„Euer Zug, Majestät.“
Der König wandte sich amüsiert lachend an den Grauhaarigen. „Ist sie nicht reizend? Irgendwann, wenn ich ein wenig Zeit und Muße habe, werde ich mit ihr Schach spielen. Und verdammt aufpassen müssen, die junge Dame ist raffiniert.“
Der König winkte einem Bediensteten, Mara Tee einzuschenken. „Würdet Ihr mir eine Frage beantworten, Mara?“
„Es geht ihm gut, Majestät. Das Wetter ist wirklich nicht ideal für einen derartigen Ritt, Eichhörnchen schmecken wohl auch nicht sonderlich lecker, aber es geht ihnen verhältnismäßig gut.“
„Danke.“ Gedämpft lächelte der König, den Kopf gesenkt, bevor er wieder aufsah. „Ich weiß Eure Worte sehr zu schätzen, und wenn ich etwas für Euch tun kann, müsst Ihr es nur sagen. Ich schulde Euch etwas.“
„Aber doch nicht …“ Verwirrt sprang Mara auf. „Majestät, ich …“ Sie war den Tränen nahe, wusste nicht einmal, warum, wusste nichts zu sagen, nichts zu tun. Der König meinte sehr viel mehr als nur diese kleine Auskunft, sprach von den zurückliegenden Ereignissen, von ihrem Verhalten. Vielleicht hatte sie nicht alles falsch gemacht. Hilflos schaute Mara ihn an. „Ihr schuldet mir nichts, Majestät.“
„Euch ist bewusst, dass es beleidigend ist, mir zu widersprechen.“
Sie grinste rasch. „Majestät können mich ja rausschmeißen.“
„Ja, das könnte ich. Bloß würde ich mich nur ungern um das Vergnügen Eurer Gesellschaft bringen. Ich … Ah, ich glaube, ich habe Euch noch nicht den Schwertmeister Jon vorgestellt.“
Respektvoll verneigte sich Mara. „Es ist mir eine große Ehre, Meister.“
„Jon, die Zauberin Mara I’Gènaija.“
Der Grauhaarige, Jon, reichte Mara die Hand und nickte ihr grüßend zu. „Ich muss gestehen, ich habe bisher nur wüste Gerüchte über Euch gehört. Freut mich, Eure Bekanntschaft zu machen, Mara. Der Junge dort ist mein Sohn Janek.“
* * *
„Tessa!“, rief Lucinda halblaut und kam Tessa auf dem dämmrigen, weiten Flur entgegen, haschte nach deren Handgelenk. „Magst du nicht ein Stückchen mit mir kommen? Wir haben schon so lange nicht mehr miteinander geplaudert.“
„Gern.“ Tessa vermied es, sich nach Hauptmann Minto umzudrehen; sie hatte andere Pläne gehabt. Aber Lucinda war eine Freundin.
„Schön. Was hast du mit dem Hauptmann zu schaffen?“ Lucinda hakte sich bei ihr ein und dirigierte Tessa in einen geschmackvoll möblierten Raum. Regen, in den sich einige Schneeflocken mischten, trommelte gegen die hohen Fenster.
„Nichts“, wehrte Tessa ab. „Hauptmann Minto hat sich nur erkundigt, wie es mir geht. Ich hatte neulich darüber geklagt, wie sehr mir Reik fehlt.“ Es war noch nicht einmal gelogen, trotzdem fühlte sich Tessa bei ihren Worten schuldig. Doch die hielten Lucinda von weiteren Fragen ab.
Ihre Freundin kicherte albern, als sie Tessa neben sich in einen bequemen Sessel zog. „Mir würde ja Hauptmann Alek mehr zusagen, der ist nicht nur größer, der sieht auch besser aus.“ Lucinda verzog trotzig die vollen Lippen. „Und bestimmt sagst du mir jetzt gleich, ich solle nicht so reden.“
„Ich sage doch gar nichts.“
„Aber insgeheim machst du mir Vorwürfe! Jeder macht mir Vorwürfe“, klagte Lucinda.
„Ich mache dir keine Vorwürfe, Lucinda, ich verstehe es bloß nicht. Und es macht mich traurig zu sehen, wie enttäuscht und … ja, unglücklich Sandar ist. Weißt du eigentlich, wie sehr du ihn mit deiner Absage gekränkt hast?“
„Sandar, immer nur Sandar“, ereiferte sich Lucinda. „Ihm geht es doch gut, ich … Ich bin ihm völlig gleichgültig, es ging ihm nie um mich, immer nur um diesen Vertrag! Aber ich … Es wird Krieg geben, Tessa, hat dir das dein Bruder nicht oft genug gesagt?! Mein frisch angetrauter Ehemann wäre in den Krieg gezogen, während ich …“ Lucinda drückte die Hand vor den Mund, sprach nicht weiter.
Tessa musterte Lucinda irritiert. „Ich glaubte, du hast Sandar gemocht? Welchen Unterschied macht es denn, ob ihr verheiratet seid oder nicht?“
„Ich habe ihn gemocht, ich mag ihn immer noch, sogar noch viel mehr, auch wenn dein geliebter Vetter mich jetzt hasst, aber … Ich will keine Witwe mit dickem Bauch sein, Tessa, ich bin noch nicht einmal zwanzig!“, schrie sie verzweifelt.
„Das ist doch überhaupt … Lucinda, nicht!“ Tröstend legte Tessa die Arme um ihre schluchzende Freundin. Sie dachte nicht an den bevorstehenden Krieg, vermied jeden Gedanken daran, obwohl die Massen von Soldaten in der Festung, noch vielmehr in der Stadt von nichts anderem kündeten. Minto würde in den Krieg ziehen, Sandar, Leif, Reik. Ja, Reik würde als Winterkönig … Aber noch war Reik auf seiner Suche, war er nicht Winterkönig, und Tessa konnte weiterhin die Augen verschließen. Nicht daran denken.
„Es ist doch Unsinn, so zu denken, Lucinda. Du weißt nicht, was passieren wird. Dann müsstest du dich ja vor dem ganzen Leben fürchten.“ Und vermutlich tat Lucinda genau das: sich vor dem Leben fürchten.
Tessa hielt ihre Freundin eine Weile im Arm und wiegte sie sanft. „Stell dir vor, wie es wäre, Hauptmann Alek zu küssen.“
Schniefend hob Lucinda den Kopf. „Wieso Alek?“
„Na, du hast doch von ihm geredet. Stell dir vor, er würde dir seine Zunge in den Mund stecken, ohne auch nur zu fragen“, wiederholte Tessa.
„Also, ich weiß nicht“, zweifelte Lucinda. „Kannst du dir das vorstellen?“
„Nein“, antwortete Tessa ehrlich. Sie mochte Hauptmann Alek nicht. „Der ist so steif und streng, der küsst bestimmt überhaupt nicht.“
„Keine Ahnung“, kicherte Lucinda. „Wie sollten ihn mal fragen.“
* * *
Ich kauere auf dem harten Steinboden, frierend, nackt. Über mir ragt der zornige Gott auf, zischt, flucht, droht mir. Meine Wange schmerzt. Er hat kein Recht, mich zu schlagen. Ich hebe den Kopf. Einhalt gebietend strecke ich die Hand aus, doch nutzt er die Gelegenheit, um meinen Arm zu packen und mich dicht an sich zu ziehen. Zu dicht, enger als angemessen, unanständig nah. Es ist nicht richtig, das, was wir machen, in einem Tempel zu tun. Seinem Tempel.
Mara stöhnte im Schlaf, sie wollte nicht träumen, nicht das, nicht, wenn Davian neben ihr lag.
Mit einem Ruck war sie wach und setzte sich auf, atmete viel zu hastig. Schweigend beobachtete Davian sie, das Gesicht halb unter seinem Arm verborgen. Der Schein des ersterbenden Kaminfeuers tanzte flackernd über seinen nackten Oberkörper und Mara biss sich auf die Lippen, ballte die Fäuste, um ihn nicht zu berühren, ihn nicht gierig zu küssen.
Er lachte leise, erstaunt. „Was ist denn mit dir los?“
„Ich habe geträumt, nicht … Nicht das erste Mal“, berichtete Mara stockend. „Seitdem ich krank in den Häusern lag, träume ich immer wieder diesen einen Traum. Außer in der Nacht, als du neben mir gelegen hast. Ich habe gehofft, es würde jetzt aufhören, weil ich … Ich habe mich geirrt.“
Sacht streichelte Davian ihren Handrücken. „Schlimm, dein Traum?“
„Nein, das eigentlich nicht. Eher seltsam. Es ist kein richtiger Traum, mehr …“ Sie beendete den Satz nicht, fuchtelte bloß ziellos mit den Händen herum. Sorgte für etwas mehr Licht.
„Möchtest du davon erzählen?“
Abwehrend schüttelte sie den Kopf, die Lippen zusammengepresst. „Nein, besser nicht. Nicht so genau.“
„Was heißt?“
„Manche Einzelheiten … Es wäre mir unangenehm.“
„Verstehe. Du musst nicht alles sagen. Falls du überhaupt etwas sagen willst.“
„Ja, ich …“ Mara zögerte, suchte nach Worten. „Er ist wütend. Der zornige Gott. Ich bin in seinem Tempel und er ist wütend, auf mich. Unbeherrscht, gierig, er benimmt sich wie ein wildes Tier.“
„Der zornige Gott?“, wiederholte Davian fragend.
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