Tessa seufzte, hob die Hand an ihr Gesicht, und Mikkie legte rasch seine Linke auf ihre. „Verzeih, ich… Du kanntest diesen Hauptmann gut?“
„Ich mochte und schätzte Hauptmann Davian, ja. Sehr. Mara ist eine gute Freundin, ich war auf ihrer Hochzeitsfeier und…“ Sie wandte den Kopf ab, konnte ihr Schluchzen nicht länger unterdrücken.
Mikkie schloss behutsam die Arme um sie, den Kopf dicht zu ihrem geneigt. „Tut mir… Ich sage nur das Falsche, bringe dich zum Weinen, Liebste. Ich sollte nicht mehr reden.“
„Nein, du… Es ist nur…“ Zu nah, wie Reik gesagt hatte, viel zu nah, sie weinte, schluchzte hemmungslos. Ließ sich aber nur zu gern, zu dankbar von Mikkie trösten und im Arm halten.
„Könntest du uns einen Moment allein lassen?“, vernahm sie Mikkies an Lennart gerichtete ruhige Stimme.
„Klar. Ich geh‘ schon mal vor und erklär‘ diesem Hauptmann Ferrin, dass du dich verspäten wirst.“ Er ging, Tessa hörte ihn das Speisezimmer verlassen, die Tür, und drängte sich noch enger an Mikkie, küsste ihn voller Hingabe. Fand Trost in seiner Nähe, seinen zärtlichen Küssen, wollte ihn nur immer weiter küssen, wollte viel mehr, mehr von seiner Nähe, ihn, und hob seufzend den Kopf. „Erzählst du ihm eigentlich alles?“ Der Gedanke war … ließ sie erschauern, zurückschrecken.
„Bestimmt nicht, der Kerl spinnt sich ganz gern was zurecht.“ Mikkie betrachtete sie liebevoll, streichelte ihr über die Wange. „Ist es in Ordnung, für dich, wenn ich mich jetzt zu dem Treffen mit Hauptmann Ferrin aufmache?“
„Ja, natürlich. Du musst meinetwegen doch nicht… Ist es ernst? Der Grund, Anlass eures Treffens?“
„Weniger, die übliche Routine, würd‘ ich sagen. Ohne schlecht über ihn reden zu wollen, der Mann ist nicht sonderlich gut organisiert, wird schnell hektisch und kann ein wenig Unterstützung gebrauchen. Sehen wir uns dann, heut Abend?“
„Damit du Lennart etwas zu erzählen hast?“, bemühte Tessa sich um ein Lachen. „Sehr, sehr gern.“
* * *
Mara saß an einem geschützten, trockenen Platz in der Sonne und schaute ihrem Sohn zu, der versunken, völlig weltvergessen mit einigen Steinen und Hölzchen spielte. Wischte sich über die Augen, sie hatte nicht gemerkt, dass sie weinte, und streckte ihm die Arme entgegen. „Na komm. Frierst du gar nicht?“ Sie fror, immer, war ständig müde und konnte doch nicht schlafen, fand keine Ruhe.
Jurei sah hoch und kam mit noch reichlich wackligen Schritten auf sie zu, warf sich ihr entgegen. Mara fing ihn auf, wirbelte ihn ein paarmal im Kreis herum, sollten doch ihr Bein, ihre Hüfte schmerzen. Hörte Jureis begeistertes Jauchzen, er mochte das, er freute sich, ihr kamen erneut die Tränen und sie hielt ihren Sohn, Davians Sohn, ganz fest an sich gedrückt. Lauschte mit geschlossenen Augen auf das Knirschen von Schritten im Schnee, als sich ihnen jemand... Jula durch den noch winterlich kahlen Garten näherte.
„Hei.“
Jurei zappelte und Mara ließ ihn wieder runter, den Blick auf ihn, nicht auf Jula gerichtet. Mied dessen Blick, wie sie den Blick eines jeden mied, die Begegnung, das Gespräch, als wäre sie... Presste die Lippen zusammen.
„Ich wollte... Möchtest du...“ Und auch Jula verstummte, sie konnte sich seine verzweifelte, enttäuschte Miene vorstellen, die Mühe, die es ihm bereitete, immer wieder auf sie zu zu gehen, es jeden Tag erneut zu versuchen. „Mara, bitte.“
„Du gibst nicht auf, hm?“
„Ich bin dein Freund, Mara.“ Er seufzte, und es klang ein bisschen ungeduldig. „Jetzt sieh mich endlich an!“
„Aber dann muss ich...“
„Und? Glaubst du, das halte ich nicht aus? Es ist traurig, es ist entsetzlich traurig, also weine, so lange und so viel du willst, das darfst du! Aber strafe mich nicht dafür, dass ich Birkenhain überlebt habe!“
„Das...“ Konsterniert sah sie ihn an. „Das mache ich doch gar nicht. Denkst du das?“
In einer fast hilflos wirkenden Geste hob er die Hände. „Nicht?“
„Nein. Nein, natürlich nicht... Jula!“ Hastig schlang sie die Arme um seinen Hals, drängte sich an ihn. Hörte Jurei unweit ihrer Füße zufrieden brabbeln, weil er womöglich ein neues, interessantes Spielzeug entdeckt hatte. „Ich mache dir keine Vorwürfe.“
„Aber ich...“
„Noch ein Wort und ich schlage dich!“, unterbrach Mara ihn grob. „Jula, das ist absurd, niemand denkt das!“
Jurei kreischte laut und fordernd, verlangte Maras Aufmerksamkeit; eilig ließ sie Jula los und beugte sich zu ihrem Sohn. „Was, Sonnenschein? Das ist eine tote, offenbar erfrorene Maus, wo hast du die ausgebuddelt? Die sollst du nicht essen, mein Lieber.“ Kopfschüttelnd nahm sie Jurei auf den Arm, sah Jula auffordernd an. „Kommst du mit hoch, Abendessen?“
Statt zu antworten legte er den Arm um sie und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. „Gern. Sehr gern. Wie lange läuft dein Sohn eigentlich schon?“
„Seit...“ Mara lehnte den Kopf einen Moment an Julas Schulter, biss die Zähne zusammen, um nicht laut aufzuschluchzen. „... ein paar Tagen, drei oder vier. Renka ist sehr, sehr stolz.“
Unglücklich sah er sie an, küsste sie dann zärtlich auf den Mund. „Und du weinst. Wenn du...“
„Nein.“ Ein bisschen sehr schnell lehnte sie sein Angebot, was auch immer es beinhaltete, ab. „Das wäre nicht... es wäre dir gegenüber nicht richtig.“
„Sicher?“ Jula streichelte sacht ihre Wange, und sie ahnte, warum er es nicht dabei beließ. „Ich würd‘ mich nicht ausgenutzt fühlen, Mara.“
„Es wär‘ nicht... es ginge mir nicht um dich.“
Jula nickte zögernd und küsste sie einmal mehr, nachdrücklicher. „Gut.“
* * *
Ivorek sah sich nicht allzu aufmerksam in der ‚Traube‘ um. Er wusste, was er wissen musste – sie saß mit zwei Männern an einem Tisch hinten in der Ecke –, ging an den Tresen und bestellte sich ein Bier. Es schmeckte bitter, aber das passte zu seiner Stimmung. Seiner schlechten Laune.
Verdammt, warum musste die Frau sich hier betrinken? Er hatte verflucht noch mal keine Lust, sich ihretwegen mit diesen Typen zu prügeln, aber genau darauf würde es hinauslaufen. Die zwei sahen nicht so aus, als würden sie viel Verständnis oder gar Mitgefühl haben, die wollten was für ihr dreckiges Geld. Von ihr, Mara. Und wenn die weiter so trank, würden sie es auch bekommen, dann wäre sie nicht mehr in der Lage, sich gegen die Kerle zur Wehr zu setzen. Sie hätte nicht mal nüchtern eine Chance gehabt.
Die Frau sollte verflucht noch mal überhaupt nicht hier sein! Ärgerlich schnappte er sich seinen Krug und drängte sich zu ihrem Tisch durch, nickte ihr knapp zu. „Komm mit.“
Grüßend hob Mara ihr Glas, eindeutig nicht das erste, und drückte sich noch enger an den Kerl, der den Arm besitzergreifend um sie geschlungen hatte. „Ivorek, mein Freund. Bist du auch durstig?“
„Nicht durstig genug.“ Er knallte den Krug auf den Tisch, streckte auffordernd die Hand aus. „Lass uns tanzen!“
„Und wenn ich nich…“
„Du willst. Los, komm schon!“
Schwankend kam Mara auf die Füße, stolperte fast, doch da hatte er sie bereits gepackt.
„Du hast aber ganz miese Laune.“
„Stell dir vor, ja. Und rate mal, warum?“
Die junge Frau verzog nur das Gesicht, drängte sich viel zu nah an ihn. Unter anderen Umständen hätte ihm das gefallen, aber nicht hier, nicht, wenn sie derart betrunken war. „Weiß nich.“
„Weil es mir keinen Spaß macht, mir jede Nacht um die Ohren zu schlagen und auf dich aufzupassen, nur damit du nicht in Schwierigkeiten gerätst!“
„Zwingt dich doch keiner…“
„Doch, du! Du zwingst mich dazu! Noch eine und noch eine dreckige Kneipe, eine schlimmer als die andere, wo du dich jede Nacht hemmungslos besäufst, dich irgendwelchen miesen, schmierigen Kerlen an den Hals wirfst, und ich…“ Er stritt auch noch mit ihr, mit einer Betrunkenen.
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