Dietrich Schulze-Marmeling - Der König und sein Spiel

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Johan Cruyff, der europäische «Jahrhundertfußballer», hat die globale Entwicklung des Spiels wohl stärker geprägt als jeder andere Fußballer. Als «König Johan» war er die zentrale Figur einiger legendärer Mannschaften: Ajax Amsterdam und niederländische Nationalmannschaft in den frühen Siebzigern, FC Barcelona zunächst als Spieler, später als Trainer und Architekt des noch heute verehrten «Dreamteams». Bei Barça und der spanischen Nationalmannschaft reicht sein Einfluss bis in die heutige Zeit; auch bei der WM 2010 war er omnipräsent.
Cruyff galt stets als kompromissloser Verfechter des offensiven, kreativen Spiels. Die englische Zeitung Observer bezeichnet ihn auch als «Lenin des Fußballs». All dies macht ihn zu einer der interessantesten Persönlichkeiten der Fußballgeschichte. Es wird Zeit, dass ihm erstmals in Deutschland ein Buch gewidmet wird.

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Dietrich Schulze-Marmeling

Der König und sein Spiel

Johan Cruyff und der Weltfußball

verlag die werkstatt

Impressum

Copyright © 2012 Verlag Die Werkstatt GmbH

Lotzestraße 22a, D-37083 Göttingen

www.werkstatt-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten.

Satz und Gestaltung: Verlag Die Werkstatt

Fotos (Umschlag und Innenteil): Imago Sportfotodienst

ISBN 978-3-89533-846-5

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1: Reden über Cruyff, die Niederlande und Barcelona

Kapitel 2: Die Niederlande vor Johan

Kapitel 3: Ajax, Mokum, Israel

Kapitel 4: Die Entdeckung des „Fußball total“

Kapitel 5: Der König auf dem Platz

Kapitel 6: Das große Ajax

Kapitel 7: Kulturtransfer nach Barcelona

Kapitel 8: Der bürgerliche Rebell

Kapitel 9: Ein (fast) perfekter Sommer

Kapitel 10: Verpasste Chancen mit der Elftal

Kapitel 11: Rückkehr nach Amsterdam

Kapitel 12: Schöpfer des modernen Barça

Kapitel 13: „Estó es fútbol“

Kapitel 14: Die Drei muss stehen

Kapitel 15: Mein Ajax, sein Ajax

Literatur

Johan Cruyff: Karrieredaten

Danksagung

Der Autor

Bildteil

Vorwort

„‚Tempo-Fußball‘ war noch nicht erfunden, als Cruyff ihn schon längst spielte. Und die Eleganz seines Auftritts ver--mittelte eine erste Ahnung davon, wann und warum Arroganz in künstlerischen Berufen gerechtfertigt ist.“

Fritz Eckenga, Kabarettist und Fußballfan

„Cruyff hat mich sehr beeindruckt. Ich glaube, ich war auch nicht die Einzige in Europa.“

Angela Merkel

Als der FC Barcelona am 28. Mai 2011 durch einen 3:1-Sieg über Manchester United die Champions League gewann, schwärmte Peter Hess anschließend in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“: „Barça steht nicht auf dem Gipfel, weil es neue Dimensionen in Athletik, Wucht, Schusskraft, Aggressivität oder Laufstärke erschlossen hätte. Diese Tugenden würden Emotionen wie Bewunderung, Respekt oder Ehrfurcht auslösen. Das Team sprengt alle bekannten Grenzen an Inspiration, Antizipation, Körperbeherrschung und Ballfertigkeit. Das miterleben zu dürfen, ist nichts anderes als Glück.“

Es gibt Fußballspiele, und das Champions-League-Finale 2011 steht an der Spitze dieser Begegnungen, die lösen auch beim neutralen Betrachter Glücksgefühle aus.

Aber auch Dankbarkeit. Dankbarkeit gegenüber den „Erfindern“ dieses wunderbaren Spiels, das völlig zu Recht zum globalsten und erfolgreichsten aller Spiele avancierte. Dankbarkeit dafür, in einer Zeit zu leben, in der vielleicht der beste Fußball aller Zeiten gespielt wird. Und Dankbarkeit gegenüber denjenigen, die dieses Spiel zu jenem fantastischen Vortrag geformt haben, wie ihn im Mai 2011 87.695 Menschen im Londoner Wembleystadion und Millionen vor den Fernsehschirmen erleben durften.

Hier kommt nun Johan Cruyff ins Spiel, dessen Werk dieses Buch gewidmet ist.

Im Vorfeld des Finales zwischen Barcelona und Manchester wurde das Wembleystadion als „Pilgerstätte des modernen ‚Barcelonismus’“ bezeichnet. Denn im Wembley hatte der FC Barcelona 1992 zum ersten Mal die prestigeträchtigste Trophäe des europäischen Klubfußballs gewonnen. Und dabei bewiesen, dass sich Schönheit und Erfolg im Fußball nicht widersprechen müssen. Der Trainer jener Mannschaft, die als „Dream-Team“ in die Fußballannalen einging, hieß Johan Cruyff, der von 1973 bis 1978 selber für Barça gespielt hatte.

Zu den wichtigsten Spielern in Johan Cruyffs „Dream-Team“ gehörte der „Sechser“ Josep „Pep“ Guardiola, den der Trainer aus Barças B-Team geholt hatte und der Cruyffs Ideen aufsog wie kein anderer. Im Sommer 2008 wurde Guardiola selbst Trainer des FC Barcelona – auf Empfehlung von Johan Cruyff. Das Barça, das 2011 im Wembley triumphierte, war noch besser als das von 1992. Aber ohne Cruyffs „Dream-Team 1.0“ hätte es Guardiolas „Dream-Team 2.0“ nie gegeben.

Als ich im Februar 2012 den Spanien- und Barcelona-Experten Ronald Reng eher beiläufig nach dem Einfluss von Johan Cruyff auf den Fußball des FC Barcelona fragte, fiel seine Antwort so kurz wie klar aus: „Eine Abhandlung über den Einfluss von Cruyff bei Barcelona bräuchte (…) mindestens ein Buch. Ohne Cruyff gäbe es dieses Barça nicht.“

*****

Hierzulande wird Johan Cruyff vor allem mit der WM 1974 assoziiert. Auch des Autors Interesse an Cruyff begann mit dem Turnier in Deutschland. Vor einigen Jahren feierte meine Schule, das Städtische Gymnasium Kamen, seinen 150. Geburtstag. Die Schule lud mich ein, einen Beitrag für die Festschrift zu schreiben. Als Titel meiner Erinnerungen wählte ich: „Herr S., Johan Cruyff und ich.“ „Herr S.“ war ein rechtsradikaler Lehrer, mit dem ich mich als Schülersprecher heftig rieb. Johan Cruyff war mein fußballerisches Idol – und noch mehr.

Wir waren eine „ent-nationalisierte“ Generation, und der Finalsieg von München löste bei uns nicht annähernd die Begeisterung aus wie bei der Generation unserer Eltern das „Wunder von Bern“. (Das bei meinen Eltern allerdings auch keine Begeisterung auslöste, weil sie sich nicht für Fußball interessierten. In den Betrachtungen von 1954 bleibt häufig unerwähnt, dass ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung das Turnier in der Schweiz überhaupt nicht wahrnahm.)

Johan Cruyff und Co. bestritten fünf ihrer sieben WM-Auftritte in meiner westfälischen Heimat – drei in Dortmund und zwei in Gelsenkirchen. Und ihr Hauptquartier war das Waldhotel Krautkrämer in Hiltrup vor den Toren Münsters. 34 Jahre später schrieb Klaus Brinkbäumer im „Spiegel“ über die damalige Stimmung im Münsterland: „Hiltrup ist nicht so bekannt. Es gibt eine Marktallee dort und das Eiscafé Martini. Hiltrup hat den Dortmund-Ems-Kanal, die Polizeiführungsakademie, das Waldhotel Krautkrämer und den Sportplatz Hiltrup-Ost, der heute erstaunlicherweise Glasurit-Arena heißt. Kein Mensch jenseits des Münsterlandes kennt Hiltrup. Aber Cruyff und die Holländer verbrachten die WM ’74 in Hiltrup. Im Waldhotel Krautkrämer. Cruyff hatte lange Haare und guckte stolz. Siebenjährige Hiltruper Jungs verbrachten jenen verregneten Sommer ’74 vor dem Waldhotel und auf dem Sportplatz Hiltrup-Ost, wo sie die Trainingsbälle aus dem Wäldchen fischten, und auf Wiesen, wo sie Hollands Siege nachspielten. Die Nummer 14 nannten sie ‚König Johan’, und der trug nur zwei Streifen auf dem Trikot und nicht drei, weil er auch ein Rebell war. Johan Cruyff sagte scharfe Sachen: ‚Wenn ich gewollt hätte, dass Sie’s verstehen, hätte ich es besser erklärt’, so redete Johan Cruyff. Er schrieb auf dem Parkplatz Autogramme: raumgreifend, schnell, er schrieb, wie er spielte. Für Hiltruper Jungs war es nicht einfach, im Sommer ’74 für Deutschland zu sein, denn Holland in Hiltrup, das war eine Verheißung. Cruyff, Neeskens, Rep, Rensenbrink waren die Besten der Welt, und leider wussten sie es.“

Im Finale drückte ich den Niederländern die Daumen – mein schlechtes Gewissen hielt sich dabei in Grenzen. Als ich vier Jahre später nach einigen Umwegen und Verlängerungen schließlich mein Abitur baute, stand erneut eine WM auf dem Programm.

Titelverteidiger Deutschland spielte nach einer peinlichen 2:3-Niederlage gegen Österreich nicht einmal im „kleinen Finale“. In der Festschrift meines Gymnasiums schrieb ich nun 30 Jahre später: „Mich berührte das nicht sonderlich, da ich mit ‚unserer’ Nationalmannschaft bereits während der WM 1974 abgeschlossen hatte. Seit der Begegnung Niederlande gegen Brasilien im Dortmunder Westfalenstadion galt meine Liebe der niederländischen Elftal, die mit ihrem totaal voetbal meine damalige Lebensphilosophie ausgiebig bediente. Totaal voetbal basierte auf einer Theorie vom ‚flexiblen Raum’ und hätte auch in unseren Physik- und Kunstunterricht eingehen müssen. Mein Idol war ‚König’ Johan Cruyff, der zum Ende des 20. Jahrhunderts zu Recht zum ‚europäischen Jahrhundertfußballer’ gekürt wurde (vor dem deutschen ‚Kaiser Franz’). Cruyff, den der ‚Times’-Journalist David Miller ‚Pythagoras in Fußballschuhen’ taufte, und seinen Mitspielern war es gelungen, eine Verbindung zwischen Kollektivismus und kreativem Individualismus zu realisieren, womit er unser Programm repräsentierte. Für viele Niederländer (aber auch einige Deutsche) war die schmächtige, kettenrauchende Gestalt aus einem Kleineleute-Viertel des Amsterdamer Ostens mehr als ‚nur’ ein Fußballer, nämlich Repräsentant einer kulturellen, politischen und sozialen Revolution, die unser Nachbarland in den 1960ern von einem eher rückständigen Gebilde zu einer der progressivsten Adressen in Europa transformierte.

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