Davidson drehte an einem großen Handrad und beobachtete dabei abwechselnd das Artefakt und zwei kleine Zeigerinstrumente, die am Transformator angebracht waren. Noch immer war mir nicht ganz klar, was er eigentlich vorhatte. Mein Gastgeber schien jedoch meine Irritation bemerkt zu haben und fühlte sich genötigt, ein Wort der Erklärung abzugeben. »Sehen Sie«, und dabei deutete er auf die Stromleitungen, die sich quer durch sein Labor schlängelten. »Ich entnehme Elektrizität aus dem städtischen Stromnetz und speise sie in diesen Transformator ein. Mithilfe dieser Stellräder hier bin ich in der Lage, Stromstärke und Spannung beliebig zu variieren. Die so umgespannte Elektrizität leite ich dann direkt in die Spitze des Kristalls.«
Davidsons Ausführungen klangen einleuchtend, aber dennoch konnte ich mich des Eindruckes nicht erwehren, dass der Mann, anstatt seriöse Forschung zu betreiben, nur seinem Spieltrieb frönte. Aber vielleicht verkannte ich ihn. Vielleicht war dies sein letzter, verzweifelter Versuch, dem seltsamen Objekt doch noch seine Geheimnisse zu entreißen. Ich hoffte nur, er wusste, was er tat. Davidson, der meinen skeptischen Gesichtsausdruck scheinbar nicht bemerkt hatte, setzte unbekümmert seine Erläuterungen fort.
»Wenn nun die Leuchterscheinung, die wir hier beobachten, auf herkömmliche Phosphoreszenz zurückzuführen ist, dann dürfte nach dem Anlegen einer Spannung keinerlei Veränderung zu beobachten sein. Sollte sich jedoch die Intensität des emittierten Lichtes verändern, können wir davon ausgehen, dass wir es hier mit Elektrolumineszenz zu tun haben. In diesem Falle wäre anschließend die Frage zu klären, woher der Kristall die elektrische Energie bezieht, um eigenständig zu leuchten. Aber lassen Sie uns einen Schritt nach dem anderen machen.«
Davidson betätigte eines der Stellräder an der Vorderseite des Transformators. »Ich erhöhe jetzt langsam die Spannung.«
Die Zeiger der Strom- und Spannungsmessgeräte erwachten zitternd zum Leben und begannen, träge über ihre Skalen zu kriechen. Gespannt blickte ich zu dem Artefakt hinüber, das zunächst aber keinerlei Veränderung zeigte. Davidson drehte das Stellrad weiter. Nichts passierte. Noch immer glomm der Kristall mit gleichbleibender Helligkeit. Ich schaute zu meinem Gastgeber, der meinen fragenden Blick sofort mit einer beschwichtigenden Geste quittierte. »Nicht ungeduldig werden, junger Mann. Beobachten Sie nur ruhig weiter unser Versuchsobjekt. Ich habe noch nicht einmal ein Viertel der mir zur Verfügung stehenden Leistung durch die Kabel gejagt.«
Mit diesen Worten drehte er das Stellrad bis zum Anschlag. Ein tiefes, bösartiges Brummen drang aus dem Transformatorengehäuse und ich trat erschrocken einige Schritte zurück. Davidson bedachte mich mit einem mitleidigen Lächeln und konzentrierte sich danach wieder auf seine Armaturen. Im selben Moment geschah etwas mit dem Artefakt. Das bisher schwache, blaue Leuchten aus dem Inneren des Kristalls nahm sichtbar an Intensität zu und schwoll innerhalb von Sekunden zu einem blendend hellen Schein. Während Davidson mit einer Hand seine Augen abschirmte, wühlte er mit der anderen aufgeregt in einer Schublade. Zum Vorschein brachte er ein Paar Schutzbrillen mit getönten Gläsern, von denen er mir ein Exemplar reichte.
Durch die dunklen Gläser der Brille geschützt, schaute ich mich um. Das ganze Labor war vollständig von einem grellem Strahlen erfüllt und schwere, dunkle Schlagschatten zeichneten sich gespenstisch an den Wänden ab. Davidson stand wie gebannt in diesem Meer aus Licht und starrte fasziniert zu der kleinen Sonne hinüber, die er in seinem Labor entzündet hatte. Mich hingegen erfreute dieser Anblick weitaus weniger. Denn in der Zwischenzeit hatte das Brummen des Transformators eine derart ohrenbetäubende Lautstärke erreicht, dass ich glaubte, das Gerät müsste jeden Augenblick explodieren. Mittlerweile roch es verdächtig nach verschmortem Kautschuk und von überall drang das beunruhigende Knistern elektrischer Entladungen an meine Ohren. Es bestand kein Zweifel, mein experimentierfreudiger Gastgeber verlor langsam die Kontrolle über seine Apparaturen.
»Davidson!«, brüllte ich durch den Lärm. »Schalten Sie ab, bevor uns hier alles um die Ohren fliegt!«
Der Chemiker reagierte nicht. Er schien völlig gefangen von dem, was sich dort vor seinen Augen abspielte. Ich griff nach seinem Arm und versuchte Davidson zur Besinnung zu bringen. Eine halbe Ewigkeit schien zu vergehen, bis er endlich reagierte. Langsam drehte er sich zu mir herum. Seine Mundwinkel zuckten vor Verzückung. »Unglaublich, nicht wahr? Dieses Licht, dieses überirdische Licht, es strahlt heller als die Sonne!«
Ich deutete aufgeregt auf den Transformator. »Um Himmels Willen, Davidson, hören Sie denn nicht diesen infernalischen Lärm? Schalten Sie endlich den verdammten Transformator ab!«
Davidson schaute mich einen kurzen Moment verständnislos an. Dann schien er zu begreifen. »Ich, ich ... Mein Gott, was tue ich hier nur!«
Er griff nach dem Stellrad und wollte es in die Nullposition drehen. Aber das Rad bewegte sich nicht. Davidson packte beidhändig zu und stemmte sich stöhnend dagegen. Nichts geschah. Mit hochrotem Kopf blickte er in meine Richtung. »Schnell, Mr Walden, packen Sie mit an! Der hohe Stromfluss hat wahrscheinlich die verdammten Kontakte verschweißt.«
Gemeinsam zerrten wir an dem Stellrad. Ohne Erfolg. Es bewegte sich keinen Inch. Panisch blickte Davidson zu dem grell leuchtenden Kristall hinüber, dessen abnorme Helligkeit sich mittlerweile sogar durch die dicken, nachtschwarzen Gläser unserer Schutzbrillen fraß.
»In Gottes Namen, verschwinden Sie hier, Mr Walden! Es hat keinen Zweck mehr. Ich kann den Strom nicht mehr abschalten.«
Davidson packte meinen Arm und wollte mich gerade aus dem Raum zerren, als ich eine Eingebung hatte. »Warten Sie! Die Kabel! Trennen Sie die Kabel, die vom Hausanschluss in den Transformator führen!«
Davidson zögerte einen Moment, nickte mir dann aber verstehend zu. Im Laufschritt durchquerte er das Labor und kehrte Augenblicke später mit angelegten Gummihandschuhen und einer kleinen Handaxt zurück. Mit kurzen, gezielten Hieben durchtrennte er die Stromkabel kurz vor der Wandeinspeisung. Schlagartig verstummte das beängstigende Brummen des Transformators. Gespannt blickten wir zu dem Artefakt hinüber. Zwar hatte sich die enorme Helligkeit, die von ihm ausging, merklich vermindert, dennoch strahlte das Kristallei noch immer ein blaues, geheimnisvolles Licht aus.
Noch während wir uns fragten, woher das Artefakt trotz durchtrennter Stromkabel die Energie nahm, um derart intensiv zu leuchten, wurden wir Zeuge einer weiteren Veränderung.
Als schließe man das Ventil einer Gaslaterne, verlor das Licht plötzlich an Intensität und verwandelte sich innerhalb von Sekunden in ein schwaches, kaum wahrnehmbares Glimmen. Dann, im nächsten Augenblick, flammte es wieder auf, nur um daraufhin erneut zu verlöschen. Das Licht aus dem Kristall begann zu pulsieren wie ein Leuchtfeuer. Dabei veränderte es seine Farbe von Blau nach Rot und ein eigenartig singender Ton breitete sich im Labor aus, dessen Tonhöhe im Takt des Pulsierens auf- und abschwang.
Davidson und ich sahen uns verblüfft an. Was hier geschah, war nicht mit normalen physikalischen Gesetzen erklärbar. Aber für Spekulationen blieb uns keine Zeit. Die Frequenz, mit der das Kristallei pulsierte, und auch die Tonhöhe des Begleitgeräusches nahmen rapide zu.
»Ich fürchte, die Sache ist noch nicht ausgestanden«, schrie der Chemiker und zerrte mich wieder hinter den Transformator.
»Was zum Teufel haben Sie da nur losgetreten!«, fluchte ich und zog mir entnervt die Schutzbrille vom Gesicht. Mein Gastgeber ignorierte meine Bemerkung und blickte über den Rand des Transformatorengehäuses. Das Pulsieren des Kristalls war mittlerweile in ein gleichmäßiges, rotes Glühen übergegangen, begleitet von einem hohen, durchdringenden Kreischen.
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