„Ja. Verzeih, ich wollte dir nicht wehtun. Soll ich aufhören, von ihm zu reden?“
„Ich weiß nicht, gerade jetzt … Was willst du denn sagen? Wieder das übliche Gerede über ihn, dass er ein Säufer, Schläger und Weiberheld war? Er war mein Mann, Ivorek, ich habe mich bei ihm, in seiner Nähe sehr wohl gefühlt, sicher und geborgen. Er hat mich verstanden, er kannte mich besser als jeder andere Mensch, und …“ Mara biss sich auf die Lippen. „Wir haben gestritten, ja, heftigst gestritten, wir haben uns gegenseitig angeschrien, Geschirr zerschlagen, es gab immer wieder … Missverständnisse. Aber dann haben wir uns wieder vertragen und waren einander noch näher. Wir haben uns geliebt, ich liebe ihn noch, werde ihn immer lieben. Er war mein Mann, Ivorek.“
„Mit allem, was dieses Wort bedeutet und beinhaltet.“
Sie nickte, fuhr sich übers Gesicht. „Jetzt habe ich dich gar nicht ausreden lassen.“
„Das macht nichts. Es war schön, dir zuzuhören. Traurig und schön.“
„Ich bin traurig, ich… ich weiß nicht, wie ich weiterleben soll. Ohne ihn.“
„Mara …“ Ivorek griff behutsam nach ihren Händen. „Du lebst bereits ohne ihn. Du machst lauter Fehler, stößt jeden vor den Kopf, du verhältst dich nur zu menschlich, unvernünftig, dumm, doch du lebst ohne ihn. Du kannst ohne ihn leben.“
„Aber …“ Sie wollte schreien, weinen, alles zerstören, die ganze Welt vernichten, Ivorek für seine Worte töten. Ohne ihn. „Nimmst du mich bitte in den Arm?“
Er zog sie in seine Arme, auf seinen Schoß. Hielt sie, derweil sie weinte. „Hasst du mich jetzt?“
„Ja.“ Schniefend schaute sie ihm ins Gesicht. „Ein bisschen. Zeigst du mir dein merkwürdiges Haus?“
„Nicht merkwürdig, es steht bloß leer. War mal ein Handelshof, von hier aus sind große Handelszüge aufgebrochen. Die Gebäude gruppieren sich um einen gemeinsamen Innenhof herum, Hauptgebäude, Stall, Wagenschuppen, das Lagerhaus. Ziemliche Anlage. Man könnte was draus machen, es gibt zwei Zugänge, sogar einen Brunnen, und der Hafen ist auch nah.“
„Du willst Händler werden?“, mutmaßte sie.
Ivorek zuckte die Achseln, schaute sie dann rasch an und verzog das Gesicht zu einem entschuldigenden Grinsen. „Warum nicht? Ewig will ich jedenfalls nicht Gardist bleiben, und mit Barri Kleinpferde züchten erscheint mir nicht so … Gibt spannenderes. Vielleicht gehe ich auch nach Nomlîn zurück. Warst du schon mal da?“
Verneinend schüttelte Mara den Kopf, betrachtete ihn neugierig. Seine Augen waren gar nicht so dunkel, graugrün, und sein Haar hellbraun, ähnlich wie Julas. Vielleicht etwas dunkler.
„Sind bloß so vage Ideen, nicht mal, zuerst einmal sollte ich den Krieg überleben.“
„Solltest du.“ Würde er. Mara mochte ihn nicht ansehen und biss sich auf die Lippen. Spürte seinen Blick wie eine Berührung, dann seine Hand leicht auf ihrer Schulter.
(~674. Tag, 1.WM)
Ihr Bericht war wie erwartet nicht gut geworden, ziemlich wirr und unklar. Ärgerlich und noch immer irritiert über Ivoreks widersprüchliches Verhalten packte Mara ihre Sachen zusammen. Nahm ihre Unterjacke und machte sich auf den Weg zu Reik, sie wäre dem Gespräch gern ausgewichen.
Sein Arbeitszimmer bei der Garde. Zu ihrer Überraschung, er konnte nicht wissen, dass sie kam, wurde sie sofort vorgelassen. Stumm verbeugte sie sich, wusste nichts zu sagen. Sie war Reik seit Birkenhain ... seit Davians Tod nicht begegnet, hatte ihn nicht sehen und schon gar nicht mit ihm reden wollen. Ivoreks Vorwürfe hallten ihr durch den Sinn.
Reik erhob sich, ein bisschen zu eilig, blieb dann aber neben dem Schreibtisch, bedeckt mit Papiere und Folianten, stehen. „Gènaija, setzt Euch. Möchtet Ihr Tee?“
„Ja. Gern.“ Es war eine Erleichterung zu sitzen. Nervös rollte sie die Blätter des Berichtes auf ihrem Schoß zusammen, wartete.
Reik sagte nichts. Er war blass, doch konnte das auch am dämmrigen Licht im Zimmer liegen, es brannten nur zwei Kerzen. Seine Augen waren dunkel vor Müdigkeit, die Wangen eingefallen und hager und er hatte sich offenbar schon längere Zeit nicht rasiert.
„Sehe ich so schlimm aus?“
„Nein.“ Mara biss sich auf die Lippen. „Nur sehr… sehr müde halt. Und elend.“
„Ja. Ihr habt da den Bericht über... “
„Er ist nicht… nicht besonders gut“, erklärte sie eilig. „Es war schwierig, manches … Zauberei lässt sich schwer beschreiben. Und...“, ihre Stimme zitterte. „Was in diesem Gasthaus, in dem Zimmer... das geht niemanden etwas an.“
„Nein, natürlich nicht. Gènaija, darüber erwarte ich doch keinen Bericht“, gequält blickte Reik sie an.
„Dann ist das alles...“ Sie drückte die Papiere zusammen, reichte sie ihm hastig hinüber; sollten ihre Hände doch zittern. „Vielleicht ergibt das mit Hauptmann Ivoreks und Hauptmann Gettis Bericht ein... ein ungefähres Bild.“
Mit weichen Knien stand Mara auf und blickte Reik ins Gesicht. „Wenn Ihr… Ich werde selbstverständlich als Eure Beraterin zurücktreten, ich…“
„Nein!“
Erschrocken fuhr sie zusammen. „Wie?“
Und er stürzte sich geradezu auf sie, packte sie an den Ellenbogen. „Das wirst du nicht. Ich lehne deinen Rücktritt ab, Gènaija.“ Glitt dann ihre Arme hinab und umfasste, nicht mehr ganz so fest, ihre Hände. „Ich brauche dich.“
Reik verzog das Gesicht zu einem matten Lächeln. „Setz dich wieder. Der Tee sollte gleich kommen, und du… Wir sollten etwas essen, du kannst dich nicht nur von Branntwein ernähren.“
Unvermittelt ließ er sie los, trat zum Fenster. „Ich habe dich weinen gehört. In Kirjat, zwei Nächte, nachdem wir… Ich habe dein verzweifeltes Schreien gehört, aber ich… Ich kam mir vor wie ein Feigling, wie ein Versager, ein beschissenes Gefühl, aber ich hatte nicht die Stärke, zu dir zu kommen. Dir beizustehen. Und ich rede von Liebe!“
Mara wusste nichts zu sagen, fühlte sich überfordert. Sie wollte nicht auch noch seinen Kummer ertragen, wollte ihn nicht so leiden sehen. „Reik, bitte.“
„Es tut mir so entsetzlich Leid, Gènaija, und ich wünschte… Aber ich kann es nicht ungeschehen machen, ich kann nicht. Ich kann es nicht!“ Voller Wut schlug er gegen den Fensterrahmen, sie hörte das Holz knacken, doch die Scheibe barst nicht.
Sie hätte zu ihm gehen, ihm womöglich helfen, ihn trösten können, aber sie tat es nicht, beobachtete ihn bloß stumm. Weil sie ihm die Schuld gab an dem, was geschehen war, am Tod ihres Mannes, weil sie ihm Vorwürfe machte?
Jula hatte ihr, sehr knapp, berichtet, was bei jenem Gefecht geschehen war. Les hatte sich rundweg geweigert, mit ihr darüber zu reden, Sandar würde sie nicht danach fragen und Reik würde ihr den entsprechenden Bericht, den es sicherlich gab, nie zu lesen geben. Und auf einer sehr, sehr tiefen Ebene wusste sie um Davians Verletzungen, wusste von seinem Arm, von… Doch die Göttin, oder der Dämon, in ihr würde dieses Wissen niemals in ihr Bewusstsein, ihren Verstand gelangen lassen, und dafür war sie zutiefst dankbar. Davian würde für sie immer Davian sein.
Sie biss sich auf die Lippen, zwang die Tränen zurück und trat zu Reik, legte die Arme um ihn. Hielt ihn, während er, den Kopf an ihrem Hals vergraben, rau schluchzte, weinte.
Jemand, irgendein Bediensteter, hatte unterdessen das Abendessen aufgetischt, in einer Kanne dampfte frisch gebrühter Rotbuschtee. Reik ließ sie seufzend los und geleitete sie zu einem der Sessel. „Einschenken kannst du dir ja selbst. Und ess etwas, du wirst sonst noch krank.“
„Und du?“
Nachdenklich musterte er sie, nahm den Bericht vom Schreibtisch und blätterte ihn flüchtig durch. Las hier und da, bevor er ihn zurücklegte. „Da steht alles drin?“
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