1 ...6 7 8 10 11 12 ...25 „Nein.“ Grimmig wandte Reik ihnen den Rücken zu, stand deutlich tiefer als zuvor.
„Angriff.“
Ein hochangesetzter, schneller Schlag direkt auf den Kopf. Reik hatte wieder über rechts gedreht, seine Abwehr kam viel zu spät, Mara hatte sich schon zurückgezogen, war lasch. Dafür fluchte er umso lauter, knurrte unverständlich.
„Angriff.“
Endlich drehte er über links. Direkt in ihren geraden Stoß, auf den Magen gezielt, hinein, und wieder kam seine Abwehr sehr spät, lenkte gerade noch ihren zweiten, seitlichen Hieb ab.
Jon schüttelte nur den Kopf. „Reik, Junge, was ist los mit dir? Du bist überhaupt nicht bei der Sache. Noch mal fünf Runden um den Übungsplatz, damit du einen klaren Kopf bekommst.“
Etwas zu eilig griff Jon nach ihrem Arm. „Du nicht, Mara, ich wollt’ noch …“ Er wartete, bis Reik und Gerol der Raum verlassen hatten. „Ich möchte deine Leistung nicht schmälern, aber ich habe ihn selten so schlecht gesehen. Du hingegen warst erstaunlich gut, immer reichlich riskant, aber … Dein Mann wäre stolz auf dich gewesen.“
Betreten senkte Mara den Kopf, wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß vom Gesicht. „Das war doch nichts, nur ein paar…“
„Du hast ihn jedes Mal überrumpelt, Mara, das ist nicht nichts.“
„Aber in einem ernsthaften Kampf hätte ich gegen ihn keine Chance, er ist viel besser als ich, stärker sowieso.“
„Weshalb es ihn umso mehr ärgert, dass du ihn getroffen hast. Er wird nicht oft getroffen.“
Und dann auch noch von ihr. Vermutlich sollte sie froh sein, dass Jon die Sache abgebrochen hatte.
„Was macht dein Bein jetzt?“
„Fühlt sich ganz gut an. Aber morgen wird mir alles wehtun.“
„Nimm ein heißes Bad, das hilft. Und morgen trainierst du wieder.“
* * *
Hiron sprach nicht mehr vom Heiraten, er sprach überhaupt nicht mehr viel mit ihr. Selten einmal mit seiner sehr viel jüngeren Schwester Indira, ein lebhaftes und sehr aufgewecktes, hübsches junges Mädchen, höchstens noch mit seinem Sohn Mavi, aber auch nicht oft. Nuri verstand es nicht, sie wusste nicht, was vorging! Einige Monate hatte sie tatsächlich gehofft, sie hatte begonnen sich einzuleben, sich hier wohl zu fühlen, doch jetzt… Ihre Angst wuchs. Der Krieg lief offenbar nicht, oder nicht mehr, gut für die manduranische Seite, soweit sie Indira, ihre Bemerkungen richtig verstanden hatte. Das Mädchen redete furchtbar schnell, zu schnell für sie, und oft war es mit hunderterlei anderen Dingen beschäftigt, hatte gar keine Zeit für ihre dummen Fragen.
Nuri fühlte sich zunehmend einsam, ungewollt, fehl am Platz, und wäre nicht Mavi gewesen… Aber der war ein kleiner Junge, der Furchtbares erlebt hatte, mit ihm konnte sie unmöglich über ihre Sorgen und Ängste reden. Manchmal, in letzter Zeit immer öfter dachte sie an diese wundervolle Frau, Mara. Manchmal wünschte sie sich einfach eine Freundin, eine gute Freundin, mit der sie über alles reden, mit der sie ihre Geheimnisse – nicht, dass sie viele hatte –, ihre Wünsche, Hoffnungen und Befürchtungen teilen könnte. Doch welche Manduranerin wollte schon etwas mit einer Kalimatan zu tun haben. Niedergeschlagen schaute sie auf den dunklen, kahlen Garten hinaus, genauso trübsinnig wie ihre Gedanken. Das Grün der Bäume und die üppigen, wild wuchernden Pflanzen fehlten ihr.
Als es an der Zimmertür klopfte, wischte sie hastig die Tränen fort, bevor sie öffnete. „Hiron? Du… Ist etwas passiert?“
„Ich hoffe doch, nicht. Kann ich reinkommen?“
„Ja, ich… Natürlich kannst du reinkommen, immer.“ Sie lachte hilflos, brach aber gleich wieder ab. „Das weißt du doch. Was kann ich für dich tun?“
Er musterte sie ernst, berührte zögernd ihren Arm. „Wohl eher ich für dich. Wir müssen reden, Nuri.“
* * *
Manchmal wunderte Claris sich selbst. Er kam zurecht, er dachte nicht mehr so oft… musste nicht mehr ständig daran denken. Was geschehen war, seine Gefangenschaft, die Misshandlungen. Ja, es war schrecklich, schlimm, aber es war Vergangenheit. Unabänderlich Teil von ihm, doch eben nur ein Teil, es machte ihn nicht aus; er, Claris, war weit mehr.
Schnaubend schüttelte er den Kopf und zog die schwere Weste über, hakte den Knüppel an den Gürtel. Das unterarmlange Ding war erstaunlich handlich und die einzige offizielle Waffe der Mitglieder der Stadtwache, trotzdem natürlich jeder ein Schwert mit sich führte. Tatsächlich trugen sie, anders als die Festungs- und Torwachen, keine Uniformen, waren lediglich, so seine Vermutung, das zivile Anhängsel der Armee. Aber irgendwie gefiel ihm das, war das der Grund, warum er sich gleich nach seiner Ankunft in der Hauptstadt bei der Stadtwache gemeldet hatte. Er teilte sich lieber mit irgendeinem anderen Wächter – der Mann war ihm völlig fremd und mehr als doppelt so alt wie er – eine kleine Kammer in dem verwinkelten Gebäude am großen Markt, als bei seinem Großvater im Palast unterzukommen. Dort wäre er auf Jahre hinaus der bedauernswerte, arme Junge, dem nichts zuzumuten, aber auch nichts zuzutrauen war; ein Opfer. Aber hier in der Stadtwache konnte er etwas tun, war lediglich einer von vielen, nichts Besonderes, und wurde weitestgehend in Ruhe gelassen. Ein paar wussten wohl Bescheid, über ihn, seine Geschichte, Karista sowieso, aber niemand stellte Fragen.
Na ja, fast, als er in einer der allerersten Nächte schreiend aus einem Alptraum erwacht war, hatte ihn sein Zimmergenosse Elias einfach wortlos in den Arm genommen. Claris hatte es verblüffend angenehm empfunden, dem Mann körperlich so nahe zu sein, gar nicht peinlich oder unpassend.
„Du sagst, wenn dir was nicht gefällt, hm?“
Claris hatte gar nichts dagegen gehabt, er störte sich weder an Elias‘ anfangs etwas rüden Küssen noch an seinen vorsichtigen Streicheleinheiten. Im Gegenteil. Die Zärtlichkeiten halfen ihm einzuschlafen und die Schrecken seiner Alpträume zu bändigen. Beinah schon begann er sich auf die Nächte und eine neuerliche Begegnung zu freuen.
Meist, so auch heute, war er mit Janek und Josch auf Patrouille – wie immer zu dritt. Die beiden, nur wenig älter als er selbst, waren lustig, stets gutgelaunt, und Janek zudem ein hervorragender Schwertkämpfer. Nicht allzu verwunderlich, Janeks Vater war der Schwertmeister Jon.
„Wenn wir zum Tempel kommen, triffst du deine Freundin wieder“, zog Janek ihn auf, als sie durch die Straßen schlenderten.
„Bitte?“ Claris schüttelte irritiert den Kopf.
„Na, die Kleine“, führte der beneidenswert attraktive junge Bursche grienend aus. „Das Mädchen, das Heilerin werden will.“
„Oh, Toni?“ Er musste selbst grinsen. „Die ist doch nicht meine Freundin.“
„Scheint aber sehr von dir angetan zu sein.“
„Was weiß ich“, Claris zuckte die Achseln. „Sie hat dieser Heilerin in den Häusern geholfen, als ich… als wir hier ankamen.“ In Gedanken korrigierte er sich, genau genommen hatte er das Mädchen einige Zeit später getroffen, als er nochmals die Häuser aufsuchte.
Josch schlug in die gleiche Kerbe. „Offensichtlich hast du bei ihr einen bleibenden Eindruck hinterlassen, sie kennt deinen Namen.“
„Weil ich mich vorgestellt habe“, grummelte Claris, froh, dass er bereits dämmerte, denn er wurde rot. „Das macht man so.“
„Wenn man Mädchen kennenlernen will, ja?“, lachte Janek, der allerdings derjenige war, der ständig mit einem anderen Mädchen abzog.
„Nein, wenn man… Ach, vergiss es“, schimpfte er. Vor ihnen lag der steile Weg den Hügel zum Tempel hinauf. „Müssen wir da überhaupt hoch?“
„Ist Teil der Runde“, erwiderte Janek lapidar. „Und das letzte Mal gab es Tee und Gebäck für jeden.“
„Hast du schon wieder Hunger?“
„Ihr nicht?“ Janek lachte und schritt schneller aus.
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