Dietrich Schulze-Marmeling
Der König und sein Spiel
Johan Cruyff und der Weltfußball
verlag die werkstatt
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Lotzestraße 22a, D-37083 Göttingen
www.werkstatt-verlag.de
Alle Rechte vorbehalten.
Satz und Gestaltung: Verlag Die Werkstatt
Fotos (Umschlag und Innenteil): Imago Sportfotodienst
ISBN 978-3-89533-846-5
Vorwort
Kapitel 1: Reden über Cruyff, die Niederlande und Barcelona
Kapitel 2: Die Niederlande vor Johan
Kapitel 3: Ajax, Mokum, Israel
Kapitel 4: Die Entdeckung des „Fußball total“
Kapitel 5: Der König auf dem Platz
Kapitel 6: Das große Ajax
Kapitel 7: Kulturtransfer nach Barcelona
Kapitel 8: Der bürgerliche Rebell
Kapitel 9: Ein (fast) perfekter Sommer
Kapitel 10: Verpasste Chancen mit der Elftal
Kapitel 11: Rückkehr nach Amsterdam
Kapitel 12: Schöpfer des modernen Barça
Kapitel 13: „Estó es fútbol“
Kapitel 14: Die Drei muss stehen
Kapitel 15: Mein Ajax, sein Ajax
Literatur
Johan Cruyff: Karrieredaten
Danksagung
Der Autor
Bildteil
„‚Tempo-Fußball‘ war noch nicht erfunden, als Cruyff ihn schon längst spielte. Und die Eleganz seines Auftritts ver--mittelte eine erste Ahnung davon, wann und warum Arroganz in künstlerischen Berufen gerechtfertigt ist.“
Fritz Eckenga, Kabarettist und Fußballfan
„Cruyff hat mich sehr beeindruckt. Ich glaube, ich war auch nicht die Einzige in Europa.“
Angela Merkel
Als der FC Barcelona am 28. Mai 2011 durch einen 3:1-Sieg über Manchester United die Champions League gewann, schwärmte Peter Hess anschließend in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“: „Barça steht nicht auf dem Gipfel, weil es neue Dimensionen in Athletik, Wucht, Schusskraft, Aggressivität oder Laufstärke erschlossen hätte. Diese Tugenden würden Emotionen wie Bewunderung, Respekt oder Ehrfurcht auslösen. Das Team sprengt alle bekannten Grenzen an Inspiration, Antizipation, Körperbeherrschung und Ballfertigkeit. Das miterleben zu dürfen, ist nichts anderes als Glück.“
Es gibt Fußballspiele, und das Champions-League-Finale 2011 steht an der Spitze dieser Begegnungen, die lösen auch beim neutralen Betrachter Glücksgefühle aus.
Aber auch Dankbarkeit. Dankbarkeit gegenüber den „Erfindern“ dieses wunderbaren Spiels, das völlig zu Recht zum globalsten und erfolgreichsten aller Spiele avancierte. Dankbarkeit dafür, in einer Zeit zu leben, in der vielleicht der beste Fußball aller Zeiten gespielt wird. Und Dankbarkeit gegenüber denjenigen, die dieses Spiel zu jenem fantastischen Vortrag geformt haben, wie ihn im Mai 2011 87.695 Menschen im Londoner Wembleystadion und Millionen vor den Fernsehschirmen erleben durften.
Hier kommt nun Johan Cruyff ins Spiel, dessen Werk dieses Buch gewidmet ist.
Im Vorfeld des Finales zwischen Barcelona und Manchester wurde das Wembleystadion als „Pilgerstätte des modernen ‚Barcelonismus’“ bezeichnet. Denn im Wembley hatte der FC Barcelona 1992 zum ersten Mal die prestigeträchtigste Trophäe des europäischen Klubfußballs gewonnen. Und dabei bewiesen, dass sich Schönheit und Erfolg im Fußball nicht widersprechen müssen. Der Trainer jener Mannschaft, die als „Dream-Team“ in die Fußballannalen einging, hieß Johan Cruyff, der von 1973 bis 1978 selber für Barça gespielt hatte.
Zu den wichtigsten Spielern in Johan Cruyffs „Dream-Team“ gehörte der „Sechser“ Josep „Pep“ Guardiola, den der Trainer aus Barças B-Team geholt hatte und der Cruyffs Ideen aufsog wie kein anderer. Im Sommer 2008 wurde Guardiola selbst Trainer des FC Barcelona – auf Empfehlung von Johan Cruyff. Das Barça, das 2011 im Wembley triumphierte, war noch besser als das von 1992. Aber ohne Cruyffs „Dream-Team 1.0“ hätte es Guardiolas „Dream-Team 2.0“ nie gegeben.
Als ich im Februar 2012 den Spanien- und Barcelona-Experten Ronald Reng eher beiläufig nach dem Einfluss von Johan Cruyff auf den Fußball des FC Barcelona fragte, fiel seine Antwort so kurz wie klar aus: „Eine Abhandlung über den Einfluss von Cruyff bei Barcelona bräuchte (…) mindestens ein Buch. Ohne Cruyff gäbe es dieses Barça nicht.“
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Hierzulande wird Johan Cruyff vor allem mit der WM 1974 assoziiert. Auch des Autors Interesse an Cruyff begann mit dem Turnier in Deutschland. Vor einigen Jahren feierte meine Schule, das Städtische Gymnasium Kamen, seinen 150. Geburtstag. Die Schule lud mich ein, einen Beitrag für die Festschrift zu schreiben. Als Titel meiner Erinnerungen wählte ich: „Herr S., Johan Cruyff und ich.“ „Herr S.“ war ein rechtsradikaler Lehrer, mit dem ich mich als Schülersprecher heftig rieb. Johan Cruyff war mein fußballerisches Idol – und noch mehr.
Wir waren eine „ent-nationalisierte“ Generation, und der Finalsieg von München löste bei uns nicht annähernd die Begeisterung aus wie bei der Generation unserer Eltern das „Wunder von Bern“. (Das bei meinen Eltern allerdings auch keine Begeisterung auslöste, weil sie sich nicht für Fußball interessierten. In den Betrachtungen von 1954 bleibt häufig unerwähnt, dass ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung das Turnier in der Schweiz überhaupt nicht wahrnahm.)
Johan Cruyff und Co. bestritten fünf ihrer sieben WM-Auftritte in meiner westfälischen Heimat – drei in Dortmund und zwei in Gelsenkirchen. Und ihr Hauptquartier war das Waldhotel Krautkrämer in Hiltrup vor den Toren Münsters. 34 Jahre später schrieb Klaus Brinkbäumer im „Spiegel“ über die damalige Stimmung im Münsterland: „Hiltrup ist nicht so bekannt. Es gibt eine Marktallee dort und das Eiscafé Martini. Hiltrup hat den Dortmund-Ems-Kanal, die Polizeiführungsakademie, das Waldhotel Krautkrämer und den Sportplatz Hiltrup-Ost, der heute erstaunlicherweise Glasurit-Arena heißt. Kein Mensch jenseits des Münsterlandes kennt Hiltrup. Aber Cruyff und die Holländer verbrachten die WM ’74 in Hiltrup. Im Waldhotel Krautkrämer. Cruyff hatte lange Haare und guckte stolz. Siebenjährige Hiltruper Jungs verbrachten jenen verregneten Sommer ’74 vor dem Waldhotel und auf dem Sportplatz Hiltrup-Ost, wo sie die Trainingsbälle aus dem Wäldchen fischten, und auf Wiesen, wo sie Hollands Siege nachspielten. Die Nummer 14 nannten sie ‚König Johan’, und der trug nur zwei Streifen auf dem Trikot und nicht drei, weil er auch ein Rebell war. Johan Cruyff sagte scharfe Sachen: ‚Wenn ich gewollt hätte, dass Sie’s verstehen, hätte ich es besser erklärt’, so redete Johan Cruyff. Er schrieb auf dem Parkplatz Autogramme: raumgreifend, schnell, er schrieb, wie er spielte. Für Hiltruper Jungs war es nicht einfach, im Sommer ’74 für Deutschland zu sein, denn Holland in Hiltrup, das war eine Verheißung. Cruyff, Neeskens, Rep, Rensenbrink waren die Besten der Welt, und leider wussten sie es.“
Im Finale drückte ich den Niederländern die Daumen – mein schlechtes Gewissen hielt sich dabei in Grenzen. Als ich vier Jahre später nach einigen Umwegen und Verlängerungen schließlich mein Abitur baute, stand erneut eine WM auf dem Programm.
Titelverteidiger Deutschland spielte nach einer peinlichen 2:3-Niederlage gegen Österreich nicht einmal im „kleinen Finale“. In der Festschrift meines Gymnasiums schrieb ich nun 30 Jahre später: „Mich berührte das nicht sonderlich, da ich mit ‚unserer’ Nationalmannschaft bereits während der WM 1974 abgeschlossen hatte. Seit der Begegnung Niederlande gegen Brasilien im Dortmunder Westfalenstadion galt meine Liebe der niederländischen Elftal, die mit ihrem totaal voetbal meine damalige Lebensphilosophie ausgiebig bediente. Totaal voetbal basierte auf einer Theorie vom ‚flexiblen Raum’ und hätte auch in unseren Physik- und Kunstunterricht eingehen müssen. Mein Idol war ‚König’ Johan Cruyff, der zum Ende des 20. Jahrhunderts zu Recht zum ‚europäischen Jahrhundertfußballer’ gekürt wurde (vor dem deutschen ‚Kaiser Franz’). Cruyff, den der ‚Times’-Journalist David Miller ‚Pythagoras in Fußballschuhen’ taufte, und seinen Mitspielern war es gelungen, eine Verbindung zwischen Kollektivismus und kreativem Individualismus zu realisieren, womit er unser Programm repräsentierte. Für viele Niederländer (aber auch einige Deutsche) war die schmächtige, kettenrauchende Gestalt aus einem Kleineleute-Viertel des Amsterdamer Ostens mehr als ‚nur’ ein Fußballer, nämlich Repräsentant einer kulturellen, politischen und sozialen Revolution, die unser Nachbarland in den 1960ern von einem eher rückständigen Gebilde zu einer der progressivsten Adressen in Europa transformierte.
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