Mom wartete noch immer auf eine Antwort. Ihr wisst nicht, wer die Rebellen anführt? Was ist mit Mehalon und Lephine?
Ich weiß es nicht, Mom. Wenn sie etwas wissen, dann haben sie es erfolgreich verschwiegen. Vermutlich, um uns zu schützen.
Ein Schwindel erfasste Sams Gedanken und deutete an, dass die Verbindung nicht mehr allzu lange bestehen würde. Auch seiner Mutter war es nicht entgangen. Sie schloss Amy in die Arme und küsste ihre Stirn. Melde dich, Kind. Bitte, haltet uns auf dem Laufenden, ich werde wahnsinnig vor Sorge. Und grüße Malahan von uns. Er soll sich gut um dich kümmern, hörst du?
Das tut er, Mom, wirklich. Ich weiß gar nicht, was ich ohne ihn anfangen würde. Es ist kein einziger Tag vergangen, an dem ich bereut hätte, hier bei ihm zu sein!
Das ist gut. Ich denke, wir müssen nun. Sam? Seine Mutter nickte ihm zu, er zog Amy in seine Arme und verabschiedete sich.
Pass auf dich auf, Schwester! Und weck diese Penntüte da drinnen. So, wie du aussiehst, könntest du auch eine Ladung Schlaf vertragen.
Sicher. Und anstatt die ganzen Früchte für mich zu opfern, solltest du sie dir für Kriemhild aufsparen. Amy lachte und stieß ihn fort. Wenn seine Schwester doch nur gewusst hätte, wie sehr sie ihm fehlte. Ihr Lachen und ihre Ratschläge.
Das weiß ich, Sam , flüsterte sie. Du fehlst mir auch! Irgendwann sehen wir uns wieder und du glaubst nicht, wie sehr ich mich schon jetzt darauf freue!
Als er aufwachte, lehnte Mom an seiner Schulter. Sie hatte Tränen in den Augen und er musste nicht fragen, um den Grund dafür zu kennen. Er legte seinen Arm um sie.
„Hey, alles ist gut, das hast du doch gesehen“, sagte er.
„Ich habe vor allem gesehen, wie mager sie geworden ist. Und wieso sollte Malahan wohl schlafen, während seine Frau allein in diesen Gewässern umhertaucht? Ich will gar nicht wissen, wie erschöpft er sein muss.“
Der Zustand seiner Schwester war Sam nicht entgangen. Doch die Sorge, die ihm die Tatsache bereitete, verbarg er vor seiner Mutter.
„Mom, die beiden haben in wenigen Tagen eine Strecke von mehreren hundert Meilen zurückgelegt. Was erwartest du? Die Kalmare da unten sind sehr nahrhaft. Das wird ihnen schon wieder auf die Beine helfen – auf die Flosse wollte ich sagen.“
Sie zuckte mit der Schulter. „Wenn sie erst den Strom genommen haben, werden sie sehr bald das Doppelte dieser Strecke in viel weniger Zeit zurückgelegt haben.“
„Und das ist gut so. Hör auf dich zu quälen, das hilft ihnen auch nicht weiter. Wir sollten besser herausfinden, wer dort unten gegen uns hetzt. Wo steckt Dad überhaupt? Er könnte sich endlich einmal nützlich machen, was das angeht!“
Sebulan
Er hatte Zuflucht in einer Felsspalte gefunden, nachdem er Cassina und Malahan aufgespürt hatte. Sebulan hatte nicht vor, sie wissen zu lassen, dass er dort war. Er war in der Nähe – für den Fall der Fälle – und würde sich ansonsten im Hintergrund halten.
Die mentalen Besucher waren ihm nicht entgangen, doch auch die beiden Phenoren mussten nichts von seinem Vorhaben wissen; sollten sie sich ruhig ein wenig um ihre Leute sorgen. Er hatte Noellans Muster sofort erfasst, als der mit Lehandra eingetroffen war. Allein die Anwesenheit des Jungen hatte ausgereicht, um erneut etwas Seltsames in Sebulan auszulösen. Mit jeder Begegnung wurde es schmerzhafter und unerklärlicher. Er lehnte sich zurück und ließ die Finsternis über sich hereinbrechen. Irgendwo in der Nähe rauschte und zischte es; Magmaquellen und vulkanische Aktivität, von denen an der Oberfläche kaum jemand etwas mitbekam.
Die Oberfläche . Sebulan sackte in sich zusammen und ließ zum ersten Mal – seit einer Ewigkeit – zu, dass die vergessenen Bilder in ihm aufstiegen. Es gab in der Tat die eine oder andere Sache, die Noellan ihm von dort oben hätte mitbringen können, wenn es nur möglich gewesen wäre; doch das war es nicht. Womit Sebulan einmal mehr über die Naht in seinem Herzen stolperte, die immer wieder aufplatzte. Sein Herz . Wäre jenes schwache Organ nur nicht so überlebensnotwendig gewesen – er hätte sich seiner längst entledigt.
Er schloss die Augen und ließ die Schönheiten jener Tage an Land vor seinem Blick dahinziehen und jede einzelne rang ihm eine Träne ab.
Tom
Tom stand im Wohnzimmer und schaute durch die riesige Glasfront in die Dünen hinaus. Er war kurz zuvor aus dem Institut zurückgekehrt und suchte nach Ablenkung.
Die Sache mit seinen neuesten Studien würde sich noch etwas hinziehen, was wiederum zur Folge hatte, dass die davon abhängigen, dringend notwendigen Gelder auch auf sich warten ließen. Ein verdammter Teufelskreis! Und alles nur, weil die idiotische Politik das Projekt nicht unterstützte …
Er lehnte den Kopf an das Fensterglas und schloss die Augen, als ein Schwindelgefühl ihn überkam. Seit Tagen hatte er kaum gegessen. Sein Magen schmerzte und doch wusste er, dass er keinen Bissen hinunter bekommen würde. Die ganzen Sorgen wuchsen ihm langsam aber sicher über den Kopf.
Plötzlich spürte er Lynns Wärme auf seiner Haut, lange bevor sie ihre Hand auf seine Schulter gelegt hatte. Er atmete tief durch, ohne sich umzudrehen. Die Anwesenheit seiner Frau machte alles nur noch unerträglicher. In den letzten Jahren hatte sie ihn stets in Frieden gelassen, aber neuerdings begann sie aus unerklärlichen Gründen zu nerven und ihn mit ihrer Liebe zu erdrücken – mit ihrer Liebe und dem Wunsch, sich seines Kopfes und seiner Vergangenheit zu bemächtigen.
„Gibt es was Neues in Woods Hole?“, fragte sie sanft.
Er hatte keine Lust zu antworten, doch das würde sie nur noch mehr dazu antreiben, ihn zu durchbohren.
„Nein. Dass ich nicht vorankomme und ständig im Kreis laufe, weißt du ja bereits“, sagte er und spürte, dass sie darauf wartete, dass er sie nach ihrem Befinden fragte. Tom drehte sich um und überwand sich, auf sie einzugehen. „Und bei dir?“
„Sam und ich waren gestern bei Amy – die Früchte, du weißt schon.“
„Tatsächlich?“ Urplötzlich war er an einem Gespräch interessiert – immerhin ging es um seine Tochter. „Wie geht es ihr? Wo stecken die beiden denn? Sind sie in Gefahr?“
„Ich habe keine Ahnung, Tom. Sie sind weit draußen, in den Seamounts, unterwegs Richtung Osten. Sie wollen den Golfstrom nutzen und wissen selbst nicht, wohin.“
Er raufte sich die Haare und bereute zutiefst, seine Tochter dort unten zurückgelassen zu haben. Tom hatte von Anfang an kein gutes Gefühl bei der Sache gehabt. Wenn etwas schiefging, dann war es ganz allein seine Schuld und seine Verantwortung. Lynn streichelte zärtlich über seine Schläfen und am liebsten hätte er ihre Hand fortgestoßen.
„So darfst du nicht denken, mein Liebster. Amy ist glücklich an Malahans Seite. Und offenbar ist ihnen niemand gefolgt. Sie können es schaffen.“
„Ich hatte gehofft, dass sie hier in der Nähe sesshaft werden“, gestand er.
„Das werden sie sicher irgendwann. Olamanassa hat auch noch ein Wort mitzureden, schließlich kann er diese Rebellion nicht ewig dulden.“
Er wollte aufbrausen, als ihm alles zu Kopf stieg, doch er zwang sich, seine größte Charakterschwäche vorerst hinunterzuschlucken. Das Ganze war doch sinnlos!
„Hör zu, Lynn, ich … ich werde mich ein wenig hinlegen …“
„Geht es dir nicht gut?“
„Lass mich bitte allein.“
„Tom!“ Sie hielt ihn zurück, doch er zog seinen Arm weg.
„Rede mit mir, bitte!“ Ihr flehender Blick durchdrang ihn und Tom war kurz davor, zu explodieren.
„Es gibt nichts zu bereden.“
„Das sehe ich anders. Du machst dir Sorgen um Amy.“
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