„Es ist manchmal schwierig. Ich musste es lernen.“
„Dann …“ Er runzelte die Stirn, küsste zärtlich ihre Fingerspitzen. „Dann weißt du also, was passiert … was er gesagt hat?“
„Ich fürchte, ich werde mich erinnern.“ Ihr war übel, ihr war heiß und kalt zugleich und sie fror entsetzlich, zitterte am ganzen Leib. „Davi …“
Die Sonne, verborgen hinter dicken, grauen Schneewolken, war längst untergegangen, die Nacht heraufgezogen. Erste, große Flocken segelten lautlos zu Boden und Davian hielt sie fest im Arm. Er würde sie die ganze Nacht so halten, würde wachen, doch Maras Angst blieb. Sie drückte das Gesicht an seine Brust, wollte nicht mehr denken. „Halt mich.“
Er zog wortlos die Decken über sie.
(219./220. Tag)
Oh ja, es war großartig: großzügig und sehr komfortabel, vielleicht etwas dunkel. Düster. Aber das lag wohl an der Jahreszeit. Doch wenn er noch einer nicht enden wollenden Lobeshymne von Rod zuhören musste, würde Mikkie laut losschreien.
Er wusste nicht, warum er derart schlecht gelaunt und unzufrieden war; es ging doch alles gut. Der König hatte sie – ihn – endlich empfangen und jetzt waren sie sogar ganz nah beim Palast untergebracht. Wenn auch, auf seinen Wunsch hin, denn er wollte eine gewisse Unabhängigkeit wahren, nicht direkt im Palast. Ihnen wurden nicht allein einige Zimmer zur Verfügung gestellt, sondern eine ganze Zimmerflucht, der Großteil einer Etage in einem Gebäude, welches direkt vor dem Brückenhaus lag.
Der alte Mann, Turam, der sie herumgeführt und ihnen alles erklärt hatte, hatte von den Beraterunterkünften gesprochen: hier logierten nämlich die königlichen Berater, oft, aber nicht notwendigerweise Angehörige der großen Familien Manduras. Dieser Turam erzählte und erklärte viel, er hatte auch eine Menge zu erzählen. Mikkie hatte ernsthaft interessiert zugehört und nur einen Bruchteil der Fragen stellen können, die ihm durch den Kopf gingen; er wollte sich ja nicht anbiedern. Am Abend, also gestern, hatte er sich tatsächlich hingesetzt und die wichtigsten, die ihm am wichtigsten erscheinenden Dinge notiert. Ein wenig Ordnung in seine Gedanken gebracht.
Aber Mikkie hatte das hübsche blonde Mädchen nicht angesprochen, als sich ihm die Chance geboten hatte, und darüber ärgerte er sich noch immer. Klar, er konnte nur wenige Brocken Manduranisch und das Mädchen sicher kein Erian, aber er hätte es ja auf Südländisch versuchen können. Das Mädchen war nicht allein gewesen, es wurde von vier anderen im etwa gleichen Alter begleitet, und mindestens zwei hatten natürlich albern gekichert. Bis auf ein gemurmeltes ‚Ich grüße Euch‘ hatte er jedenfalls nichts herausgebracht und fand sich selbst kindisch, dabei kannte er das doch.
„ Warum bist du so schlecht gelaunt, Mikkie ?“, sprach ihn Rod verwundert an. „ Wir haben eine wirklich tolle Unterkunft, für die wir nicht einmal zahlen müssen. “ Roddie lachte auf. „ Könnten wir wohl auch nicht bezahlen, wenn ich mich so umschaue .“
„ In den Königspalast wird man üblicherweise eingeladen “, erwiderte Mikkie knurrig. „ Das ist eine Ehre. Und nicht bezahlbar .“
„ Das ist mir schon klar, du brauchst nicht gleich so … Ich wollt‘ das nur noch mal bemerken. Und dieses … dein Zimmer ist riesig, bestimmt größer als so manche Fischerhütte … “ Und um ein Vielfaches größer als Rods kleine Schlafkammer. Doch sein Freund hielt sich ohnehin meist bei ihm oder in den Gemeinschaftsräumen auf.
„ Ein Eckzimmer mit Fenstern in zwei Himmelsrichtungen, du … Von deinem Bett aus siehst du direkt auf den Palast, du könntest glatt in deren Fenster schauen! “, versuchte Rod ihn zu begeistern. „ Also, was ist los? Du bist doch sonst nicht so .“
Mikkie schüttelte abwehrend den Kopf und blickte aus dem Fenster, auf das gegenüberliegende Gebäude. Vom Aussehen her ähnelte es ihrer Unterkunft: eine hohe, etwas streng wirkende schnörkellose, elegante Fassade mit zahlreichen Fenstern, Fensterreihen. „ Nebenan, links von uns, liegt der Gardehof “, murmelte er nachdenklich.
„ Und? Wir können doch rausgehen, wenn du unbedingt den Gardisten bei deren Training zuschauen willst. “
„ Ja. Könnten wir. Morgen? “, schlug Mikkie, etwas versöhnlicher, vor.
„ Klar, gern “, stimmte Rod begeistert zu, ließ sich aber von seinem Freund nicht ablenken. „ Und dein … Problem? “
„ Mein Problem? Ich krieg‘ den Mund nicht auf, steh nur blöd … Die muss mich doch für einen Trottel halten! “
Verdutzt sah Rod ihn an. „ Wer? “
„ Das ist ja das Problem: ich kenne noch nicht einmal ihren Namen! So ‘ne hübsche, blonde. “
„ Äh … die sind hier fast alle blond “, lachte Rod.
„ Ja. Fast alle. “ Mikkie konnte nicht ernst bleiben und stimmte in Rods Lachen ein. „ Sie ist … wirklich hübsch, schlank und recht groß. Etwa meine Größe. Du hast die fünf Mädchen heute Morgen doch auch gesehen. “
Rod rieb sich überlegend die Nase. „ Nicht die kleine, üppige mit den Locken? Die fand ich wirklich sehr hübsch. “
„ Nein, die mit dem glatten, langen Haar, die Farbe … wie Weizenfelder im Sonnenschein. “
„ Du hörst dich ja richtig verliebt an “, zog Rod ihn auf.
Manchmal erschien ihm sein Freund sehr kindisch und deutlich mehr als nur zwei Jahre jünger. „ Quatsch, verliebt, ich versuche die Farbe ihres Haars zu beschreiben. Eher Honig denn Gold. “
„ Wo liegt denn da der Unterschied? “, fragte Rod verwirrt.
„ Honig ist wärmer “, befand Mikkie knapp. „ Bestimmt duftet es. “
„ Nach Honig? “
„ Nee, ich weiß nicht. Aber ich würde es gern wissen … “ Er sprach nicht zu Rod, sondern vielmehr zu sich selbst. „ Wie ihr Haar, ihre Haut duftet. Sie. Ich würde gerne ihre Stimme hören. “
„ Dann hast du ja morgen was vor “, meinte Rod keck.
Mikkie nickte und lächelte schwach. Das war gut, wenigstens ein kleines Vorhaben … für morgen, die nächsten Tage.
Staunend und mit wachsender Begeisterung sah Mikkie den bestimmt mehr als sechzig Männern – Gardisten! – auf dem schneebedeckten Feld zu. Erst war er ja enttäuscht gewesen, weil diese ‚nur‘ mit dem Stock trainierten, doch seine ziemlich alberne Reaktion war schnell verflogen, als er mitbekam, wie gut, wie präzise und wie rasend schnell die Nordländer waren.
„ Juckt es Euch schon in den Fingern, da mitzumachen? “, sprach Roderick den neben Mikkie stehenden Lennart an.
„ Das wär‘ mal was “, lachte Lennart. „ Obwohl der Stock ja nicht meine bevorzugte Waffe ist. Aber ich würde, fürchte ich, Prügel beziehen. Das sind wirklich erstklassige Kämpfer, jeder von denen. Und das ist nur ein kleiner Teil, ich hab‘ gehört, es gibt zehn solcher Garde-Einheiten. Mit jeweils zweihundert Gardisten. “
„ Wer hat Euch das denn verraten? “, fragte Mikkie neugierig nach.
„ Musst nur die richtigen Leute ansprechen “, grinste Lennart. „ Scheint kein Geheimnis zu sein, die Leute sind stolz darauf. Gardist zu sein ist hier wohl das Höchste, Größte .“
„ Und dann sind diese Kerle auch noch richtig groß “, meinte er grimmig, auf einen der Gardisten deutend, der ihn bestimmt um Hauptes Länge überragte.
„ Groß und gut aussehend “, stimmte Lennart ihm zu. „ Ich könnt‘ ja glatt neidisch werden. “ Eher halbherzig imitierte er die letzte Bewegungsfolge der Männer, brach aber bereits nach kurzer Zeit kopfschüttelnd ab. „ Ich bezieh nicht nur Prügel, ich blamiere mich bis auf die Knochen. Das sieht sehr viel einfacher aus, als es ist. “
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