke Schwab
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Es war noch dunkel, als Johann sich aus dem warmen, verlockenden Bett heraus quälte. Was ihn veranlasste, zu dieser unchristlichen Zeit aufzustehen, war seine neben ihm leise schnarchende Frau.
Ahnungslos hatte sie ihn darauf gestoßen, wie unförmig er geworden war. Doch der Gedanke, sie könnte ihn durch seine völlig aus der Form geratene Figur verlassen und sich einem anderen Mann zuwenden, genügte, seine Energie anzuspornen und seinen inneren Schweinehund einfach zu ignorieren. Schwerfällig stieg er in seine Shorts, die ihn noch lächerlicher aussehen ließen, und in seine Joggingschuhe. Mit einem letzten wehmütigen Blick auf seine hübsche, junge Frau verließ er das Schlafzimmer und das Haus.
Es war ein schwüler Morgen, der alle Lebensgeister drohte, wieder schwinden zu lassen. Aber er hatte ein Ziel vor Augen und das war das einzige, das ihn an seinem Entschluss festhielt. Sich selbst Tatenfreude vortäuschend lief er los, wobei er noch einen letzten Blick auf die Uhr warf. Es war in der Tat erst zehn vor fünf, der Tag begann erst zu erwachen.
Schwermütig lief er durch die noch völlig ruhige Straße. In einigen Stunden wird dort reger Verkehr herrschen und nichts mehr an diese Atmosphäre erinnern. Er bog ab in den Waldweg, der auf den Burbacher Weiher zuführte. Dort hatte er schon manche ruhige Stunde mit seiner Frau verbracht, bei gutem Essen und gutem Wein. Dieser Gedanke brachte seinen Entschluss tatsächlich ins Wanken und krampfhaft bemühte er sich, an andere Dinge zu denken. Aufmerksam richtete er seine Augen auf den noch in der Dunkelheit liegenden Weg, um zu vermeiden, über zu stolpern, als er plötzlich glaubte, etwas Rotes gesehen zu haben. Verwirrt schüttelte er seinen Kopf und verwarf den Gedanken wieder. Im Wald gab es nichts, was rot leuchtete. Und trotzdem erkannte er es wieder: es war eindeutig rot und passte nicht hierher. Neugierig geworden kam er von seiner üblichen Route ab und steuerte das rote Etwas an. Als er immer näher kam, erkannte er, dass dort im Wald völlig verlassen ein rotes Auto stand, dessen Fahrertür und Beifahrertür weit geöffnet waren.
Erschrocken blieb er stehen und lauschte, aber er konnte keinen Mucks hören. Alles war still, bis auf wenige Vögel, die bereits erwacht waren und den neuen Tag mit ihrem Gezwitscher ankündigten.
Sein Herz begann zu schlagen, auch sein Atem wurde heftiger, obwohl er noch keinerlei Anstrengung hinter sich hatte. Was störte ihn so an dem Anblick dieses Autos?
Zögernd näherte er sich, wobei er feststellen musste, dass dieses Fahrzeug weit vom ursprünglichen Weg abgekommen war, so als habe der Fahrer die Abgeschiedenheit gesucht. Als er kurz davor stand, erkannte er endlich, warum die Türen offenstanden. Er glaubte fast, der Schlag müsste ihn treffen. So etwas hatte er nicht erwartet. Taumelnd vor Entsetzen wich er einige Schritte zurück und fiel plumpsend auf sein Hinterteil, das schlagartig durchnässt war. Ruckartig erhob er sich, wandte sich von diesem Anblick ab und rannte in Bestzeit den Weg zurück, den er gekommen war. Sein Atem ging heftig aber der Schrecken, den dieser Anblick in ihm verursacht hatte, ließ es einfach nicht zu, müde zu werden. In kürzester Zeit, die ihn bereits an die Olympiaklasse erinnerte, erreichte er sein Haus, sperrte unter Zittern die Haustür auf und eroberte das Telefon.
Knapp eine halbe Stunde später schritt Kullmann im frühmorgendlichen Nebel auf dieser Lichtung auf und ab. Die Spurensicherung war gleichzeitig mit ihm eingetroffen und hinterließ den Eindruck von Ameisen, die unentwegt in Bewegung waren und wie mechanisch ihre Arbeit machten.
Den Blick hatte er schon lange vom Tatort abgewendet. Viel zu oft war er in seiner langen Dienstzeit mit den Grausamkeiten des Lebens konfrontiert worden. Bilder, die sich langsam in sein Gemüt schlichen, die ihn zermürbten, ihn nachts nicht mehr schlafen ließen. Anblicke, die ihm in Stunden, die er allein war, den Schweiß ins Gesicht trieben. Wie viele Jahre seines Lebens verbrachte er schon damit, grausame Taten aufzuklären, Menschen das Handwerk zu legen, junge Menschen hinter Gitter zu bringen und ihnen somit jeden Lebensweg zu versperren. Wie viele junge Menschen sah er vor sich liegen. Tot, verstümmelt, misshandelt. Menschen, deren Schicksal mit einem Schlag gewaltsam beendet worden war.
Was war nur in die Menschheit gefahren, dass so viele grausame Dinge geschahen? Ein Menschenleben galt heutzutage nichts mehr, denn die Zahl der Opfer wurde immer größer, die Zeiten wurden immer schlechter. Da schritt er nun auf und ab. Das Haar schon licht und grau, tiefe Falten im Gesicht, die seinen tiefen Schmerz verrieten und für seine 58 Jahre schon arg vom Leben gezeichnet.
Er wirkte einfach alt und ausgelaugt. In seinen 30 Dienstjahren hatte er zu viel Leid und Elend gesehen, wovon er immer ein Stückchen in seinem Innersten mitgetragen hatte. Diese Spuren waren nicht zu übersehen.
»Norbert«, hörte er seinen jungen Kollegen rufen, mit dem er bereits seit fünf Jahren zusammenarbeitete, und dessen Temperament ihn immer wieder verwunderte und verärgerte; ja ihn sogar wütend machte. Wütend darüber, dass er selbst so ohnmächtig war, es nicht zügeln zu können. Andreas Hübner war vor einiger Zeit zum Kommissar befördert worden, was er nur seinem besonderen Ehrgeiz verdankte. Ein Ehrgeiz, der jeden menschlichen Zug in den Schatten stellte. Oft schon hatte er versucht, ihm aufgrund seiner langjährigen Erfahrungen klarzumachen, dass beruflicher Erfolg und nüchterne Ermittlungen nicht alles im Leben waren. Es waren immer noch Menschen, über die ermittelt, geurteilt und gerichtet wurde. Aber das übersah sein Kollege, was wohl auch seiner jugendlichen Unerfahrenheit und seinem Temperament zugeschrieben werden konnte. Aber er würde nie damit aufhören, ihn zu mäßigen und zu belehren. Es war das einzige, was er tun konnte.
Nur so konnte er guten Gewissens sein, alles getan zu haben, um vielleicht voreilige Handlungen zu vermeiden. Er wandte seinen Blick dem jungen Kollegen zu, der mit großen Schritten auf ihn zukam. Hübner war ein gutaussehender junger Mann, mit blondem Haar, braungebrannt und athletischem Körper, was Norbert Kullmann ihm zugestehen musste. Er war eher klein und gedrungen, sein Haar war bereits schon in jungen Jahren silbrig grau, wodurch er schon immer älter aussah. Verärgert musste er mit ansehen, wie Hübner auf die Frauen wirkte, wie die Frauen sich bemühten, seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. In solchen Situationen war er niemals gewesen. Bisher hatte er sein Leben allein bestreiten müssen. Mit Frauen hatte er wenig Erfahrung. Ob es nun gut war oder nicht vermochte er nicht zu beurteilen, weil er es nicht anders kannte. Aber wenn er überlegte, mit welchen Schwierigkeiten und Eheproblemen seine Kollegen oftmals zu ihm kamen und ihm ihr Herz ausschütteten, war es vielleicht nicht der schlechteste Weg.
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