„Hör auf!“
„Nein, ich höre nicht auf! Das geht so nicht, Mara, das kannst du nicht tun. Du schweigst, du weigerst dich, mit irgendjemandem zu reden, du… Verflucht noch mal, du bist doch nicht allein auf der Welt! Und du bist auch nicht die einzige, die um Davian trauert, aber du tust so! Für wen hältst du dich?! Domallen wartet seit einem Monat auf einen Bericht, egal wie wirr, auf irgendein Wort von dir, aber du, du…“ Er stieß seinen Stuhl zurück, riss sie hoch. „Und hör endlich mit dieser verdammten Heulerei auf!“
Schluchzend sah sie zu ihm auf, unfähig, sich zu wehren. „Schlägst du mich sonst wieder?“
„Würde das etwas ändern? Mara …“ Plötzlich wurden seine Gesichtszüge weich, verloren jede Härte, bevor er sie heftig an sich zog und küsste. „Mara, es tut mir Leid.“
„Drohst du mir jetzt wieder, mich zu verprügeln, oder mir den Hintern zu versohlen?!“
„Ich glaube nicht, dass ich das möchte. Brauchst du Hilfe?“
„Wie?“
„Ob du … Ich weiß nicht, brauchst du Geld?“
„Nein.“ Verdutzt schüttelte sie den Kopf. „Nein, ich habe Geld.“
„Gut. Und … kommst du irgendwo unter?“
„Wie bitte? Ich verstehe nicht, wovon redest du überhaupt?“
„Du solltest einen Bericht schreiben. Er muss, sollte wissen, was auf dem Weg nach Birkenhain passiert ist, was hinterher, bei ... mit Gettis Einheit. Aus deiner Sicht.“
„Wieso…“ Verwirrt schüttelte sie den Kopf. „Hast du einen solchen Bericht geschrieben?“
„Sicher, erklärt, warum ich dich überhaupt begleitet habe...“ Er rieb sich den Nacken. „Halt so gut es ging das Geschehen geschildert, wann und wo wir auf Claris, Karista und die zwei Frauen gestoßen sind. Bisher hat er darüber ja nur vom Hörensagen ... Reicht vielleicht, wenn du es ihm mündlich schilderst?“
„Aber…“, Mara fuhr sich über die Stirn, verstand gar nichts mehr, weil Ivorek von mehreren Dingen gleichzeitig zu reden schien. „Wieso fragst du mich das alles, was willst du eigentlich von mir?“
„Ich versuche herauszufinden, ob du klar kommst, ob du… Vergiss es. Ihr könnt hierher kommen.“
Zu ihm? Warum? „Du meinst, in dieses merkwürdige …“ Verwahrloste, aufgegebene, verlassene Gebäude. „Haus?“
Er zuckte einmal mehr die Achseln. „Gehört mir. Ich wollt’ mal was draus machen, aber … Na ja, mir kam was dazwischen. Der Krieg.“
„Das… das ist nicht nötig, wir … Ich habe ein Haus. Davians Haus, er hat es mir … Ich hab‘ irgendwo die Papiere, Urkunden, oder Sandar...“ Plötzlich wurde ihr schwindelig und sie musste sich an Ivorek festhalten, der sie besorgt betrachtete. „Was ist denn?“
„Iska meinte … Sie redete davon, er hätte viel geschrieben, immer nachts, seitdem er das letzte Mal zurück… Ich… Da ist ein ganzer Stapel, ich weiß gar nicht … Ivorek?“
„Soll ich… Ich komme morgen Abend vorbei, in Ordnung?“
„Aber …“
„Erstmal musst du deinen Bericht abliefern. Und ein langes … nun, jedenfalls ein Gespräch führen. Wenn du was gegessen hast, bringe ich dich in die Festung“, erklärte ... bestimmte er.
Mara aß nur wenig, ihr war immer noch übel, trank stattdessen viel. Tee. Ivorek beobachtete sie die ganze Zeit über, musterte sie ernst, als könnte sie etwas Dummes oder Unvernünftiges tun. Unwillig erwiderte sie seinen Blick. „Was?“
„Nichts, gar nichts.“
„Warum schaust du mich dann so an?“
„Ist sonst keiner da.“
„Himmel, dann … Häng dir ein Bild an die Wand, dann sieht es hier auch nicht so entsetzlich kahl aus!“
„Du findest es entsetzlich?“
„Kahl. Dies Haus scheint völlig leer, gänzlich … unbewohnt. Ich hätte nicht geglaubt, dass du so lebst. Haust“, murmelte sie. Als hätte sie sich darüber Gedanken gemacht.
„Ich habe nicht gesagt, dass ich so lebe. Es gehört mir halt.“
„Und was hast du damit vor?“
Ivorek zuckte lediglich die Achseln, wieder einmal, und sie wandte eilig den Blick ab, griff nach dem leeren Becher.
„Wieso wirst du jetzt rot?“
„Weil du…“ Abwehrend schüttelte sie den Kopf und nahm sich ein Stück Brot, zerkrümelte es aber bloß. „Ist nicht wichtig.“
„Doch, sag.“
„Ich… Du hast das gestern … also, heut Nacht, auch gemacht. Die Achseln gezuckt, halbnackt vor dem Bett stehend, um dann die Hosen runter… ähm, auszuziehen.“
„Daran denkst du?“
Betreten sah Mara auf ihre Hände, die Krümel auf dem Tisch, zuckte gleichsam die Achseln. „Es hat sich mir halt eingeprägt, was weiß ich. Ich war betrunken.“
„Ziemlich. Und was hat sich dir noch so einge…“
„Hör auf!“
„He, Mara, nicht doch.“ Er fasste unter ihr Kinn, drehte ihren Kopf, sodass sie ihn ansehen musste. „Ich hab’ dir bereits gesagt, ich habe das nicht geplant. Und ich habe mich bei dir entschuldigt.“
„Dafür, dass du es mit mir getrieben hast?! Das glaubst du doch selbst…“
„Hör mal, Schätzchen, du warst dabei nicht ganz unbeteiligt! Erzähl mir jetzt nicht, ich hätte dich dazu gezwungen!“
„Ach nein?! Und was ist das jetzt?“ Sie versuchte seine Hand wegzudrücken, doch Ivorek legte ihr auch noch die andere in den Nacken, hielt ihren Kopf fest. „Mara, du…“
„Und wenn du mich schon unbedingt küssen musst, dann richtig, nicht so nebenher, wie eben.“
„Hat dir nicht gefallen?“
„Nein! Ich bin doch kein…“
„Bist du auch nicht.“ Behutsam küsste Ivorek sie, sacht, erstaunlich zärtlich, strich ihr mit den Fingerspitzen über Hals und Nacken. „Mir war nicht… Ich wusste nicht, ob du das überhaupt willst. Von mir geküsst werden, obwohl wir ... Und du … Du bist mir zu wichtig für eine bloße Tändelei, für eine kurze Affäre.“
Stöhnend lehnte Mara den Kopf an. „Ivorek, ich kann das jetzt nicht…“
„Sollst du auch gar nicht. Ich will dich nicht zu irgendwas drängen, ich möchte nur … Ich möchte dir ein Freund sein, ein guter Freund. Bloß weiß ich dummerweise, wie es ist, dich zu küssen, und das…“ Er lachte rau, fuhr sich durch die wirren Locken. „Ist etwas, was ich immer wieder tun könnte. Möchte. Ist ausgesprochen aufregend. Und sehr schön. Ich rede zu viel, hm?“
„Nein.“ Eigentlich gefiel ihr seine Gegenwart, wie er mit ihr sprach.
„Ich habe immerzu das Gefühl, etwas erklären zu müssen, mein Verhalten, meine Beweggründe, und das bin ich nicht gewohnt. Die Frauen, mit denen ich bisher zusammen war, waren … einfacher, nicht so schön, nicht so kompliziert und anspruchsvoll wie du, die … Wir haben nicht so viel geredet, und sie haben nicht alles hinterfragt.“
„Wir sind nicht zusammen. Und ich bin nicht anstrengend, falls du das sagen wolltest.“
„Doch, bist du.“ Kurz drückte er sie an sich. „Schrecklich anstrengend, aber das macht nichts. Und nein, du hast Recht, wir sind nicht zusammen.“
„Waren es denn viele? Frauen, meine ich.“ Er hatte ihr auf dem Ritt von zweien erzählt, den Müttern seiner Söhne.
„Ein paar schon, ich bin ein ganzes Stück älter als du. Noch Tee?“
Sie nickte, und Ivorek schenkte Tee nach. „Wie viel älter?“
„Wenn du mir verrätst, wie alt du bist, sag ich ’s dir.“
„Neunzehn Jahre und knapp... einen halben Monat.“
„Oh, verflucht, ich hoffte…“, er lachte belustigt. „Ich bin vierunddreißig, bald fünfzehn Jahre älter.“
„Aber unverheiratet?“
„Das hatte ich dir ja bereits erzählt. Alte Gardisten sind unverheiratet. Entschuldige, wenn ich das sage, aber kein Mensch hat ernsthaft geglaubt, Davian würde dich heiraten, er war so gar nicht…“
„Er hat mich geheiratet“, erklärte sie schroff.
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