Bahadir schloss seufzend die Augen. Aber wie konnte er dem jüngeren einen Vorwurf machen? Wie hätte Jo’quin, jeder Mann, sie nicht mögen, ja begehren können? Wie hätte er selbst sie nicht vom ersten Augenblick an lieben können? „ Ja. Natürlich. “
„ Ihr gehört mein Leben, Bruder, mein letzter Atemzug, mein allerletzter Tropfen Blut, meine verkommene, verlorene Seele. “
„ Doch hat sie nicht nach Euren Blut verlangt. “
Jo‘quin zuckte die Achseln, sein Blick seltsam abwesend. „ Es wird eine andere Gelegenheit geben. “ Räusperte sich. „ Und die andere Sache? “
„ Meister Sakar ringt momentan mit der Erkenntnis, dass er eine Tochter hat, dass er ihr Vater ist. Wird ihn eine Weile beschäftigt halten, neben allem anderen, was die Zauberer anbelangt. Ich denke, er wird uns keine Probleme machen. “ Bahadir lächelte verhalten, sie sprachen von Sakar. „ Keine großen Probleme. Gut, der Mann hat Fehler … “ Er zuckte die Achseln. „ Einige Fehler, doch mit denen weiß ich umzugehen. “
„ Aber er verachtet uns Priester. Er verachtet Euch! “, begehrte Jo‘quin auf.
„ Was Euch aufbringt, Bruder, ich weiß. Verschwendet Eure Kraft nicht sinnlos an jemanden wie Sakar, Jo‘quin, wir stehen vor schwereren Aufgaben. Dieses Land wird Krieg führen .“
„ Und sie? “
„ Sie wird ihre Wahl treffen .“
* * *
Mara musterte erstaunt den Gardisten. „Wo ist Les?“
Ron verzog abfällig das Gesicht. „Ihr müsst heute mit mir vorlieb nehmen, Mara I’Gènaija.“
„Verstehe.“ Mara nickte bestätigend, zog die Jacke über und schnappte sich den Beutel. „Gut, dann kommt.“
„Was?“
„Glaubt Ihr, ich sitze den ganzen Tag im Haus? Ich muss auf den Markt, ein paar Dinge einkaufen.“
„Verfluchter Mist, Ihr wollt jetzt irgendwelchen Kram einkaufen? Und dafür …“
„Lebensmittel“, fiel sie ihm ins Wort. „Werden die Euch geliefert?“
Daraufhin hielt Ron den Mund, schwieg verbissen auch während des gesamten Weges durch das Ostviertel bis zum großen Markt, sein Gesichtsausdruck grimmig, missmutig. Da war Les ein wesentlich angenehmerer Zeitgenosse. Sicher, der Mann war mitunter rüpelhaft, nicht selten anzüglich und derb, doch er war nicht betont mies gelaunt. Und weder er noch Marten, der nun wirklich ein schweigsamer Mensch war, gaben sich derart angestrengt Mühe, so schlecht gelaunt zu wirken wie Ron. Der im Grunde … Mara vermied ein Grinsen und betrachtete Ron von der Seite; er hatte ganz und gar kein hässliches Gesicht, im Gegenteil, seine fast hager zu nennenden Züge waren durchaus reizvoll. Anziehend, wie auch seine gertenschlanke Gestalt mit den schmalen Hüften, seine mühelosen, geschmeidigen Bewegungen.
Das Getümmel auf dem Markt war wie üblich groß, Menschen, wohin sie auch schaute: Die Leute drängten sich in den engen Gassen zwischen den Ständen, vor den zum Marktplatz geöffneten Ladengeschäften, behinderten die zahlreichen Fuhrwerke und vereinzelten Reiter, welche auf der Straße, die um den großen Platz herum führte, vorwärts zu kommen versuchten. Und über allem Stimmengewirr, sich überlagernde, widerstreitende Gerüche, Düfte und Geräusche, Geschrei und Gezeter, eine Fülle von Bewegungen und Gegenbewegungen; überwältigendes Durcheinander, Miteinander. Ein Tummelplatz für Händler und Kunden, Käufer und Verkäufer, Gauner und Taschendiebe. Ron rückte mit finsterer Miene näher.
Eine Weile ließ Mara sich einfach nur in der Menge treiben, verärgerte Ron damit vermutlich noch mehr, doch sie mochte den Markt, das geschäftige Treiben auf dem Markt. So viele Menschen, alle mit ihren eigenen Sorgen, Ängsten und Hoffnungen beschäftigt. Und sie selbst …
Sinnend betrachtete Mara den Verband um ihre Rechte, ballte die Hand zur Faust und ging eilig weiter zu einem Ladengeschäft an der Südseite des Platzes, um Brot zu kaufen. Danach zum Stand eines Bauern, der alle halben Monate in die Stadt kam, um Eier und Geflügel zu verkaufen; sie erstand jedoch nur ein Dutzend Eier. Kartoffeln, Wurzelgemüse und Linsen an einem anderen Stand, Mara feilschte ein wenig um den Preis, um nicht aus der Übung zu kommen. Direkt daneben ein halboffenes Zelt mit Getreide und Mehl, zum Vorzugspreis, wie der Händler Mara lächelnd versicherte und ein kleines Säckchen mit Hafer draufgab.
Ohne ein Wort nahm Ron ihr den Beutel mit den Einkäufen ab, völlig unnötig, so schwer war er wirklich nicht, und hängte ihn sich über den Rücken. „Wohin jetzt?“
„Ich wollte noch … Das ist nicht notwendig, ich kann meine Einkäufe selber tragen.“
„Sagt Ihr.“ Ron sah sie nicht mal an. „Also, wohin?“
„Ein kleiner Laden, Richtung Westtor“, antwortete Mara und fügte erklärend hinzu: „Ich brauche noch ein paar Kräuter.“
„Gar keinen Tand, Schmuck, bunte Bänder und dergleichen?“ Er hatte sich gerade die Auslagen eines solches Standes angesehen.
„Nein, wieso?“
„Ich dachte nur.“ Ron zuckte die Achseln. „Frauen kaufen doch so etwas, wenn sie auf den Markt gehen.“
„Ich habe mir noch nie bunte Bänder gekauft.“ Mara biss sich auf die Unterlippe. „Aber … nun, mitunter einen Apfel oder ein Gebäckstück, zählt das?“
„Ihr macht Euch über mich lustig, Mara I’Gènaija.“ Ärgerlich musterte Ron sie, packte ihren Arm und schob sie unsanft vorwärts. Bedachte jeden, der ihnen nicht sofort eiligst Platz machte, mit einem mehr als eisigen Blick.
„Warum seid Ihr eigentlich derart mies gelaunt?“
„Stört es Euch, Mara I’Gènaija? Es macht mir schlicht keinen Spaß, hinter Euch her zu rennen, während Ihr Eure Einkäufe erledigt. Das ist eine verfluchte Zeitverschwendung, ich bin doch kein Kindermädchen!“
„Und mir macht es verdammt noch mal keinen Spaß, von Euch wie ein Verbrecher über den Markt gezerrt zu werden“, schimpfte Mara zurück. „Ich habe nicht um Eure Begleitung gebeten, Ron, wirklich nicht, ich könnte sehr gut darauf verzichten. Aber Davian hält es offenbar für notwendig. Ihr handelt auf seinen Befehl hin, also beschwert Euch …“
„Oh, ja, ich vergaß.“ Höhnisch verzog Ron das Gesicht. „Hinterhältige Ostländer, die Euch in finsteren Gassen auflauern. Nur sehe ich keine. Der einzige, der mehr als das übliche Interesse an Euch zeigt, ist dieser Kerl, angebliche Magier, da rechts am Gebäckstand. Guckt schon ’ne ganze Weile zu Euch rüber.“
Mara sah in die angegebene Richtung. „Sakar.“
„Ist der Kerl tatsächlich Euer Vater oder behauptet er das nur?“
Wortlos schüttelte sie den Kopf, das Thema behagte ihr nicht. Sicher, möglich war es, aber … „Ich weiß es nicht.“
„Ihr könntet ja die Wahrscheinlichkeiten einschränken.“
„Wie bitte?“ Sie runzelte die Stirn. „Das kann Euch doch gleich …“
„Stimmt“, gab Ron ihr Recht und sah Sakar, der in ihre Richtung geschlendert kam und Mara grüßend zunickte, mit kalter Miene entgegen.
„ Mara, wie schön. Heute in Begleitung von … Ron. Verzeiht, wenn ich Euren Namen nicht mehr richtig … Aron Endor Ligoban?“
„ Fast “ erwiderte Ron äußerst knapp, korrigierte den Mann jedoch nicht.
„Dabei ist das so ein schöner Name“, murmelte Mara leise und bemerkte sehr wohl das wütende Aufblitzen in Rons Augen, tat aber ungerührt. „ Was führt Euch auf den Markt, Meister Sakar, etwa auch Einkäufe? “
„ Das weniger, ich … wandere so herum. Die Stimmung der Leute hat sich ja merklich geändert. Gebessert. “
Sie nickte bestätigend. „ Er ist bald da. “
„ Wer? “, fragte Sakar stirnrunzelnd nach. „ Etwa dieser Namenlose? “
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