Entschlossen stand sie auf und trat, das Gefäß in beiden Händen haltend, zu Reik, der unbekleidet auf einer Decke saß. Sie sah, dass er zitterte, sah seine Blöße … wandte verlegen den Blick ab. Réa kniete vor ihm nieder und bot ihm die Schale dar. Einen Moment zögerte er, wich unwillkürlich ob des scharfen Geruchs zurück, dann legte er die Hände über ihre Hände und trank.
* * *
Unruhig erhob sich Bahadir von der kargen Bettstatt und öffnete die kleinen Fenster, lehnte sich weit hinaus. Vielleicht würde die kühle Nachtluft ihn … Aber es war nebelig, die dichten Schwaden wogten fettigen Rauchwolken gleich durch die engen Straßen und Gassen. Der Jäger war stark diese Nacht, immens stark, er spürte ihn in seinem Blut, in seinem Geist, und fühlte sich ungewollt an eine andere Nacht …
Bahadir sah nicht zu dem anderen Bett, in dem Bruder Jo’quin lag. Ruhte. Er sollte nicht daran denken, den Anblick seines schlanken, nackten Körpers, ölglänzend im flackernden Schein der Fackeln, er wollte wirklich nicht daran denken, presste die Zähne aufeinander. Er wusste nicht, ob der nur ein paar Jahre jüngere Bruder sich überhaupt erinnerte: an die Nacht, sicherlich, das Ritual der Zwölf, aber auch an ihn? Er hatte nie darüber gesprochen, weder mit Jo’quin noch sonst jemandem. Auch nicht mit Arpad. Dem ehrwürdigen obersten Priester in Seinem Heiligtum in Débar.
Doch in Nächten wie diesen, wenn der Jäger durch seinen Geist raste, hetzte, auch von seinem Körper Besitz ergreifen wollte … Bahadir kämpfte dagegen an, mit all seinem Willen, seiner Kraft, mochte ihm vor Anspannung schier der Kopf bersten, der Schweiß über seinen Leib rinnen und er mit den Zähnen knirschen, unterdrückt ächzen.
„ Geht es Euch nicht gut, habt Ihr Schmerzen? “ Jo’quin hatte sich, auf den Ellenbogen gestützt, aufgerichtet.
„ Nein “, murmelte Bahadir. „ Er ist stark heute Nacht, ungeheuer stark. “
Jo’quin lachte heiser, kehlig, und sprang aus dem Bett, kam mit raschen Schritten auf ihn zu. „ Wenn sogar Ihr das spürt … Wir sollten Ihn feiern, Bruder, mit unseren Leibern lobpreisen … “
Doch Bahadir packte ihn hart an den Schultern, spürte den vor Leben vibrierenden Körper unter seinen Händen. „ Wir müssen in den Tempel. Jetzt! “
Wieder lachte Jo’quin und drängte sich an ihn, zerrte ihm das Hemd aus der Hose. „ Dazu brauchen wir keinen Tempel, Bruder, wirklich nicht .“
„ Darum geht es nicht, Jo’quin, wir … Wir sollten in den Tempel! “
Bahadir stand auf der Schwelle zu Seinem Tempel, irritiert über die zerborstenen Türflügel, und ging fast in die Knie, als er überdeutlich Seine Macht spürte. Zu seiner großen Verwunderung waren sie nicht die ersten, einzigen hier unten. Wortlos kniete er neben der jungen Frau vor dem Altar nieder und bemerkte Jo’quins sehnsüchtigen Blick auf diese. Der jüngere Priester begegnete ihr nicht zum ersten Mal. Er ja ebenso wenig, aber deshalb waren sie nicht hier.
Bahadir versuchte erfolglos, sich ins Gebet zu versenken, die Unruhe seines Begleiters und vielmehr noch ihre spürbare Anspannung lenkten ihn ab. Dazu die Anwesenheit des Begleiters der Frau, jenes grimmigen, einschüchternden Hauptmanns – er trug keine Uniform –, dem sie neulich in der Taverne begegnet waren; er stand seitlich, ein wenig im Hintergrund … Schatten, wenn es denn Schatten gegeben hätte. Das Öl in den Becken brannte fauchend, immer wieder hell auflodernd, und erschuf huschende Silhouetten und Schemen, flüchtige Bewegungen an den Wänden, hinter dem Altarstein. Auf dem allzu lebensechten Bild, Gemälde; er fühlte sich ungewollt erregt von der Darstellung, dieser Szene, die beinah ein Abbild des Geschehens … War es das, passierte genau das jetzt auf dem Alten Berg?
Unwillig schüttelte Bahadir den Kopf und musterte die Frau neben sich nicht zu intensiv. Sie hatte die Augen geschlossen, schien kaum zu atmen, ihre Lippen bewegten sich, als würde sie lautlos reden, beten. Oder es war nur das Flackern der Flammen. Er wusste nicht, wie lange er so kniete, wie gebannt die Frau betrachtete, ihr Gesicht, während der Drang, sie zu berühren, diese Lippen mit seinen … Nein!
Plötzlich wurde ihm klar, dass sie ihn ansah. „ Könnt Ihr ihn rufen? “
Ihre Stimme, ihr Flüstern wie eine Liebkosung, Bahadir erwiderte ihren Blick, bemüht, sich seine Gefühle nicht anmerken zu lassen. „ Ihr meint … Ihr wollt, dass er erscheint? “
„ Ja, natürlich. “
Er schüttelte sacht den Kopf, stand gleich ihrer auf. „ Ich fürchte … Es tut mir unendlich leid, aber dazu bin ich nicht in der Lage. “
Sie runzelte die Stirn, zuckte dann die Achseln. „ Schade. Euer … Bruder … Jo’quin vermutlich auch nicht? “
Es war kaum mehr eine Frage, sie zog bereits ihr Messer.
Jo‘quin sah ihr standhaft ins Gesicht, sein Gesichtsausdruck erschreckend zärtlich. „ Herrin … “ Fast wie ein Flehen.
„ Glaubt Ihr an mich, Jo‘quin? Meine Kraft, meinen Willen, ihm zu widerstehen? “
„ Ja, Herrin. “
Sie kniff die Augen zusammen und schnitt sich über die Handfläche, Bahadir packte hastig ihr Handgelenk, bevor auch nur ein Tropfen ihres Blutes auf den Altarstein fallen konnte. „ Nein! Ihr dürft das nicht! “
Wortlos kämpfte sie gegen seinen Griff. Jo’quin kam ihm zu Hilfe, legte die Arme um die junge Frau und zog sie zurück.
„ Er, der Namenlose, muss und wird diese Prüfung allein bestehen “, erklärte Bahadir eindringlich. Er ließ ihre Hand nicht los, roch ihr Blut, sie, und sein Verlangen wuchs. Hörte … nicht ihn , seinen Gott, sondern den Soldaten, ihren Begleiter rasch näher treten.
Dann war sie fort, seinen Armen … Aber er hatte doch nicht … Keuchend starrte er den Mann an. „ Er ist stark heute Nacht. “
„Oh ja. Und es verlangt ihn nach Blut.“ Der Kerl … Nein, er beugte das Gesicht nicht über ihre Hand und leckte das heraustretende Blut …
Bahadir wandte sich ächzend ab, begegnete Jo’quins Blick. Sank erneut auf die Knie, warf sich bäuchlings zum Beten vor den Altar.
* * *
Reik rührte und regte sich nicht. Er hatte von ihr dieses fürchterliche Zeug entgegengenommen und es klaglos getrunken, aufmerksam zugeschaut, wie sie den Rest trank, dann die Augen geschlossen.
Seitdem hatte er sich nicht mehr bewegt. Réa betrachtete ihn sinnend. Andächtig, fühlte … Nein. Keine Verlegenheit, jetzt nicht mehr, auch wenn er derart nackt vor ihr lag, keine drei Schritte entfernt. Er erschien ihr wie eine wundervolle, exquisite Statur, makellos trotz der Schrammen und den tiefen, dunklen Schatten unter seinen Augen. Sie liebte seinen Mund, hätte zu gern … und lachte bitter auf. Sie hatte Angst, vor ihm, vor dem, was …
Den Ritt über hatte sie ihre Befürchtungen zurückdrängen können, und er war so sehr mit sich … Doch jetzt? Sie war allein, der einsamste Mensch auf der ganzen Welt, und er lag da wie tot vor ihr, regte sich nicht, er zitterte nicht einmal. Kaum merklich hob und senkte sich seine Brust; es war wunderschön, so friedlich, verlockend. Entsetzlich.
Vor dem Eingang zur Höhle fauchte und tobte der Wind, trieb immer wieder Schnee und Eiskristalle herein und ließ sie noch stärker bibbern. Vor dem, was dort draußen in der Nacht lauerte: sie hatte in den letzten Nächten die Wölfe heulen hören, immer ein Stück näher. Schlimmeres als die Wölfe, der Jäger … Sie sollte nicht … Aber sie war hier, allein, ihm ausgeliefert! Hörte sich selbst vor Angst wimmern und presste die Lippen zusammen. Sie war nicht mutig, nicht so tapfer wie Mara. Die sollte hier … an ihrer Stelle … Sie zog den Dolch hervor und drehte ihn im Schein des flackernden, mickrig kleinen Feuers. Ein silberner Dolch gegen alle Schrecken der Welt, der Nacht, brüllend stob eine Böe herein, drückte brutal die Flammen zur Seite. Trug einen fremden, wilden Geruch und das Jaulen der Wölfe herein, näher zu ihr, viel zu nah. Sie schrie nicht, als sie das Klicken zahlloser Pfoten auf dem Höhlenboden hörte, war wie gelähmt vor Angst. Roch ihren eigenen Schweiß, Angstschweiß, und stöhnte leise.
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