Dietrich Schulze-Marmeling
DER FALL ÖZIL
Über ein Foto, Rassismus
und das deutsche WM-Aus
Mit Beiträgen von Diethelm Blecking,
Robert Claus, Ilker Gündogan
VERLAG DIE WERKSTATT
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www.werkstatt-verlag.deAlle Rechte vorbehalten Coverabbildung: imago sportfoto Satz und Gestaltung: Die Werkstatt Medien-Produktion GmbH
ISBN 978-3-7307-0433-2
Inhaltsverzeichnis
Prolog
Vorwort
KAPITEL 1 Deutsche, Einwanderer und der Fußball
KAPITEL 2 Özil, Gündogan und die deutsche Nationalelf
KAPITEL 3 Ein Foto und seine Folgen
KAPITEL 4 Doppelpass: Türkischer Nationalismus und deutscher Rassismus
KAPITEL 5 Ex-Fußballer als Stammtischproleten
KAPITEL 6 In Russland
KAPITEL 7 Woran lag es? Ja, woran lag es?
KAPITEL 8 Kein Neuanfang
ANHANG Botschafter wider Willen? Fußballer im Kontakt mit Politikern (Ilker Gündogan)
Deutsch dank Özil (Robert Claus)
Fußball und Migration in Deutschland (Diethelm Blecking)
Migrantische Ehrenliste der deutschen Fußballnationalmannschaft
Erklärungen von Mesut Özil und des DFB im Wortlaut
Autoren
Fotos mit Folgen: Oben Ilkay Gündogan und Mesut Özil mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan im Mai 2018, unten Mesut Özil mit Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem Länderspiel gegen die Türkei in Berlin, Oktober 2010. Fotos: Getty images (o), picture alliance (u)
Prolog
„Wenn es gut läuft, sind wir Deutsche. Wenn es schlecht läuft, sind wir Ausländer.“
Jérôme Boateng
„Kennen Sie die Lebensgeschichte von Fibs??? Fibs ist eine Ratte, die im Pferdestall geboren wurde. Fibs ist aber kein Pferd. Ich werde es nie begreifen, warum Türken überhaupt in der Nationalmannschaft spielen dürfen.“
AfD-Sympathisant in einem Blog
„Die Pegida-Atmosphäre im Land hat nun auch Löws Truppe erreicht, die sich offensiv als Symbol für das moderne, multikulturelle Deutschland inszenierte, als kickende Willkommenskultur.“
Markus Feldenkirchen im „Spiegel“
„Was soll daran Rassismus sein, wenn man Fußballer für Fotos mit einem Despoten kritisiert? Nein, das ist sicher kein Rassismus. Aber viele Kommentare sind rassistisch. Diesen Teil der Debatte lassen sie beim DFB fast völlig an sich vorbeirauschen.“
Claudio Catuogno in der „Süddeutschen Zeitung“
„Viele junge Menschen mit Migrationsgeschichte werden jetzt das Gefühl haben, du bist nur so lange akzeptiert, solange du Leistung bringst. Dieses Gefühl wurde in den letzten Jahren immer wieder bestärkt, beispielsweise durch Debatten, ob der Islam zu Deutschland gehört oder nicht. Viele Migrantinnen und Migranten sagen jetzt: Mesut spricht uns aus der Seele, denn wir machen diese Erfahrungen tagtäglich – und jetzt hat es sogar einen Nationalspieler erwischt.“
Serap Güler (CDU), Staatsekretärin im Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen, zum Rücktritt von Mesut Özil
„Es sind vor allem die Interpretationen, die das Thema so emotional werden lassen – und diese Interpretationen deuten vielleicht wirklich auf ein verändertes Klima in der Gesellschaft hin. Was Mesut und Ilkay gemacht haben, ist das eine. Das andere ist, wie die Symbolik aufgegriffen wird – auch von Parteien und in Teilen der Medien, die sich mit den Themen beschäftigen, die in der Gesellschaft brodeln.“
Oliver Bierhoff
„Ich habe dem Bundespräsidenten gesagt, dass ich mich zu Deutschland und der deutschen Nationalmannschaft bekenne, aber durch meine Familie auch eine türkische Seite in mir habe. Ganz ehrlich, ich respektiere die Liebe meiner Eltern zu ihrer Heimat und zu ihrem Dorf, in dem auch meine Großeltern noch leben und das für meine Familie ein zweites Zuhause nach Gelsenkirchen ist. Ich verstehe die Kritik an meinem Handeln. Aber es hat mich persönlich sehr getroffen, mir vorwerfen zu lassen, dass ich unsere Werte nicht respektiere. Ich bin deutscher Staatsbürger, der die Nationalhymne singt. Aber was für mich viel wichtiger ist: Meine Kinder werden in diesem Land leben, das meiner Familie faire Chancen gegeben hat.“
Ilkay Gündogan
„Bei der Frage, ob ich für Deutschland oder die Türkei spielen wollte, musste ich mich festlegen. Da war diese Ausschließlichkeit logischerweise unumgänglich. Aber sonst gefällt mir dieses Drängen nicht. Man kann durchaus Teil zweier Kulturen sein. Man kann durchaus auf zwei Kulturen stolz sein. Ein Herz kann sowohl türkisch als auch deutsch schlagen. Man kann deutsch denken und zugleich türkisch fühlen. So funktioniert Integration. Mit gegenseitigem Respekt, wie bei einer starken Fußballmannschaft.“
Mesut Özil
„Heimat gibt es auch im Plural.“
Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident
Vorwort
Am Sonntag, 22. Juli 2018, eine Woche nach dem Finale der WM in Russland, trat Mesut Özil aus der deutschen Nationalmannschaft zurück. Özil war eine wichtige Säule des Teams gewesen, das den Fußball der Nationalelf auf ein neues Niveau gehoben hatte. Mit dem Ergebnis, dass Deutschland bei der WM 2010 Dritter und 2014 Weltmeister geworden war. In der Rangliste der deutschen Nationalspieler belegte Özil mit 92 Einsätzen Rang 21 – von den Spielern mit Migrationshintergrund liefen nur Lukas Podolski und Miroslav Klose noch häufiger für die DFB-Elf auf.
Für seinen Rücktritt machte Özil die rassistische Kampagne gegen seine Person verantwortlich: „Mit schwerem Herzen und nach langer Überlegung werde ich wegen der jüngsten Ereignisse nicht mehr für Deutschland auf internationaler Ebene spielen, solange ich das Gefühl von Rassismus und Respektlosigkeit verspüre.“ Özil kritisierte scharf den DFB-Präsidenten Reinhard Grindel, der keinerlei Anstalten unternommen hatte, den Spieler gegen rassistische Attacken öffentlich zu schützen, sondern die Stimmung gegen ihn eher noch geschürt hatte.
Ausgangspunkt war ein Fotoshooting von Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit dem türkischen Präsidenten Recep Erdogan gewesen. Einige Wochen vor dem Anpfiff der WM 2018 hatte diese Aktion für Aufregung gesorgt und die Turniervorbereitung überschattet. Die demokratische Öffentlichkeit war empört, dass sich die beiden Fuß-baller in den Dienst von Erdogans Wahlkampf gestellt hatten. Zumal bei einem Wahlsieg des Autokraten das endgültige Ende des Rechtsstaats in der Türkei drohte. Zudem hatte einer der Spieler Erdogan auch noch „mein Präsident“ genannt, was vor allem den nationalistischen Teil der Öffentlichkeit auf die Barrikaden trieb – und somit ausgerechnet jenen Teil, der mit Demokratie wenig am Hut hat.
DFB-Präsident Reinhard Grindel gab nach dem Treffen der beiden Nationalspieler mit Erdogan zu bedenken: „Der Fußball und der DFB stehen für Werte, die von Herrn Erdogan nicht hinreichend beachtet werden.“ Was diese Werte waren, blieb unklar. Sofern es sich dabei um Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sowie Anti-Diskriminierung handelte, hatten auch andere Akteure des nationalen Fußballs diese „Werte“ nicht hinreichend beachtet. So beispielsweise „Ehrenspielführer“ Lothar Matthäus, der keine Probleme mit Fotoshootings mit Wladimir Putin, Viktor Orban und dem tschetschenischen Tyrannen Ramsan Achmatowitsch Kadyrow hatte. Aber während ernsthaft diskutiert wurde, Özil und Gündogan aus dem WM-Kader zu streichen, kam niemand auf die Idee, Lothar Matthäus den Titel „Ehrenspielführer“ zu entziehen.
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