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Ein Reißen, Kreischen, das wohltuende Dämmerlicht jäh durch brüllende Helligkeit ersetzt. Gestalten, Bewegung, er spürte seine Muskeln arbeiten, verspürte Hunger. Bohrenden Hunger, ihr Geruch … der Geruch der Beute, der seinen Geist erfüllte, kein Raum für anderes. Lief mit ihnen, jagte mit ihnen; erfolgreich, dieses Mal, und der brutale Duft nach frischem, heißem Blut flutete seine Sinne. Beißen, Schlingen, sollten sie knurren, er forderte seinen Anteil. Bekam ihn, auch ein paar Knuffe und Gezwicke, doch er war gesättigt, ruhte mit ihnen. Sein Rudel.
Stillte seinen Durst an der Quelle, roch das Weibchen in seiner Nähe, sollte er es wagen? Unruhe in der engen Gemeinschaft, seinetwegen; Streit und Zorn, erneute Kämpfe.
Er streifte allein durch die Welt, die Wälder, über die Hügel bis hinauf in die kargen, schroffen Gipfel. Nur der Wind, Kälte und Schnee, Eis brannte, Sturm peitschte, riss, prügelte auf ihn ein und raubte ihm die letzte Kraft. Hier erst offenbarte sich sein wahrer Gegner, und sie liefen gemeinsam über die felsigen Berghänge, hetzten die Beute, Seite an Seite, teilten. Bis er sich ihm entgegen stellte, der Verrat brannte wie Säure, doch er wehrte sich. Nahm die Herausforderung an und kämpfte, mit ihm, sich selbst; es konnte keinen Sieger geben, nur einen. Ihn.
Blutend und verletzt, hoch aufgerichtet schrie er seinen Triumph heraus. Suchte … sein Volk, jetzt war er ihrer würdig.
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Die Zeit dehnte sich, die Nacht wollte kein Ende nehmen, die Dunkelheit nicht weichen. Die Wölfe wurden unruhig, hoben witternd die Nasen, einige winselten. Der Rudelführer sprang knurrend auf, das Nackenfell gesträubt, die Lefzen drohend zurückgezogen. Ein gewaltiger Schatten erschien in der Nacht, glitt geräuschlos in die Höhle hinein, massiger, größer selbst als der Leitwolf und gänzlich unbeeindruckt von dessen Gebaren. Plötzlich stand der Schneeleopard über Reik, hieb ihm mit einer blitzschnellen Bewegung seiner riesigen Pranke quer über die Brust. Réa roch das frische, warme Blut, metallisch, süßlich, und sie musste würgen, hielt sich eilig die Hand vor den Mund, um ihren Schrei zu unterdrücken.
Unbeeindruckte schnüffelte die gewaltige Bestie ausgiebig an Reik, seinem Hals, den Achseln, an den Leisten, und … Réa ächzte, mochte nicht mehr hinsehen, presste die Lider … Da sich der breite Kopf vor sie schob, ihr Gesicht, ganz dicht, der Gestank überwältigend, betäubend. Sie konnte sich nicht rühren, nur atmen, viel zu hastig, spürte … Der Schatten verschwand lautlos und Réa … schwanden die Sinne.
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Brutalität und Konfusion schwanden, zurück blieb einzig Klarheit. Und der Hunger, die Gier nach Leben, nach Blut.
Feuchtigkeit netzte seine Lippen, warm, ein bisschen salzig. Es verlangte ihn nach mehr, viel mehr, und so schlang er die Arme um die, die sich dicht über ihn beugte, so warm, so lebendig, zog sie eng an sich und hörte verzückt ihr erschrockenes Aufkeuchen.
„Reik!“
Er erkannte die Stimme, ihre Stimme, genoss die üppige Weichheit ihres Körpers, ihre Wärme, und drängte sich an sie, zwischen ihre Schenkel, spürte ihr Zittern, sie fror, ihre Angst. Flüsterte ihr heiser ins Ohr: „Du bist ganz kalt.“
Sie lachte, es klang eher wie ein Schluchzen, also küsste er sie behutsam, sanft, noch einige Male. Kostete ihre Tränen und zügelte sein Verlangen. Er sollte … würde ihr nicht wehtun, küsste sie erneut, inniger, und hielt sie zärtlich in seinen Armen.
„Aber du …“
„Aye“, unterbrach er sie. „Ich bin der Winterkönig. Der Jäger ist lediglich ein Teil von mir.“
Er spürte, wie sie sich ein wenig entspannte, an ihn schmiegte, und das gefiel ihm, weckte seine Lust. Er zerrte den störenden Stoff der Robe von ihren Schultern, entblößte ihre Brüste, die sich ihm üppig und prall entgegen reckten, hörte ihr leises Keuchen und streichelte sacht die Innenseite ihrer Schenkel; er roch sie, ihren Duft, und war erregt.
Er hatte sich nie viel aus Jungfrauen, derart jungen Mädchen gemacht, sie jammerten ihm zu viel, hatten hunderterlei Bedenken, doch Réa … gefiel ihm, war eine sehr weibliche Frau, und er könnte … Spreizte ihre Schenkel ein wenig weiter und drängte sich näher an sie, ihren Schoß, küsste sie längst nicht mehr nur sacht und zärtlich; gierig, fordernder. Ihr Mund schmeckte köstlich, er hörte sie einmal mehr keuchen, wie leise jammernd stöhnen, und endlich kam sie ihm entgegen, öffnete sie sich ihm. Er bekam Blut, ihr Blut, natürlich, doch war es ihm nicht mehr wichtig.
Hörte die Wölfe heulen, nicht allein in seinem Kopf.
Stand hoch aufgerichtet am Eingang der Höhle, die Wölfe zu seinen Füßen, und blickte über die Welt. Mandura. Alles überdeutlich, klar, und für einen langen Moment gab es keinerlei Zweifel mehr. Nur unumstößliches Wissen, Gewissheit, er war … der Winterkönig. War der nächste …
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Lorana vermied es, zu dem Mädchen zu sehen. Sie hatte bereits nach Nadka schicken lassen, dessen Wunde zu versorgen; schlimm genug, dass dieser Kerl … Hauptmann Davian in ihrem Arbeitszimmer herum lungerte. Er, Männer seiner Art, Gardisten missfielen ihr, und gerade er … Eine fatale Schwäche, der sie nicht nachgeben wollte.
Sie griff nach ihrer Teetasse, trank aber nicht. „Die beiden Männer … Priester weilen also noch unten?“ Sie hatten auf ungehinderten Zutritt zum unteren Tempel gedrungen, und den konnte sie diesen ‚Kapuzenträgern‘ unmöglich verwehren.
„Sie warten, dass die Sonne aufgeht“, murmelte Mara undeutlich. Sie war bleich, hatte den Kopf angelehnt, die Augen geschlossen.
Lorana runzelte die Stirn, die Sonne war längst aufgegangen. „Und …“ Sie presste die Lippen zusammen, sie würde nicht fragen, nicht dieses Kind .
„Ich hoffe, es gibt keine Schwierigkeiten, wenn wir hier im Tempel heiraten wollen?“, fragte der Hauptmann unvermutet. Sein Tonfall klang zahm, fast defensiv. Höflich?
„Nein.“ Sollte es so einfach sein? Es würde Lorana schwerfallen, sich bei dem Mädchen … Mara für ihr eigenes, etwas voreiliges und allzu sehr von Gefühlen geleitetes Verhalten zu entschuldigen, das so … „Gewiss nicht. Es wäre mir eine große Freude, Hauptmann, Euch im Tempel von Samala Elis zu vermählen. Gehe ich recht …“
„Paar Tage nach seiner Ankunft, genau.“
Sein verhaltenes, absichtsloses Grinsen gefiel ihr. Lorana überließ dem Mann das letzte Wort und bemerkte das Lächeln auf der Miene des Mädchens. Sie musste nicht mehr nachfragen, wie es der Priesterin, wie es Réa ging.
* * *
Schon in der nächsten Nacht suchte der zornige Gott Mara wieder heim. Schreiend, vor Entsetzen und Elend würgend fuhr sie hoch, kämpfte gegen Schwindel und Übelkeit.
„Hat er dir wehgetan?“ Davian zog sie eng an sich.
„Was ist das denn für eine Frage?“
„Eine nahe liegende. Mara, du hast geschrien, als würde man dich foltern.“
„Aber … Das hast du gehört?“, wunderte sie sich.
Davian blickte ihr ins Gesicht. „Ich nehme das als ein Ja. Nicht in dem Sinne gehört, aber gespürt.“
„Oh.“ Sein Geruch, seine bloße Gegenwart gaben der Welt wieder Festigkeit. Sicherheit.
„Was ist passiert, Zauberin?“
„Der zornige … der Jäger war da, er stand direkt vor mir, ich weiß es, aber … Er sagte, ich würde vergessen, dass er überhaupt da war, dass wir geredet haben und …“ Verwirrt schüttelte sie den Kopf, schaute auf ihre verbundene Hand. „Ich kann nicht vergessen, Davian. Alles, was jemals passiert ist, mein ganzes Leben, es ist immer da, immer gegenwärtig.“
„Jede Einzelheit?“
„Alles.“
Vorsichtig strich Davian über ihre Finger, barg dann behutsam ihre Rechte in seinen Händen. „Das klingt nicht gut. Wie kannst du noch unterscheiden zwischen dem, was war, und dem, was ist, was gerade jetzt geschieht?“
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