„Gerichtshof.“
„Egal wie der Verein heißt. Durch den kommt Gronski wieder frei und wir haben den Ärger.“
„Ich wundere mich, dass Inge sich noch nicht gemeldet hat“, gestand Britta. „Immerhin war sie damals auch dabei.“
„Kannst du dich noch an ihren Bruder erinnern?“, fragte Cindy kichernd. „Der hat mich immer angehimmelt. Als ich ihn mal ansprechen wollte, ist er weggelaufen wie von der Tarantel gestochen.“
Britta erinnerte sich: „Dietmar Sander. Ein hübscher Mann. Er hatte die schönsten, schwarzen Haare, die ich jemals an einem Typen gesehen habe. Und so eine melodische Stimme. Klang total sanft. Und dann so schüchtern.“
Als sie einen Strauch passierten, der zwischen zwei dicht nebeneinander stehenden Häusern wucherte, rief Cindy: „Ich muss mal.“
„Das wirst du jetzt schön bleiben lassen. Das ist viel zu gefährlich.“
„Ach was. Schau dir den Busch mal an“, forderte Cindy auf. „Wir haben bereits Bekanntschaft gemacht. Er freut sich schon auf meinen Dünger.“
Schwupps, Cindy war im Gestrüpp verschwunden.
Britta blieb nichts anderes übrig, als zu warten. Nervös trippelte sie auf dem Bürgersteig hin und her, wobei sie darauf achten musste, mit ihren spitzen Absätzen nicht in einem Spalt im Kopfsteinpflaster stecken zu bleiben. Damit wären ihre teuren Schuhe ruiniert. Sie schaute sich um. Alles war menschenleer. Zum Glück. Als sie hörte, wie Cindy wieder aus der Hecke herausgeklettert kam, atmete sie erleichtert durch.
Arm in Arm schlenderten sie weiter. Der Weg bis zu Cindys Wohnung in der Bergstraße in Burbach war nicht mehr weit. Nur noch wenige Reihenhäuser, die diese stark befahrene Straße säumten, schon waren sie am Ziel.
Sie betraten das Haus.
Cindys Wohnung lag im Erdgeschoss. Ihre Wohnungstür war vom Eingang aus sofort zu sehen.
Sie stand offen.
„Das gefällt mir gar nicht“, murmelte Cindy.
Britta schob sie beiseite und meinte: „Lass mich zuerst reingehen. Wenn mir etwas Ungewöhnliches auffällt, rufe ich die Kollegen an.“
„Du bist genauso besoffen wie ich. Wie soll dir da was auffallen?“
Britta hörte nicht auf sie. Vorsichtig stieß sie die Tür auf, damit sie ins Innere sehen konnte. Alles lag in Chaos und Trümmern. Die ganze Wohnung war auf den Kopf gestellt worden.
Doch das war nicht das Schlimmste.
Inmitten dieses Chaos lag eine blutüberströmte Leiche.
Britta wollte nach hinten ausweichen, da erst bemerkte sie, dass Cindy ihr gefolgt war. Mit weit aufgerissenen Augen starrte die Freundin auf den Toten und begann zu würgen. Eilig rannte sie in die Wohnung hinein und auf die Toilette, wo sie sich übergab. Als sie mit bleicher Gesichtsfarbe und zitternden Knien zurückkam, schimpfte Britta: „Ich habe dir doch gesagt, du sollst warten. Jetzt kontaminierst du einen Tatort.“
„Tatort?“, kreischte Cindy los. „Ich wohne hier. Ich werde doch wohl noch in meiner Wohnung kotzen dürfen.“
„Aber nicht, wenn hier ein Verbrechen geschehen ist.“
Die beiden Frauen schauten wieder auf den toten Mann.
Er lag mit dem Gesicht nach unten. Eine große Blutlache hatte sich unter ihm gebildet. Blutspritzer bedeckten sämtliche Bücher, Ordner, Regale und Wände. Sogar bis zur Decke reichten sie.
„Oh mein Gott“, stöhnte Cindy laut los. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
„Was ist mit dir? Erkennst du den Mann?“
„Ja klar doch. Das ist Thomas, der Rechtsanwalt, bei dem ich am Montag antreten sollte.“
„Das darf doch nicht wahr sein“, jammerte Britta. „Jetzt hat es den Sohn des alten Gerlach zwanzig Jahre später ebenfalls erwischt. Das kann kein Zufall sein.“
„Natürlich nicht“, wimmerte Cindy. „Gronski wurde gestern entlassen. Und heute ist Thomas tot. Das ist kein Zufall.“
„Aber, was hatte Gronski mit Thomas zu tun?“, fragte Britta. „Thomas war damals noch Student, als das mit seinem Vater passiert ist.“
„Seit diesem Zeitungsbericht erinnere ich mich wieder ganz genau an alles“, antwortete Cindy. „Diese verdammte Sache mit Ernst Gerlach ist in den Semesterferien passiert. Thomas war zu dem Zeitpunkt zuhause.“
♦
Innerhalb kurzer Zeit herrschte in Cindys Wohnung Hochbetrieb. Die Tatortbereitschaft sicherte Spuren in sämtlichen Zimmern. Dafür liefen sie in astronautenähnlichen Schutzanzügen herum. Nur die Gesichter der Beamten waren zu erkennen. Polizeifotografen lichteten den Toten von allen Seiten ab. Ein Mediziner kniete über ihn gebeugt.
Cindy und Britta saßen am Küchentisch, der inzwischen freigegeben worden war, und warteten.
Plötzlich hörte Britta eine bekannte Stimme fragen: „Britta? Bist du das?“
Es war die Stimme ihres früheren Kollegen der Bereitschaftspolizei Udo Berg. Er stand im Türrahmen und warf ihr einen ganz erstaunten Blick zu. Seine schwarzen Haare kräuselten sich auf seiner Stirn, seine krumme Nase stach hervor, seine dunklen Augen funkelten.
Er sah wie immer umwerfend aus, dachte Britta. Ein seltsames Gefühl von Schwermut überkam sie. Warum hatte sie diese Abteilung verlassen? Um sich in der Abteilung für Tötungsdelikte schäbig behandeln zu lassen?
Udo war ihr immer ein besonders guter Kollege und ein echter Freund gewesen. In seiner Nähe hatte sie sich wohl gefühlt - sicher und mutig. Empfindungen, die sie nicht mehr erlebte, seit sie in der Abteilung des Cholerikers Urban Wallbrod arbeitete.
„Was tust du denn hier?“, fragte sie unwirsch zurück, um ihre Gefühle zu kaschieren. „Das ist ein Tötungsdelikt. Dafür ist die Bereitschaftspolizei nicht zuständig.“
„Wir sichern den Tatort ab. Als ich hörte ‚Polizistin in Not‘ war ich einfach nur neugierig. Wäre aber niemals darauf gekommen, dass es sich um dich handelt.“
Cindy stieß ihre Freundin in die Seite und fragte: „Wer ist das?“
„Das ist Udo Berg, mein Arbeitskollege aus der Zeit, als ich noch bei der Bereitschaftspolizei war.“
Sofort leuchteten Cindys Augen auf. Sie richtete ihren Blick auf den Beamten in Uniform und schnurrte: „Dann kannst du uns bestimmt helfen. Wir möchten nämlich nicht die ganze Nacht hier festsitzen.“
Udo lachte und antwortete ohne dabei Britta aus den Augen zu lassen: „So viele Befugnisse habe ich leider nicht. Ich muss wieder rausgehen, denn dort werde ich verlangt.
Kurz bevor er aus dem Türrahmen verschwand, wandte er sich noch einmal an Britta und sagte: „Wenn du Hilfe brauchst, weißt du, dass du jederzeit auf mich zählen kannst.“
„Danke, Udo.“ Britta lächelte schwach.
Als er aus ihrem Sichtfeld verschwunden war, meinte Cindy: „Warum hast du mir diesen aufregenden Mann die ganze Zeit verschwiegen?“
„Ich hielt es nicht für wichtig, mit dir über meine Arbeitskollegen zu reden.“
„Arbeitskollege. Dass ich nicht lache. Udo ist verliebt in dich - bis über beide Ohren.“
Britta spürte, wie ihr ganz heiß wurde.
„Hey. Du läufst ja rot an.“ Cindy grinste. „Ist doch keine Schande. Udo sieht klasse aus.“
„Ich trenne Berufliches und Privates. Was glaubst du, wie schnell man als Frau bei der Polizei in Verruf gerät, wenn herauskommt, dass man mit einem Kollegen schläft?“
„Blöder Verein“, konnte Cindy dazu nur feststellen.
Sie wurden abgelenkt. Sie spürten, dass die Stimmung im Wohnzimmer umschlug. Das geschäftige Gemurmel verstummte. Neugierig näherten sich die beiden der Tür zum benachbarten Raum, um zu schauen, was passiert war. Ein alter, knochiger, hagerer Mann stand inmitten der vielen Polizeibeamten. Sein Gesicht wirkte mürrisch, seine Augen blitzten böse, während er sich jeden einzelnen genau ansah.
„Der hat uns gerade noch gefehlt“, flüsterte Britta.
„Warum? Wer ist das?“
„Das ist Staatsanwalt Rousselange. Der war damals schon für den Fall Ernst Gerlach zuständig. Er hat Markus Gronski festnehmen lassen.“ Britta schnaubte. „Der wird sich an alles erinnern. Die Hoffnung auf eine schnelle Auflösung des Falles können wir damit vergessen.“
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