1 ...8 9 10 12 13 14 ...18 Cindy wusste nicht, von wem der Mann sprach. Also reagierte sie gar nicht auf die Frage.
„Und ich bin Danielas Vater Günter.“
Er schaute sie an, als müsste es jetzt bei ihr klingeln. Tat es aber nicht.
„Ich habe meine Tochter seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen.“
Cindy lief es eiskalt den Rücken hinunter.
Plötzlich tauchte Bode vor den beiden auf und murrte: „Ich beobachte Sie jetzt lange genug. Da ich nicht dulde, dass meine Gäste belästigt werden, dürfen Sie das Lokal verlassen. Das Bier geht aufs Haus.“
Der Mann schaute erschrocken auf. Hilflos sah sein Blick aus und gehetzt. Aber auf keinen Fall gefährlich. Resigniert legte er einen Schein auf die Theke und sagte zum Abschied: „Ich belästige niemanden und falle keinem zur Last.“
Dann ging er und hinterließ in Cindy noch größeres Unbehagen.
„Wenn du willst, kannst du heute Nacht bei mir schlafen“, schlug Bode vor, als er Cindys blasses Gesicht sah.
„Wie komme ich zu der Ehre?“
„Väterliche Gefühle vielleicht.“ Gerd verzog sein unrasiertes Gesicht zu einer Grimasse, was ein Grinsen sein sollte. „Ich mache mir Sorgen um dich. Die Zeitungsartikel haben dir zu viel Aufmerksamkeit eingebracht.“
♦
„Ewig lockt das Weib!“
So lautete die Überschrift auf Seite 1 der Tageszeitung.
Britta hatte es nicht kommen sehen. Blind war sie am nächsten Morgen ins Büro gelaufen, um dort sofort von hämischen Blicken aufgespießt zu werden. Erst als Norbert Böker ihr ein Exemplar der aktuellen Zeitung vorlegte, verstand sie. Ein großes Bild in Farbe prangte ihr entgegen. Darauf waren Cindy Graf und Andrea Gerlach, die Witwe des Ermordeten zu sehen. Die Gesten der beiden Frauen ließen keinen Zweifel daran, dass sie sich stritten.
Britta kochte innerlich. Cindy hatte ihr kein Wort davon gesagt – war letzte Nacht einfach nicht nach Hause gekommen. Welches Spiel trieb ihre Freundin? Wollte sie mit allen Mitteln erreichen, dass Britta ihren Job verlor?
„Aus Bad Girls werden Desperate Housewives “, ging der Text weiter.
Und es wurde noch schlimmer: „Cindy Grafs erster Gang nach ihrem Besuch bei der Polizei galt der trauernden Witwe des gerade erst ermordeten Thomas Gerlach. Doch dieser Besuch sollte kein Kondolenzbesuch sein, wie sich schnell herausstellte. Die beiden Frauen stritten sich in aller Öffentlichkeit. Spielt sich hier nur ein Eifersuchtsdrama ab? Oder liegt der Hass dieser beiden Frauen tiefer verwurzelt, nämlich in der Vergangenheit?“
Daraufhin folgte ein ausführlicher Artikel über den Mord an Ernst Gerlach, wobei der Artikel keinen Zweifel daran ließ, dass Cindy Graf nicht nur das Opfer Thomas Gerlach gekannt hatte, sondern auch dessen Vater.
Britta spürte, wie ihr beim Lesen schlecht wurde. „PP“ stand unter dem Bericht. Der Name dazu lautete: Pietro Pardi. Dieser Reporter hatte ihr und Cindy in der Mordnacht aufgelauert. Sie kannte ihn, wusste, dass er nicht eher lockerließ, bis er hatte, was er wollte.
Nachdem sie den Bericht inzwischen schon zum dritten Mal las, beschlich sie die böse Vorahnung, dass Pietro Pardi etwas wusste, was den Mord an Thomas Gerlach mit dem Mord an dessen Vater vor zwanzig Jahren in Verbindung brachte. Pietro Pardi war damals schon als Journalist tätig gewesen und hatte lange und ausführlich über den Mord an Ernst Gerlach berichtet.
Und nicht nur das.
Plötzlich fiel Britta etwas ein, was sie all die Jahre vergessen hatte: Pietro Pardi hatte Markus Gronski damals auf frischer Tat ertappt. Er hatte die Polizei gerufen und dafür gesorgt, dass Gronski ins Gefängnis kam. Also war er damals am Burbacher Weiher gewesen!
Ihr wurde schwindelig. Was wusste dieser Fuchs noch?
Sie stützte ihren Kopf in beide Hände, als sei er zu schwer geworden. Im gleichen Augenblick ertönte die gefürchtete Stimme ihres Chefs. Sie wurde aufgefordert, in sein Büro zu kommen. Britta hatte gehofft, der Dienstag würde besser beginnen als der Montag. Doch leider blieb der Wunsch der Vater des Gedankens. Lustlos folgte sie ihrem Chef.
Was sie sah, ließ sie zunächst erstaunen. Urban Wallbrod war rasiert, trug ein frisch gebügeltes Hemd und eine neue Hose. Es gelang ihm trotzdem nicht, zivilisiert auszusehen, denn seine roten Froschaugen hatten etwas Animalisches. Dafür roch er nach Rasierwasser, was es für Britta wesentlich erträglicher machte.
Was hatte diese Wandlung bewirkt?
Lange überlegen musste sie nicht, schon kam der Staatsanwalt Dr. Franz Rousselange herein. Er reichte Britta die Hand und sagte: „Sie werden verstehen, dass wir unsere Ermittlungen im Fall Thomas Gerlach auf Cindy Graf konzentrieren müssen.“
„Nein, das verstehe ich nicht“, gab Britta zur Antwort.
„In sogenanntem Fickstübchen wurde ebenfalls kein Arbeitsvertrag zwischen Cindy Graf und Thomas Gerlach gefunden.“
„Den kann jemand gestohlen oder vernichtet haben.“
„Jetzt geht mit Ihnen die Fantasie durch“, tadelte Rousselange.„Außerdem kommt noch Cindy Grafs verdächtiges Verhalten dazu. Sie ist nach ihrer Vernehmung umgehend zu Thomas Gerlachs Witwe gefahren und hat sich mit ihr gestritten. Dabei hat sie nicht bemerkt, dass sie von einem Zeitungsreporter beobachtet wurde.“
„Haben Sie sich das Foto in der Zeitung mal genauer angeschaut?“, erwiderte Britta.
Auf die verdutzten Gesichter der beiden Männer sprach sie weiter: „Andrea Gerlach ist eindeutig schwanger.“
„Das wissen wir. Das gibt der ganzen Sache noch mehr Dramatik“, antwortete Dr. Rousselange und rümpfte theatralisch seinen großen Zinken.
„Ja. Haben Sie noch nicht den Obduktionsbericht von Dr. Hilde Gesser gelesen?“, gab sie zurück.
„Doch. Aber, was hat das damit zu tun?“
„Das Kind kann nicht von Thomas Gerlach sein. Thomas Gerlach ist durch eine Operation zeugungsunfähig.“
Damit gelang es Britta endlich, die beiden Männer in Staunen zu versetzen.
„Andrea Gerlach ist im fünften Monat schwanger“, sprach Wallbrod, als er seine Stimme wiedergefunden hatte. „Wann hat diese Operation stattgefunden?“
Zum Glück erinnerte sich Britta an die Daten, die in dem Bericht standen. Sie zitierte: „Laut dem behandelnden Hausarzt von Thomas Gerlach hat er sich diesem Eingriff vor zwei Jahren unterzogen.“
Wallbrod schnaufte: „Jetzt wird es interessant. Wir müssen herausfinden, wer der Vater des Kindes ist.“ An Britta gewandt murrte Wallbrod: „Sie können gehen.“
♦
Der Anblick des weißhaarigen Mannes vor Brittas Schreibtisch ließ ihr Herz höher schlagen. Robert Bossi, der Leiter der Spurensicherung war höchstpersönlich vorbeigekommen, um das Ergebnis seiner Untersuchungen vorzutragen. Britta ahnte warum. Da störte sie noch nicht einmal die feuchte Kälte, die durch das Büro drang, weil das Fossil Martin Schelter wie üblich auf dem Sims des geöffneten Fensters saß und rauchte. Als Bossi sich umdrehte und ihr sein rundes Gesicht zuwandte, leuchteten seine Augen auf und sein breiter Mund verzog sich zu einem Lachen.
„Da steckst du ja“, rief er zur Begrüßung. „Ich habe mir schon Sorgen um dich gemacht.“
„Um mich brauchst du dir keine Sorgen zu machen“, erwiderte Britta, obwohl ihr bei seinen Worten ganz warm ums Herz wurde. „Unkraut vergeht nicht.“
„Aber du bist kein Unkraut“, rügte Bossi. „Also ist meine Sorge begründet. Seit du in der Zeitung erwähnt worden bist, habe ich mehrfach versucht, dich telefonisch zu erreichen. Wo treibst du dich immer herum?“
„Vermutlich da, wo mich Wallbrod hinschickt.“
„Wir haben Ergebnisse. Deshalb bin ich hier. Ich warte nur noch auf deinen Chef, dann berichte ich.“
Die Tür zu Wallbrods Büro ging auf. Der Dienststellenleiter trat auf die beiden zu, setzte sich auf Brittas Schreibtischkante und schaute den weißhaarigen Mann herausfordernd an.
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