Amber schien ihm diese Geschichte tatsächlich abzunehmen, was Adam anbetraf, konnte ich gar nichts sagen. Er saß stumm wie ein Fisch auf seinem Stuhl, den Kopf immer noch gestützt.
Ich war froh, dass er mich in diesem Moment nicht ansah, denn ich befürchtete, dass er meine Gesichtsröte sofort bemerken würde.
Amber rührte sich.
“Uns jedenfalls seid Ihr nicht ausgeliefert. Begreift das endlich. Sobald Eure Begleiterin wieder laufen kann, werden wir Euch weiterhelfen. Bis dahin seid Ihr unsere Gäste.“
Ihr Gesagtes stand und mir fiel ein Stein vom Herzen. Gedankenverloren biss ich mir auf meine Unterlippe. Unvermittelt schmeckte ich Blut. War ich tatsächlich doch so angespannt?
„Ich habe von diesem Vibelle gehört!“
Adams Satz traf uns beide wie ein Keulenschlag mitten ins Gesicht. Ich glaubte, mich nicht verhört zu haben, denn Kiefer starrte mich genauso dümmlich an wie ich ihn.
„Wo, wann habt Ihr von ihm gehört?“
Sein Tonfall klang heller als sonst, vielleicht vor bitterer Erregung.
Der Angesprochene lehnte sich schwerfällig nach hinten.
Er sah Kiefer genau an, bevor er ihm antwortete und ich meinte, den Grund dafür zu kennen. Er dachte immer noch an den Schlag, den Kiefer ihm versetzt hatte.
„Auf dem Markt, den wir besuchten, ist er gewesen. Er ist mir aufgefallen, weil er über Dinge sprach, die niemanden außer ihm zu interessieren schienen. Ketzerische Dinge. Es war im Saloon.“
Plötzlich hielt er inne. Sein und mein Blick fingen sich gegenseitig auf. In ihm schien eine Wandlung vorzugehen, die nur mir aufzufallen gedacht war.
Ich erhob mich voller Entschlossenheit.
„Kiefer, wir müssen ihn finden!“, meine Stimme überschlug sich.
Ich war nun nicht mehr auf Vertuschung bedacht. Mir war in diesem Moment leider alles egal, vermutlich brauchte ich so jemanden wie Kiefer, der mir immer wieder auf den richtigen Weg half.
Er war nur halb so erregt wie ich.
„Wir werden ihn finden, aber wir können Lori unmöglich zurücklassen, Rose!“
Natürlich hatte er Recht, mit dem was er sagte, aber die Realität, die Flucht von all dem hier, war so verlockend für mich, dass ich alle Konsequenzen um mich herum vergaß. Das konnte doch nicht wahr sein!? Vibelle hier? Hier bei uns in der Vergangenheit? Wir waren zeitgleich gegangen, wie war es ihm möglich, vor uns hier zu sein?
Ich war so überwältigt von diesem bitteren Fakt, dass es mich einiges an Überwindungskraft kostete, nicht in Tränen auszubrechen.
„Natürlich, du hast Recht!“
Ich konnte es kaum als Worte aus meinem Munde identifizieren, aber ich war es tatsächlich, die sprach. Wir waren zu dritt in diesem Alptraum gefangen, wir würden auch zu dritt wieder aufwachen!
Ich erhob mich verwirrt und zitterte leicht.
Amber hatte uns die ganze Zeit zugehört und blickte zwischen Kiefer und mir hin und her. Ihr Blick sagte mir, dass sie etwas sehr skeptisch stimmte. Es dauerte nicht lang und sie verfasste meine Beobachtung in scharfe Worte: „Ach, und Ihr heißt also tatsächlich Rose?! Ich meine, da Ihr sie die ganze Zeit über so nennt, scheint Adam ja gut geschätzt zu haben, was Euren Namen anbelangt.“
Ich verstand in Sekunden und schnappte nach Luft.
„Ich … ja … nein eigentlich habe ich einen Doppelnamen … Ich heiße Julie. Julie-Rose und meine Begleiter nennen mich auch bei meinem zweiten Vornamen, weil sie der Meinung sind, dass er besser zu mir passt, genau wie auch Adam.“
Ich hoffte inständig, dass sie mir Glauben schenkte, und weil mir langsam die geistigen Kraftreserven ausgingen, begann ich wieder zu sprechen:
„Darf ich mich zurückziehen? Ich habe einiges an Schlaf nachzuholen!“
Ich achtete nicht mehr auf die Worte, die schließlich schon hinter meinem Rücken fielen. Erst als Kiefer eine viertel Stunde später zu mir gelangte, erwachte ich aus meiner hoffnungslosen Trance.
Ich hatte apathisch auf einem der vielen Heuballen gesessen, als mich seine Berührung in unsere Realität zurückholte.
„Wir haben eine gute Chance, „ Julie-Rose“. Es gibt keine Automobile und keine Flugzeuge, die ihn allzu weit weg von uns bringen könnten. Also sei vernünftig und vertraue mir!“
Ich lauschte seinen Worten und der Betonung, die auf meinem Namen lag. Es konnte unangenehm für uns werden. Bis jetzt hatten sie uns alles abgenommen, was unsere Erzählungen anbelangte. Aber die Sache mit dem Namen versetzte mich fast in Angst. Selbst wenn Amber oder Adam etwas bemerkt hatten, so hatten sie sich nichts anmerken lassen. Gab es einen Grund dafür oder nicht? Ich hatte nicht die geringste Ahnung. Ich wusste nur, dass er Recht hatte, und es mir dennoch schwerfiel, überhaupt zu reagieren.
Er nahm neben mir Platz und Heuduft stieg mir augenblicklich in die Nase. Unvermittelt legte er seine Hand auf die meine.
„Alles wird wieder so werden wie es war.“
Ich wollte glauben und das hielt mich schließlich in den folgenden Stunden von ungeahnten Dummheiten ab. Wir sahen uns kurz an und ließen den Blick weiter herum in dieser Scheune schweifen. Das also sollte unser vorläufiges Zuhause sein? Ein altes Holzgebäude, mit Rissen im Gebälk, durch die der Wind pfiff, Heuballen, landwirtschaftliches Gerät, zugestellte Holzboxen, die früher einmal Tieren als Unterstellung gedient hatten. Ich war froh, dass die Temperaturen ein Leben ohne Heizung hier zuließen, wenigstens mussten wir uns um Erfrierung keine Gedanken machen.
Betty hatte uns Decken gebracht. Wir hatten später noch mit dieser Familie gemeinsam am Tisch gesessen, um zu essen. Ganz offensichtlich hatte Amber ihrem Bruder von unserer Geschichte erzählt und er sah nicht mehr ganz so feindlich in meine Richtung. Vermutlich war er auch Vibelle begegnet und hielt uns für genauso verrückt. Ich wusste es nicht. Er war ein Mann, der mir bis auf weiteres geheimnisvoll blieb.
Sorgenvoll war ich zu Lori hinüber gegangen, um ihr unsere Variante heimlich beizubringen, damit sie nichts anderes als wir erzählen konnte, aber es stellte sich schließlich heraus, dass all die glänzenden Ideen von ihr gekommen waren und sie und Kiefer sie kurz vor ihrer Gefangennahme im Getreidefeld abgemacht hatten.
Ich schüttelte den Kopf über so viel Genialität, während sie mich aus ihrem Bett müde anblickte und lächelte.
Sie tat mir unendlich leid mit ihren verletzten Füßen und ich hoffte, dass sie bald wieder in der Lage war, laufen zu können, um Professor Vibelle endlich aufzuspüren, um ihn nach dem großen „Warum“ zu fragen.
Manitu Vibelle, der Name durchstreifte meine Gedanken wie eine unabschüttelbare Last. Wir waren später wieder in der Scheune, Kiefer und ich, um uns zur Nachtruhe zurück zu ziehen. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass er mich in die Dunkelheit hinein ansprach.
„Entschuldige, was hast du gerade gesagt?“
Er zögerte lang.
„Meinst du, Lori wird es schaffen?“
Ich wusste, was er damit meinte.
„Natürlich. Sie wird diesen Schutz noch haben, außerdem war Ambers Schocktherapie ja wohl eindeutig genau das Richtige gewesen! Sie wird dies mit Sicherheit nicht das erste Mal gemacht haben!“
„Und wenn nicht?“
Ich konnte seine Zweifel und Sorge um Lori verstehen. Mir selbst ging es nicht anders.
Wenn sie tatsächlich erkranken würde, blieb uns dann noch genug Zeit, um Vibelle aufzusuchen, damit er uns zurückbringen konnte, um ihr Leben zu retten?
Diesen Gedanken behielt ich jedoch für mich. Ich war mir sicher, dass Kiefer diese Variante auch schon gedanklich durchlaufen hatte.
„Hör zu, es wird alles gut. Wir dürfen nicht aufhören, daran zu glauben.“
Es kam mir vor, als ob er gar keinen dazugehörigen Kommentar mehr erwartet hatte, denn er stellte bereits eine andere Frage.
Читать дальше