Jay Baldwyn - Die Magie der Vergangenheit

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Christines Eltern sind auf der ganzen Welt unterwegs zu geheimnisvollen Orten und versunkenen Kulturen. Als Teenager darf sie manchmal mitreisen. Dabei stellt sie fest, dass sie Ereignisse sieht, die anderen verborgen bleiben. Als erwachsene Frau beschränkt sie sich bei ihren Reisezielen auf Europa. So sucht sie in Italien Geisterstädte auf oder in Deutschland in Stauseen versunkene Dörfer. Auch das sagenhafte Vineta hat es ihr angetan. Dabei erlebt sie Erstaunliches. In Griechenland wagt sie aus einer Depression heraus einen Tauchgang ohne Begleitung. Ob das wohl gutgeht?

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Jay Baldwyn

Die Magie der Vergangenheit

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Inhaltsverzeichnis Titel Jay Baldwyn Die Magie der Vergangenheit Dieses ebook - фото 1

Inhaltsverzeichnis

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Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Impressum neobooks

Kapitel 1

„Aus des Meeres tiefem, tiefem Grunde

Klingen Abendglocken dumpf und matt,

Uns zu geben wunderbare Kunde

Von der schönen alten Wunderstadt.[…]“

(Zitat Ende)

Vineta

Wilhelm Müller

(* 07.10.1794, † 01.10.1827)

Mit meinen Eltern hatte ich es nicht so schlecht getroffen. Ich liebte sie heiß und innig und bewunderte sie aufrichtig. Schön, manchmal fühlte ich mich schon etwas allein gelassen. Immer dann, wenn sie mich nicht mitnahmen auf ihre Reisen. Und sie reisten ständig in der Welt umher. Ihre Erzählungen über das, was sie alles gesehen hatten, sog ich auf wie ein Schwamm. Ich konnte nicht genug davon kriegen. Die Fotos und Videos, die ihre Berichte ergänzten, ließen mich zeitweise glauben, die Welt wäre nur so erfüllt von geheimnisvollen Orten. Man müsste gar nicht lange suchen. Doch das war natürlich ein Trugschluss. Ohne intensive Recherche kam man nicht weit.

Und im Recherchieren war mein Vater meisterhaft. Er überraschte meine Mutter immer wieder mit außergewöhnlichen Orten, die zum Teil Jahrhunderte auf ihre (Wieder-)Entdeckung gewartet hatten. Finanziell waren meine Eltern unabhängig, das erleichterte die Sache enorm. Das Erbe meiner Großeltern väterlicherseits – Inhaber einer gut florierenden und allseits bekannten Firma – sorgte für ein sorgenfreies Leben. Die Firma nach dem viel zu frühen Tod meiner Großeltern übernehmen, hatte Vati nicht gewollt. Dazu liebte er viel zu sehr seine Freiheit. Er war ein rechter Abenteurer und Mutti die ideale Partnerin für ihn, da sie sich ebenso sehr für antike Stätten begeistern konnte wie er.

Es gab jedes Mal heiße Tränen meinerseits, wenn sie ohne mich fuhren und mich bei Oma abgaben. Doch je älter ich wurde, desto eher sah ich ein, dass ich nicht so oft die Schule versäumen durfte. Umso größer war die Wiedersehensfreude. Und meine Eltern gaben sich redliche Mühe, einiges an mir gutzumachen, wenn sie zu Hause waren.

Das erste Mal mitreisen durfte ich, als ich zwölf war. Natürlich in den großen Ferien. Unser Ziel lag in den USA. Eine aufgegebene Stadt im Wilden Westen. Angeblich sogar die besterhaltene Geisterstadt der USA. Dazu mussten wir nach Kalifornien fliegen. Allein schon ein unbeschreibliches Abenteuer. So lange hatte ich noch nie zuvor in einem Flugzeug verbracht.

Da Bodie östlich von San Francisco an der Grenze zu Nevada lag, verbrachten wir zunächst einige Tage in der Stadt mit der weltberühmten Golden Gate Bridge. Als viertgrößte Stadt Kaliforniens galt sie im globalen Vergleich als mittelgroße Weltstadt. Ihren ersten großen Aufschwung hatte sie einst durch den 1848 beginnenden Goldrausch in Kalifornien erlebt. Der Name Golden Gate leitete sich von diesem Ereignis ab.

Mich faszinierten die steilen Straßen, die durch die zweiundvierzig Hügel entstanden waren. Die sogenannten Cable Cars, die inzwischen ausschließlich als Touristenattraktion dienten, erklommen diese scheinbar mühelos. Schon beim Ansehen des Hitchcock-Klassikers „Vertigo“ hatte ich einen Eindruck davon bekommen, aber selbst vor Ort zu sein, war schon etwas anderes. Den tragischen Aspekt – die immer wiederkehrenden Erdbeben – blendete ich vorerst aus. Ich liebte die große Anzahl viktorianischer Häuser, die während der Goldgräberzeit Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut wurden. Vati machte mich allerdings darauf aufmerksam, dass über die Hälfte der Victorians dem Erdbeben und dem darauf folgenden Feuer von 1906 zum Opfer gefallen waren. Trotzdem gab es noch etwa 15.000 davon.

Nachdem wir die berühmte Chinatown, die Japantown und das Viertel Fisherman’s Wharf mit seinen Cafés, Kneipen und Restaurants besucht hatten, nahm Vati einen Mietwagen, und dann ging es endlich los nach Bodie.

Die Stadt war um 1859 als Goldgräbersiedlung entstanden und in den 1930er Jahren aufgegeben worden. Dank der geringen Luftfeuchtigkeit blieben viele Gebäude, Gerätschaften und Autos relativ gut erhalten. Seit 1962 war die Stadt ein sogenannter State Park. Benannt war sie nach William S. Bodey, der 1859 in Mono County in der Sierra Nevada als Erster Gold gefunden hatte. Nach seinem Tod gründete seine Familie an dieser Stelle die Stadt Bodie. Um eine falsche Aussprache als „Body“ (= Leiche) auszuschließen, benutzte man die geänderte Schreibweise.

Bodie hatte zeitweise einen schlechten Ruf genossen und in dieser Zeit als eine der wildesten und gesetzlosesten Städte des Westens gegolten. Denn neben den fünfundsechzig Saloons hatte es auch Bordelle und sogar eine Opiumhöhle gegeben. Morde, Überfälle und Postkutschenraub waren an der Tagesordnung gewesen. Überliefert ist das Zitat eines kleinen Mädchens, das mit seinen Eltern nach Bodie ziehen sollte und in sein Tagebuch schrieb: „Goodbye God, I’m going to Bodie!“ („Auf Wiedersehen Gott, ich ziehe nach Bodie!“).

Nachdem man 1917 die Eisenbahnlinie demontiert und die Schienen verschrottet hatte und ein Großbrand im Jahre 1932 zahlreiche Häuser und das Geschäftsviertel im Stadtzentrum zerstörte, war das Schicksal der Stadt besiegelt. Das Postamt schloss 1942, und in den sechziger Jahren wurde der Goldabbau vollständig aufgegeben.

Ich war sehr überrascht, dass noch über einhundert Gebäude vorhanden waren, die das große Feuer von 1932 verschont hatte, u. a. eine Kirche, die Schule, ein Bankgebäude aus Ziegelsteinen, eine Bar, ein Laden und mehrere Wohnhäuser sowie das große Minengebäude. Es ließ mich schaudern, als ich sah, dass in den Häusern noch viele der Einrichtungsgegenstände vorhanden waren, als würden die ehemaligen Bewohner jeden Moment zurückkehren. Dabei konnte man ihre Grabsteine auf dem kleinen Friedhof vor der Stadt ansehen. Ein paar rostende Autowracks aus den 30er Jahren und die Zapfsäulen einer alten Tankstelle waren auch noch vorhanden. Die Parkverwaltung, die um eine behutsame Erhaltung des Originalzustandes bemüht war, machte uns ganz unnötiger Weise darauf aufmerksam, dass es strengstens verboten sei, Gegenstände als Souvenir aus dem Park mitzunehmen.

In der alten, einzig erhaltenen Bar hatte ich ein ganz besonderes Erlebnis. Das sich als richtungsweisend zeigen sollte. Der Raum, mit Bänken entlang der Wände, vor denen einfache Holztische und Stühle standen, dem uralten, geschnitzten Billardtisch in der Mitte und dem gusseisernen Kanonenofen neben der verwaisten Holztheke, war plötzlich erfüllt von den Klängen eines seltsamen Klaviers. Ich hörte Flaschen und Gläser klirren und das Stimmengewirr von Männern. Es dauerte nicht lange und ich sah auch den Wirt hinter der Theke stehen und der Pianist griff merkwürdig unbeteiligt in die Tasten. Jetzt hörte ich auch Pferde vor dem Fenster wiehern und das Gelächter von losen Frauenzimmern. Waren in der Ferne nicht auch Schüsse zu hören? Als der Qualm von Zigarren und Tabakpfeifen die Sicht erschwerte, rieb ich mir die Augen. Als ich diese wieder öffnete, war der Spuk vorbei. Im Saloon war es totenstill, und draußen hörte man nur den Wind heulen.

»Na, mein Mädchen. Hattest du eine Vision?«, fragte Vati, als wäre es das Normalste der Welt.

»Ich … ich weiß nicht. Mir war auf einmal, als hörte ich Stimmen und die typischen Geräusche eines Saloons«, stotterte ich. »Und dann war da noch ein Klavier, das sich irgendwie mechanisch anhörte, obwohl ein Pianist davor saß.«

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