Lennart wandte sich um und nickte den drei ausgesprochen hübschen jungen Mädchen, die sich ihnen näherten, grüßend zu.
„Wie schade“, lachte eins der Mädchen, die kleine, üppige, die Roddie so gefallen hatte, frech. „Und ich hoffte, Ihr würdet uns jetzt Eure Künste zeigen . “
Entschuldigend hob Lennart die Hände. „Nicht mit die Stock, ich kämpfe mit Schwert . “ Raunte ihr noch einige Worte zu, und das Mädchen errötete, hob die Hand vor den Mund.
Die mittlere, seine hübsche, blonde … – und sie war tatsächlich fast so groß wie er selbst –, streckte ihm mit entschlossener, ein wenig angespannt wirkender Miene die Hand entgegen. „ Ich bin Tessa Domallen .“
Und sie stellte ganz bestimmt noch ihre Begleiterinnen, Freundinnen vor, doch das überhörte Mikkie völlig, ergriff nur diese zarte, liebliche kleine Hand. Tessas Hand. Erwiderte ihr schüchternes Lächeln.
* * *
Zu gern wäre Tessa dem jungen Mann, Mikkie, noch ein weiteres Mal über den Weg gelaufen. Ohne drei, vier kichernde Mädchen um sich. Wieso erwies sich das als so kompliziert, sie wollte doch gar nichts … wollte einfach nur mit ihm reden, sich mit ihm unterhalten, ihn näher kennenlernen. Nur das. Doch am Rande des Übungsfeldes, um den Gardisten beim Training zuzusehen, war er heute offenbar nicht, auch nirgends auf dem Gardehof. Wahrscheinlich hockte er warm und zufrieden in seiner Unterkunft, während sie durch den eisigen Wind stapfte, sich kalte Hände und Füße, gar den Tod holte.
Tessa beschloss, ihre nutzlose, erfolglose Suche aufzugeben und wollte gerade wieder zum Palast zurück, als sie drei Gestalten, drei Männer über die unteren Höfe kommen sah, einer unzweifelhaft Mikkie … Mikkelaus von Jasa. Und sie stand hier frierend und wartend, zunehmend verärgert herum, fühlte sich … Aber dafür konnte er ja nichts.
Die drei grüßten sehr höflich, verbeugten sich übertrieben förmlich – dieser Lennart, es wäre überzeugender, hätte er dabei nicht so breit gegrinst.
„Ihr wartet nicht auf uns …“, begann Mikkie.
„Doch“, platzte Tessa heraus, selbst überrascht von ihrer Heftigkeit. „Ich warte auf Euch, Mikkelaus von Jasa. Hier in der Kälte, im Wind und ohne auch nur zu wissen, ob sich die blöde Warterei…“ Sie biss sich auf die Lippen, senkte einen Moment den Blick. „Entschuldigt, es ist …“
„Kalt?“, antwortete Mikkie vorsichtig.
„Kalt, ja.“ Sie nickte, rieb sich die eisigen Finger. „Ich hätte mir vielleicht Handschuhe anziehen sollen.“
„Kann … helfen“, bot der junge Mann an und griff seinerseits nach ihren Händen, barg sie in seinen und hauchte fürsorglich darauf. „Ist besser … wärmer?“
Verdutzt nickte Tessa, damit hatte sie nun nicht gerechnet. „Ein wenig.“
„Ah, nur wenig?“ Er hauchte erneut auf ihre Finger, das Gesicht dicht über ihre Hände gebeugt. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, wie Lennart und der große, dicke Junge sich entfernten. „Mandura ist sehr, sehr kalte Land.“
„Na ja, jetzt … zu Beginn der kalten Jahreszeit“, gestand Tessa. „Im Sommer hatten wir einige sehr heiße Tage, so dass Ihr am liebsten alles von Euch geworfen hättet.“
„Alles… ?“ Fragend sah er sie an, sichtlich irritiert.
„Jacke und Hemd, am liebsten auch Schuhe und Strümpfe. Mögt Ihr noch ein Stück mit mir gehen, einfach nur … Es wird ohnehin bald dunkel.“
„Sehr gern“, stimmte Mikkie zu und gab ihre Hände frei. „Wohin? Ich kenne nicht … äh, gute Orte?“
„Wie auch“, lachte Tessa, trotz des widrigen Wetters plötzlich vergnügt. „Wir könnten … am Arsenal vorbei auf die Obstwiesen, da habt Ihr einen weiten Blick über die Stadt. Und …“ Sie redete zu viel, plapperte aus lauter Nervosität und Aufregung. „… falls der Wind zu arg ist, gehen wir einfach in den Palast, ich kann Euch ein bisschen herumführen. Wenn Ihr mögt?“
„Ja“, nickte Mikkie knapp.
„Rede ich zu viel?“
„Nein, nein, nur … ich versteh‘ nicht sehr gut deine … Manduranisch. Und meine Sprech ist…“
Hastig griff sie seine Hand und führte ihn am wuchtigen Gebäude des Arsenals vorbei. „Ich mag, wie Ihr redet. Mikkie.“
Er nickte, lächelte ihr zu und drückte ihre Hand. „Ich mag, wie Ihr redet, Tessa. Könnte immerzu zuhören.“
„Sonst plappere ich ja nicht so viel, aber …“, sie seufzte, zuckte dann die Achseln. „Ich bin etwas … nervös, aufgeregt.“
„Weil … allein mit fremde Mann?“
„Nein.“ Sie wagte ihn nicht anzusehen, schaute stattdessen über die Stadt, die sich schneebedeckt unter ihnen ausbreitete. „Allein mit Euch.“
„Oh. Ihr …“
„Ich bin albern, entschuldigt, ich … ich weiß auch nicht, und außerdem wollte ich … mit Euch reden, Euch besser kennen lernen und … Ich war noch nie in einem anderen Land.“
„Ja …“ Er musterte sie eindringlich und hielt ihre Hand, strich sacht mit dem Daumen über ihren Handrücken. „Ich kenne nur meine Heimat und klein wenig Mandura, ist großartiges Land. Mein Heimat … Inseln sind kleiner, kleine Land. Und Wetter ist mild und lieblich, wenn nicht …“, er lachte, „manchmal es regnet viel, viel Regen. In Frühjahr.“
„Hier auch. Wie viele Inseln gehören zu … Erian Jasa?“
„Es sind drei größere Inseln, die Hauptinsel, die West- und die Südinsel, von wo Lennart ist. Eine ganze Menge sehr, sehr kleine Inselchen.“ Mikkie hockte sich hin und begann mit den Fingern in den Schnee zu zeichnen. „Hier, auf Hauptinsel, ist Jasa, Hof des Königs“, er markierte den Ort, „hier Mircabor, Schule der Zauberer, hier … Débar, Tempel und Heiligtum des Jägers.“
„Und du … Ihr stammt von der Hauptinsel?“
„Genau“, er grinste unterdrückt, „wie Roddie. Roderick. Und Meister Dibistin … glaube ich. Meister Sakar ist von Westinsel, nur Wind und Wetter und große Steine … sehr felsig und hart.“
„Eine Schule für Zauberer? Seid Ihr etwa …“
„Nur klein wenig“, Mikkie sah sie von unten her verschmitzt an, rieb sich die schneekalten, geröteten Finger. „Zauberer. Ist schlimm?“
Verdattert schüttelte Tessa den Kopf, reichte Mikkie die Hand und half ihm aufzustehen. „Nein, ich glaube … Keine Ahnung. Deine Hände sind ja eisig!“
„Der Schnee ist eisig, tut mir … Was macht Ihr?“
Sie hatte seine Hände in ihre Achselhöhlen geklemmt. „Deine Hände wärmen.“
„Auf die Art …“, fassungslos sah er sie an, neigte ihr den Kopf zu. „Das ist nett.“
„Nicht wahr?“, lachte Tessa ihn an und errötete nicht. Fast nicht.
* * *
Es hatte etwas Einschläferndes, Beruhigendes, den rieselnden Schnee zu betrachten. Es wirkte so friedlich. Und hier in den Zimmern im Gasthaus – sehr viel bessere und sauberere Zimmer als die in der billigen Absteige nahe der ‚Traube‘ – war es sogar angenehm warm und trocken.
„ Bruder Bahadir ?“
Bahadir wandte den Blick vom Fenster, dem fallenden Schnee, und nickte Bruder Jo‘quin auffordernd zu.
„ Die junge Frau, sie … Wie kann sie … “ Jo‘quin senkte den Kopf.
„ Sie ist und sie ist nicht, gefangen im Körper einer Sterblichen, mächtige Zauberin, schwaches Kind, Göttin. Ich weiß nicht, ob es ihr überhaupt bewusst ist .“
„ Wie kann sie es denn nicht wissen? “
„ Oh, sie weiß es, tief drinnen, da bin ich mir sicher. Habt Ihr ihr mal in die Augen gesehen? Doch sie kämpft gegen das Wissen, das Begreifen an und … das ist schwer, nahezu unmöglich und kann sie leicht ihren Verstand kosten .“
„ Das … Ich mag sie .“ Jo’quins Worte standen wie eine Herausforderung im Raum. „ Sehr .“
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