Steffen König - Die Dämonen vom Ullswater

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Ein fremdartiges Kristallartefakt und der Hilferuf eines Freundes verschlagen den jungen Londoner Anwalt Alan David Walden im Sommer des Jahres 1894 in die Grafschaft Cumberland.
Irgendetwas scheint hier ganz und gar nicht in Ordnung zu sein, denn sein Freund ist verschwunden, ein junges Pärchen wird vermisst und nachts erscheinen seltsame Lichter am Himmel.
Zusammen mit einem trinkfesten alten Kauz und einem selbstgefälligen Konstabler stößt er inmitten der Wälder Cumberlands auf ein wahrhaft kosmisches Grauen.

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Prolog

1. Ein Brief aus Paris

2. Das Artefakt

3. Der alte Mann

4. Feuer am Himmel

5. Der Krater

6. Die Fremden

7. Traumwelten

8. Der Bienenstock

9. Die Krone der Schöpfung

10. Nicholas

Epilog

Danksagung

Impressum neobooks

Die Dämonen vom Ullswater

Steffen König

Sie durchmaßen die Fernen der Sterne und

auch die Erde kannte ihre Schritte.

Kitab al-Azif, ca.730 n. Chr.

Prolog

Erst jetzt, kurz nach den grauenhaften Ereignissen, die sich auf der Horsell-Weide bei Woking zutrugen und die in ihrem Verlauf Tod und Zerstörung über die Menschheit brachten, wird mir schmerzlich die Bedeutung jener bizarren Geschehnisse bewusst, deren unfreiwilliger Zeuge ich im Sommer des Jahres 1894 wurde. Konfrontiert mit dem schier Unglaublichen, mit Tatsachen, die mein Weltbild erschütterten, musste ich damals verbittert erkennen, dass jeglicher Versuch, meinen Mitmenschen die wahre Natur jener ungewöhnlichen Meteoritenfälle am Ullswater zu enthüllen, nur auf Unglaube und Ablehnung stieß und damit zum Scheitern verurteilt war.

In den Jahren vor dem großen Erwachen taumelte die Menschheit, berauscht von den Früchten der Wissenschaft, in ein neues, goldenes Zeitalter des Fortschrittes. Die stählernen Straßen der neu erbauten Eisenbahnlinien umspannten ganze Kontinente, Dampfschiffe durchpflügten unabhängig von Wind und Wetter die Ozeane der Erde und Telegrafen sandten Nachrichten pfeilschnell um den Globus. Doch verglichen mit den Jahrtausenden, in denen unsere Vorfahren in ihren klammen, dunklen Höhlenbehausungen dahingedämmert hatten, beflügelte das aufgeklärte, analytische Denken erst verhältnismäßig kurze Zeit den Geist des Menschen. Somit war es kaum verwunderlich, dass sich der intellektuelle Teil der Menschheit zunächst mit rein irdischen Problemen befasste. Die kalten, sternerfüllten Weiten des Weltraumes hingegen waren höchstens Gegenstand hitziger, philosophischer Diskussionen in den Rauchersalons vornehmer Herrenclubs oder wurden von den Gelehrten als Manifestation einer gigantischen, hochkomplexen Himmelsmaschinerie angesehen, die sich nach descartesscher Manier vermessen und kartieren ließ. Niemand dachte auch nur im Traum daran, dass sich uns beim Anblick des nächtlichen Sternenhimmels eine belebte, interstellare Wildnis offenbarte, eine kosmische Menagerie, bevölkert mit verbitterten Wesen, die verdammt dazu waren, ihren Kampf ums Dasein hinaus in die dunkle Leere des Alls zu tragen. Der Mensch, eitel und selbstsicher, ahnte nicht, wie verführerisch sein warmer, wasserreicher Stern am Firmament jener belebten, aber sterbenden Welt strahlte, die nicht unweit seiner eigenen ihre Bahnen durch den Äther zog.

Bereits kurz nach dem Eintreffen der ersten, alarmierenden Meldungen aus Woking wurden meine düsteren Prophezeiungen zur quälenden Gewissheit. Erinnerungen an jenen schicksalhaften Sommer sieben Jahre zuvor verbanden sich plötzlich auf erschreckende Weise mit aktuellen Geschehnissen. Etwas brannte sich mir ins Bewusstsein, eine Erkenntnis, die mich seitdem in einem Käfig nagender Schuldgefühle gefangen hält.

Jene ahnungslosen Schaulustigen, die auf der Horsell-Weide verbrannt waren, die zahlreichen Soldaten, erstickt im schwarzen Rauch, und all die Unglücklichen, die später in den Städten verendet waren, sie alle könnten noch leben, hätte man meinen Worten Glauben geschenkt und jene bizarren Vorkommnisse am Ullswater als das akzeptiert, was sie waren: als Vorboten eines millionenfachen Todes.

A. D. Walden, London, Dezember 1901

1. Ein Brief aus Paris

Im Sommer des Jahres 1894 stöhnte ganz England unter einer der heftigsten Hitzewellen des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Die unerträglichen Temperaturen verwandelten die größeren Städte langsam in glühende Backöfen und lähmten die sonst so rege Geschäftigkeit ihrer Bewohner. Wer konnte, packte die Koffer, fuhr zu Freunden und Verwandten aufs Land oder an die Küste. Die Seebäder von Bournemouth, Brighton und Weymouth wimmelten von Ausflüglern und Kurgästen, die in den kühlen Fluten des Kanals Zuflucht suchten. Viele küstennahe Pensionen und Hotels waren restlos ausgebucht. Aufmerksame Leser der Times und des Daily Telegraph bemerkten in jenen Tagen die ungewöhnlich hohe Anzahl von Anzeigen, in denen nach allerlei Aushilfen für die Schankstuben, Cafés und Biergärten an den Stränden zwischen Christchurch und Lyme Regis gesucht wurde.

Ich arbeitete zu dieser Zeit für eine kleine Anwaltskanzlei in London. Vor nicht ganz zwei Jahren hatte ich mein Studium der Rechtswissenschaften an der Universität von Exeter erfolgreich beendet und anschließend meine langjährige Verlobte Sophie geheiratet. Dem Rat meines Vaters folgend, waren wir kurz darauf nach London gezogen, wo ich, nach unzähligen Absagen, schließlich eine Anstellung bei der angesehenen Kanzlei Handson & Penncroft gefunden hatte.

Die Räumlichkeiten meines Arbeitgebers, dessen wohlklingender Firmenname nicht vermuten ließ, dass Mr Handson, ein begüterter Fabrikantensohn aus Manchester, nur stiller Teilhaber und sporadischer Geldgeber war, belegten die oberen zwei Stockwerke eines grauen Bürogebäudes am westlichen Ende der Fleet Street. Die günstige Lage in unmittelbarer Nähe zu den bedeutendsten Blättern der englischen Presse und Penncrofts ausgezeichnete Kontakte zur Londoner Finanzwelt versorgten das kleine Unternehmen mit einem stetigen Strom zahlungskräftiger Mandanten. Ich konnte mich über mangelnde Arbeit wahrlich nicht beklagen.

An jenem Tage, an dem die schicksalhafte Verkettung von Ereignissen begann, die mich meiner naiven Weltsicht berauben sollte, schrieb ich gerade an einigen Bemerkungen zu einem meiner letzten Fälle. Feine Sonnenstrahlen fielen durch die schweren, halb zugezogenen Vorhänge meines Arbeitszimmers und zeichneten leuchtende, geometrische Muster auf den Teppich vor meinem Schreibtisch. Die Geräusche klappernder Hufe und rasselnder Fuhrwerke drangen von der Straße herauf. Schon seit dem frühen Vormittag kämpfte ich mit einer quälenden Müdigkeit, die zweifellos eine Folge der ungewöhnlich hohen Temperaturen und meines damit verbundenen unruhigen Nachtschlafes war.

Resigniert legte ich den Bleistift aus der Hand und starrte auf das halb beschriebene Blatt Papier, das vor mir auf dem Tisch lag und die jämmerliche Ausbeute von knapp zwei Stunden Arbeit darstellte. Seit mehreren Tagen brütete ich nun schon über ein und demselben Absatz, ohne dabei nennenswert vorangekommen zu sein. Die gottlose Hitze raubte mir den letzten Funken Konzentration und ich hegte nicht den geringsten Zweifel, dass auch diese Fassung am Ende des Tages wieder in den Papierkorb wandern würde. Frustriert stand ich auf und trat zum Fenster. Unter mir pulsierte das urbane Leben. Droschken und Omnibusse wetteiferten mit waghalsigen Radfahrern um den begrenzten Platz auf der Straße und die Bürgersteige wimmelten von gut gekleideten Passanten, dahineilenden Botenjungen und bepackten Dienstmädchen. Hier und dort ragten schreiende Zeitungsverkäufer aus der Menge hervor, von den dahin strömenden Menschenmassen umspült wie Steine in einem Flussbett. Darüber, jenseits des hektischen Treibens, hing flimmernd und schwer der schmutzig gelbe Dunst des industriellen Londons und ließ in der Ferne die Konturen der St. Paul’s Cathedral verschwimmen.

Mühsam unterdrückte ich ein Gähnen. Die Erschöpfung steckte mir in den Knochen. In der letzten Nacht hatte ich nur wenige Stunden geschlafen, ebenso wie in den Nächten zuvor. Ich dachte an die Berge von Akten, die sich auf meinem Schreibtisch türmten und durch die ich mich noch für meinen Abschlussbericht zu kämpfen hatte.

Ich blickte zur Kaminuhr. Die Zeiger schienen an diesem Vormittag besonders träge über das Zifferblatt zu kriechen. Bis zum Lunch blieben noch fast zwei Stunden. Ich wusste, wenn ich nicht bald einen klaren Kopf bekäme, würde mich mein an Apathie grenzender Zustand bis zum Ende der Woche unweigerlich unter Bergen von unerledigtem Papierkram begraben haben. So weit wollte ich es nicht kommen lassen. In der Frühe hatte Mrs Chadwick, Penncrofts Sekretärin, wie üblich eine große Kanne Schwarztee gebrüht. Ich hoffte, drei bis vier Tassen würden ausreichen, meinen trägen Geist soweit zu beleben, dass ich wenigstens den Abschlussbericht zum Bradshaw-Fall beenden konnte.

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