Helmut Lauschke - Sprachhänge und Sprechlänge

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Das Brechen der Steine kostet viele Arme und Beine, manchen fallen die Spitzhacken aus den Händen, und die Schwächsten werden ihre Opfer. Abgeblättert sind Jahre in verstopften Rinnsteinen gesprengter Straßen. Mützen liegen neben zerrissenen Hosen und aufgerissenen Schuhen an weggeschossenen Beinen.
Leere Taschen der Verzweiflung sind festgefroren am Boden eines eisig fremden Winters. Daneben liegen abgebrochene Zigaretten, beschriebene Zettel und verknitterte Briefstücke unter dem Eis. Aus einer Brusttasche werden zwei Fotos gezogen, das eine mit dem Kopf einer alten Frau, das andere mit einer jungen Frau. Im untersten Taschenwinkel steckt noch ein Kreuz, wie es Mütter ihren Söhnen mit auf den Weg gaben.
Nur wenig weiter reihen sich die Urnen, das werden sie auch in Zukunft tun. Dann der Jugend andere Träume, hört die Uhren ticken noch, doch andere sind schon still. Knoten reißen mit den Jahren und Mäntel fallen von den Nägeln, nicht anders geht's mit roten Roben, denn neue Zeiten gehn in neuen Schuhen mit neuen schwarzen Senkeln fest verschnürt. Von den Köpfen ziehen abgegriffene Mützen, die ihr Haar in dem, was war, verloren haben.
Das Gedicht als Botschaft versucht, die Ketten der Kerkerung zu sprengen und aus dem Paradies der Freiheit zu berichten. Hoffnung ist das größte Angebot, es anzunehmen, ist die größte Chance, es auszuschlagen, bleibt die größte Tragik.
Die Ansagerin sprach russisch durch den Lautsprecher. Darauf sagte Ilja Igorowitsch: «Mein Sohn, du musst gehn. Komm, lass dich umarmen; wer weiß, ob ich es noch einmal kann.» Boris beugte sich zum Vater herab, der den linken Arm um den Hals des Sohnes legte, ihn fest an sich drückte und mehrere Male seine Stirn küsste. Dann ließ er ihn los , als gäbe er ihn endgültig frei. Ilja Igorowitsch zog ein angeknittertes Schwarzweißfoto aus seiner linken Jackentasche: «Nimm das Foto und hüte es! Es ist meine Mutter Katharina Zwetlana Baródin. Du sollst das Foto deiner Großmutter haben, deren Namen du trägst.»

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Helmut Lauschke

Sprachhänge und Sprechlänge

Ansichten, Erinnerungen, Gedanken

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Inhaltsverzeichnis Titel Helmut Lauschke Sprachhänge und Sprechlänge - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Helmut Lauschke Sprachhänge und Sprechlänge Ansichten, Erinnerungen, Gedanken Dieses ebook wurde erstellt bei

Das Kreuz als Wegekreuz des Schicksals Das Kreuz als Wegekreuz des Schicksals Ansichten, Erinnerungen, Gedanken Das Beste im Bild wie in der Dichtung kommt im Traum. Wem der Griff an der Rolle entgleitet Gespräche mit Spitzhacken in den umliegenden Hängen beginnen unten. Oben haben die Hände Schwielen und die Füße Risse mit reißenden Schmerzen in den Waden und Köpfen. Das Brechen der Steine kostet viele Arme und Beine, manchen fallen die Spitzhacken aus den Händen, und die Schwächsten werden ihre Opfer. Da ist wirklich ein Seil zwischen den Welten gespannt, das hoch den Abgrund überquert. Wem der Griff an der Rolle der Seilbahn entgleitet, fällt zwischen den Welten ins Nichts und bricht in tausend Stücke. Keiner wird ihn am Namen wiedererkennen. Hinter dem Salzstrauch liegen Muschel und Perle und daneben eine grünfleckige Mütze ohne Kopf. Wer kann es sein, dem die Schlinge umgehängt wurde und zwei andere, denen die Köpfe erhalten geblieben sind, dafür dem einen der Arm und dem andern die Beine abhanden kamen? Da gehen die Rillen im Stein doch weiter zurück. Aus Schalen blättern Worte, aus >geschälten< Hirnen fliehen die Gedanken, aus Mündern brechen Zähne, über die Lippen rinnt das Blut. Abgeblättert liegen Jahre mit den Jahreszeiten in verstopften Rinnsteinen gesprengter Straßen. Mützen liegen neben zerrissenen Hosen und aufgerissenen Schuhen an weggeschossenen Beinen. Leere Taschen der Verzweiflung sind festgefroren am Boden eines eisig fremden Winters. Daneben liegen abgebrochene Zigaretten und beschriebene Zettel, verknitterte Briefstücke unter dem Eisglas konserviert. Aus einer Brusttasche werden zwei Fotos gezogen, das eine mit dem Kopf einer alten Frau, das andere mit einer jungen. Im unteren Winkel der Tasche steckt noch ein Kreuz, wie es Mütter ihren Söhnen mit auf den Weg gaben. Das Kreuz als Wegekreuz des Schicksals, doch die Entscheidung ging den Kreuzträgern längst voraus. Vieles liegt noch unter brechenden Schollen verborgen.

Abgegriffene Mützen ziehen von den Köpfen Abgegriffene Mützen ziehen von den Köpfen Der Augenfalter sinkt herab, legt sich schräg aufs angewelkte Blatt. Beide Flügel sind ermattet, verschattet schwindet auch der Kopf. Nicht weit von ihm stehen braune Krüge, nicht voll gefüllt mit frischem Wasser. Die Dämmerung bricht ein, blass werden Licht und Falter. Nur wenig weiter reihen sich die Urnen, das werden sie auch in Zukunft tun. Aschenpfad und Scherbenplatz, dann der Jugend andere Träume, hört die Uhren ticken noch, doch andere sind schon still. Knoten reißen mit den Jahren und Mäntel fallen von den Nägeln, nicht anders geht’s mit roten Roben und den Schleifen, denn neue Zeiten gehn in neuen schwarzen Schuhn mit neuen schwarzen Senkeln fest geschnürt. Streifen ziehn Vergangenheit hinterher, abgegriffene Mützen ziehen von den Köpfen, die ihr Haar in dem, was war, verloren haben.

Hoffnung ist das größte Angebot Hoffnung ist das größte Angebot Die Offenbarung eines Geheimnisses möchte das Gedicht sein. Es schließt die große Zahl von Versuchen ein, sich mitzuteilen, den Andern im Anderssein zu finden und ihn aus dem Schlaf zu wecken. Das Auf-ihn-Zugehen soll ihm helfen und ihn trösten, den das Leben so ins Elend gedrückt hat, dass er an Einsamkeit und Hunger leidet. Dazwischen geraten die Worte des Gedichts, sie säubern, verbinden die Wunde und geben den Zuspruch, solange der Kranke und Verletzte die Hilfe braucht. Und es steht außer Frage, dass es die vielen Menschen sind, die Zuspruch und Hilfe brauchen, weil sie in der blanken Not und an der Einsamkeit ersticken und keinen Ausweg sehen. Das Gedicht als Botschaft versucht, die Ketten der Kerkerung zu sprengen und aus dem Paradies der Freiheit zu berichten und von dort Licht in die Dunkelheit zu bringen. Hoffnung ist das größte Angebot, es anzunehmen, ist die größte Chance, es auszuschlagen, bleibt die größte Tragik.

Die Geschichte schreiben andere Die Geschichte schreiben andere Steilstufig stürzt das Wasser in die Tiefen, stumpf raunen die Stimmen, die nach oben riefen. Dazwischen, es ist kantig und scharf, gibt es Schläge von Stufe zu Stufe anders und manchmal mit Säge. Menschen mögen Blumen, doch Blumen mögen keine Menschen, die Blumen brechen und sie vertrocknen lassen. Es ist die Verzweiflung, die von den Fesseln nach oben steigt und mit dem Finger hoch zum Himmel zeigt. Dass Bäume nicht in den Himmel wachsen, das kommt den Zweifelsköpfen nicht in den Sinn. An den Fronten mit den Gräben brechen Achsen über Achsen, und das mit den Verlusten bringt dem Schürer den geplanten Gewinn. Nun werden noch neue Gleise gelegt, die zur Einwelt mit dem Superhochhaus führen. Wer sich da ganz oben mit dem letzten Sagen hält, bleibt hinter dem Fenster und lässt sich nicht stören. Denn die Geschichte schreiben andere, nicht die, die sie mit dem Leben bezahlen, oder die, die da vorn mit ihren Reden auf erhöhten Bühnen stehen. Man kann es sehen, die Redenhalter beginnen zu wackeln, sie stolpern, stottern und vergehen.

Die Klippenprofile brechen von den Kanten weg Die Klippenprofile brechen von den Kanten weg Innere Erkenntnis und Ketten außen, es ist der Alltag im Leben der Völker. Kerkerung der Gedanken und Meinung, Schmerz der Ohnmacht, die Ketten zu sprengen. Ansichten geben nicht die Aussicht frei mit Blick in die Weite von Landschaft und Leben. Gut und Böse stoßen heftig aufeinander und zerren sich entzwei, das tun sie seit Menschengedenken. Darum spricht Sprache nicht nur in Worten, die man unterschiedlich versteht an unterschiedlichen Orten. Man spricht in Gebärden und mit Zeichen, denn das, was zu sagen ist, darf dialektisch nicht verweichen. Aus der Asche verbrannter Völker soll das Neue entstehn, deren Ideen und Schöpfungen und Gedanken über die Zeiten hinaus reichen. Wie soll es mit den Gebärden, Bildern und Gestalten weitergehn, ob im hellen Tageslicht oder den nächtlichen Dämmerzeichen? Vieles ist traumhaft verschleiert und wird verschleiert bleiben. Da brechen Klippenprofile alter Denkmäler von den Kanten weg.

Obwohl menschlich der gerade Weg zu denken und zu gehen wäre Obwohl menschlich der gerade Weg zu denken und zu gehen wäre Das Bekenntnis, welcher Art auch immer, kann dem hinterherlaufenden Vorwurf nicht entkommen. Viele Bekenntnisse richten sich gegen die Gefangennahme der unmenschlichen Art der Gefangenschaft. Es ist der menschliche Geist, der sich mit den hohen, stacheldraht- und elektrisch bewehrten Mauern und Zäunen nicht abfindet und nicht abfinden kann, weil ihm diese Art der Kerkerung die Gedankenbewegung unterdrückt. Zwar gibt es Wege der besseren Erkenntnis, die sich auch theoretisch folgerichtig aufzeigen lassen. Doch die praktische Erklärung bleibt kümmerlich oder aus, weil sich gerade in Bezug auf die Freiheit die theoretische Erkenntnis nicht in die Praxis dieser Zeit umsetzen lässt. Die Aufrichtigkeit des Charakters hilft da nicht weiter, denn gerade die ist es, die mutwillig und verbrecherisch missverstanden und in das Gegenteil missbraucht wird, was die fürchterlichsten Quälereien für diesen Charakter zur Folge hat. So geht gedanklich die Mutmaßung in die entgegengesetzte Richtung, obwohl menschlich der gerade Weg zu denken und zu gehen wäre.

Wellen schlagen über Menschen hoch Wellen schlagen über Menschen hoch Wir geben die Schwüre der Steine, des Sandes, wir gehen alleine und wenn’s sein muss außer Landes. Wir sammeln Muscheln, Gräten und Knochen, Geldmächte werden Völker in tiefste Armut unterjochen. Graue Haare winden und wirbeln umher, die Lasten der Zeiten mit den Kriegen wiegen schwer, dass man sie schweigend verdammt und abschwört, doch ohne dass der mit der großen Schuld da hinhört. Schwören, hören, zerstören, eng stehen die Ören beieinander. Über uns schweben die düsteren Warnzeichen der Vernichtung, viel zu schnell bahnen sich Flammen die Lichtung. Windstöße brechen aus Wirbelstürmen heraus, schon brennen Städte und das alte Haus. Wo bleibt denn der Stoß zur Umkehr, dass das stürmende Vibrato sinke ins Meer? Mitternacht und Träume, und was sonst noch ist wie Busch und Bäume. Urkraft steige auf, dass die Welle schäume!

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