Glaubte, etwas zu hören, vielleicht ihre leichten Schritte, zögernd, und lehnte sich an die Wand, die Arme vor der Brust verschränkt. Sah nicht mehr als einen Schemen, ihre Silhouette in der Dunkelheit, am entfernten Ende des Ganges.
„Wartest du etwa auf mich?“
Schon sein ganzes Leben, das wusste sie. „Aye.“
Eine Bewegung, ein undeutlicher Laut, vielleicht zuckte sie die Achseln. Kam nicht näher. „Was willst du? Was erwartest du denn, was ich ...“
Alles. „Nichts.“ Er überwand die Distanz und stand ganz nah vor ihr, zu nah. Roch sie, hörte ihren leisen Atem und hob die Hand. „Gènaija, Kleines...“
Wieder dieser Laut, unterdrücktes Schluchzen vermengt mit spöttischem Schnauben, und er zog sie an sich, küsste sie unbeherrscht. „Ich weiß, ich bin... Ich habe das Feuer entzündet, vorm Tempel.“
„Natürlich, du bist der Winterkönig.“ Sie drängte sich an ihn. „Der Jäger, das ist deine Nacht.“
„Aye...“, er beugte den Kopf und biss ihr in den Hals, seine Hände fuhren über ihren Oberkörper, zerrten ihr gierig das Hemd ... „Nicht hier.“
„Nicht?“ Erneut dieser Spott, eine gewisse Härte in ihrer Stimme, es war reizvoll. Ein bisschen herausfordernd.
„Nein.“ Eilig zog er sie den Gang entlang, schob sie durch eine Tür, das Zimmer womöglich noch dunkler, düsterer, alle Fensterläden verschlossen, kein Feuer im Kamin, irgendwo stand ein breites, bequemes Bett. Doch er fand in seiner Ungeduld nicht einmal das Sofa, zerrte ihr die Kleidung vom Leib, riss sie zu Boden, zumindest auf einen dicken, üppigen Teppich, und ließ seine Hände liebkosend über ihre nackte Haut gleiten, küsste sie, wieder und wieder. „All deine Tränen, all dein Schmerz gehören mir.“ Er wusste nicht, warum er das sagte, es war... Er war der Jäger. „Aber ich will auch dein Lachen. Deine Liebe.“
„Meinen Körper?“
„Der gehört mir!“ Er drängte sich rüde zwischen ihre Schenkel, drängte sich stöhnend in sie. Sie gehörte ihm, war sein, und er liebte sie. Wollte nichts anderes, sein Leben lang.
Ihr Seufzen, „Aye, mein König.“
Und nichts davon geschah, denn er ging nicht zu ihr, lauerte ihr nicht auf den dunklen Gängen des Palastes auf. Noch nicht einmal in der Nacht der Wintersonnenwende, seiner Nacht.
* * *
Als hätte Rod es nicht geahnt, nun hatte er sie auf dem Hals: Gretta und ihre Kinder. Er musste sich um sie kümmern, wenigstens für eine vernünftige Unterkunft sorgen. Denn Geld für einen Neuanfang oder gar das Leben in der manduranischen Hauptstadt, in der es ohnehin von Soldaten, Geflüchteten, Vertriebenen und Glücklosen nur so wimmelte, hatten die drei nämlich nicht. Es war so mühsam, mit Gretta zu diskutieren, die mit den Zwillingen, jedenfalls mit Toni, ständig in seiner Nähe zu weilen schien; er mochte nicht zu direkt, gar grob werden, sie hörte aber auch nicht richtig zu, sie wollte ihn offenbar nicht verstehen.
„Ich bin mir ziemlich sicher, Meister Sakar benötigt keine … ähm, Haushälterin. Der Mann wohnt im Palast, Gretta, er ist genau wie Meister Liz-Rasul, wie wir alle ein geschätzter Gast seiner Majestät und wird dort mit allem Nötigen versorgt.“
„Ein wenig Ordnung und Fürsorge von weiblicher Hand wäre vielleicht gar nicht verkehrt“, mischte sich Meister Dibistin unerwartet ein, der im großen Wohnraum mit Toni geplaudert, sogar gescherzt hatte. „Bis die Familie etwas anderes gefunden hat, und Platz ist hier doch genug, Roderick“, der Alte winkte ihn nachdrücklich näher, senkte die Stimme. „Du sprichst die Kleine nicht auf die Geschehnisse im Sommer an, hörst du?“, Dibistin klang ernst und überaus eindringlich. „Stattdessen bringst du sie zu deiner Heilerin, dieser Nadka, vielleicht weiß die … Nun, vielleicht kann sie das Kind fürs erste im Tempel unterbringen, es irgendwie beschäftigen. Die Mädchen beginnen wohl frühestens mit sechzehn ihre Ausbildung.“
„Im Tempel?“, fragte Rod skeptisch. „Ich kann mir nicht vorstellen…“
„Die Kleine ist mitnichten dumm, nur erschreckend ungebildet. Und verstört, zutiefst verstört.“
Von den Geschehnissen im Sommer, als die feindlichen Soldaten das erste Mal nach Birkenhain kamen, das Dorf heimsuchten? Rod wollte es wirklich nicht wissen.
* * *
Renka hätte die ganze Zeit weinen können, immer nur weinen. Es war so furchtbar, so entsetzlich traurig. Unfassbar. Sie würde nie wieder sein Grinsen sehen oder seine Stimme hören, diese barsche… Ihr kamen schon wieder die Tränen und sie biss sich hastig auf die Lippen, sie sollte nicht weinen. Mara weinte auch nicht, nie. Jedenfalls hatte Renka sie nicht ein einziges Mal weinen sehen, seit… Seit es geschehen war, seit Hauptmann Davian umgekommen war.
Es war schlimm, wirklich schlimm, sie wusste überhaupt nicht, was sie tun sollte. Wenn sie Mara doch nur irgendwie helfen könnte, irgendetwas machen. Sie fühlte sich so hilflos. Einmal, es war schon etliche Tage her, war sie zu Lor gegangen, den kleinen Jungen hatte sie bei Iska gelassen, aber Lor hatte auch keinen Rat für sie, Lor hatte auch nur geweint. Dabei kannte die Davian gar nicht so gut, hatte sie zumindest gesagt, nur von früher. Lor hatte versprochen, mal vorbeizukommen, hatte das dann sogar gemacht; Mara hatte kein Wort mit ihr gewechselt.
Mara sprach nicht, mit keinem. Hockte stumm im Arbeitszimmer – dort schlief sie offenbar auch, wenn sie denn nächtens in der Festung war –, die Beine auf den Sessel gezogen, und starrte regungslos aus dem Fenster. Sie reagierte nicht, wenn jemand zu ihr kam, sie ansprach, überhaupt nicht, als wäre sie … gar nicht da. Es war erschreckend, sie so zu sehen, es war zum Verzweifeln, am liebsten hätte sie Mara gepackt und gründlich geschüttelt, irgendwas, sie fest in den Arm genommen. Aber sie traute sich nicht.
Renka hatte gehört, nur Gerüchte, was in Birkenhain passiert war, sie hatte Mara ins Gesicht, in die Augen gesehen, als diese zurückkehrte, und war erschrocken zurückgezuckt. Und das war fast am schlimmsten, dass sie jetzt Angst hatte vor dieser wundervollen, wunderschönen bleichen Frau.
Irgendjemand sollte etwas tun. Wo waren denn diese großen, starken, tapferen Männer, sie ließen sie allein. Feiglinge, alle miteinander.
* * *
Finster starrte Lennart in sein Glas. Was tat er hier in dieser schäbigen Kaschemme, so gut war das Bier nun auch nicht? Was tat er überhaupt in diesem kalten, harten Land Mandura? Für was riskierte er denn sein Leben, ein bisschen Abenteuer und Aufregung und die vage Aussicht, vielleicht einmal … Eine rosige, strahlend goldene Zukunft erschien ihm momentan sehr, sehr fern und entsetzlich unwirklich.
Er trank einen weiteren Schluck und betrachtete dabei flüchtig die liederlich gekleidete Rothaarige, die unweit von ihm am Tresen saß, nicht das erste Mal. Er wusste natürlich … war nicht der einzige, der sie mehr oder minder unauffällig beobachtete. Drei Kerle, alles andere als nüchtern, sie hatten sich wohl inzwischen genug Mut angesoffen, näherten sich ihr grienend und feixend. Aber er war schlicht schneller. „Darf ich Euch noch ein Bier spendieren?“
„Du wieder…“ Sie sah nicht einmal auf, in seine Richtung. „Noch eins un‘ ich kotz dir vor die Füße.“
„Vor die Füße ist schon in Ordnung“, er bestellte zwei Gläser Branntwein.
„Branntwein is‘ in Ordnung“, nuschelte sie und warf ihm einen Blick zu, grinste nicht. Ihre Augen waren gerötet, ihr Haar … ihre Locken wirr und zerdrückt, seit vielen Tagen ungekämmt. „Geht schneller, hat er gesagt, un‘ is‘ billiger.“
„Vermutlich“, er nickte, rückte ihr nicht noch näher. Er roch sie, ihren Schweiß, ihren Körpergeruch, und fragte sich, wie lange… Es störte ihn nicht wirklich, im Gegenteil, er hätte zu gern den Geschmack ihrer Haut gekostet; nach Leid, nach Schmerz. Hätte sie zu gern geküsst, doch nicht hier, nicht… In der Dunkelheit, der Düsternis und Verlorenheit der Nacht, wenn sie das einzige war …
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