„Könntest du. Bist du wütend auf mich?“
Sacht schüttelte sie den Kopf. „Nein, bin ich nicht.“
„Gut …“ Sie war so nah, und ihr Duft war so anziehend, dass er sie einfach küssen musste! Reik tat es aber nicht, sondern kämpfte gegen den zunehmenden Einfluss des Jägers. Gènaija war keine der erfahrenen Frauen, mit denen er sonst verkehrte, sie war ungleich empfindsamer, verletzbarer, er sollte vorsichtig sein. Auch wenn er sie noch so sehr begehrte, der Jäger … Aber er war nicht nur der Jäger!
Reik zog sie auf die Füße. „Komm mal mit. Was hast du denn mit deinem Bein gemacht, hast du dich verletzt?“
„Nur eine Schramme, nicht weiter schlimm“, wiegelte sie ab.
„Aber du humpelst, du hast schon einige Male das Gesicht verzogen, als hättest du Schmerzen.“
„Tatsächlich? Na ja, es tut ein bisschen weh. Wohin bringst du mich?“
„Nach nebenan, in meine Zimmer. Ich müsste irgendwo noch …“
Er ließ sie im Eckzimmer zurück, einem schönen, großen Zimmer mit blankpoliertem Holzboden und leicht nach außen gewölbten Wänden, Fenstern nach Süden und Westen. „Setz dich.“
Sie nahm Platz, stand aber fast sofort wieder auf, um an die Fester zu treten und wie gebannt hinaus zu schauen. Der Ausblick war, selbst bei Nacht und Regen, bezaubernd, wunderschön.
Schnell ging er ins Schlafzimmer, suchte im Schrank herum. Hörte Gènaija nebenan reden, nach ihm rufen.
„Ich bin hier, komm ruhig herein.“
Neugierig betrat sie das geräumige Zimmer, sein Schlafzimmer, und sah sich interessiert um. „Hier schläfst du also?“
„Ja.“ Reik wandte sich zu ihr um und lachte, als er ihren Gesichtsausdruck sah. „Gefällt es dir nicht?“
„Doch, ich bin nur etwas überrascht. Du legst wohl wenig Wert auf Möbel?“
Bis auf das Bett, das zwischen den beiden hohen Fenstern stand, einer großen Truhe, zwei Schränken an der rechten Wand und einem Waschtisch war das Zimmer leer.
Reik führte Gènaija ins Eckzimmer zurück. „Möbel lenken ab.“
„Vom Schlafen?“
„Von allem, besonders vom Arbeiten.“
„Das ist mir noch gar nicht aufgefallen. Vielleicht liegt es daran, dass du dich zu leicht ablenken lässt?“ Ihre Stimme hatte jetzt einen geradezu frechen Tonfall.
„Wenn mich etwas langweilt, dann ja. Lass mal sehen“, forderte er sie mit einer auffordernden Geste auf.
„Das … das sollte ich lieber selber machen“, wich sie aus.
„Würdest du im Tempel doch auch nicht.“
„Nein, aber …“
„Aber?“ Er grinste sie an. „Du bist albern, Gènaija.“
Sie wurde prompt rot, stellte jedoch den rechten Fuß auf einen Stuhl und zog den Stoff des Morgenmantels bis fast zur Hüfte hoch.
„Wie hast du das denn fertiggebracht?“ Skeptisch schüttelte Reik den Kopf. „Ich dachte immer, die Priesterinnen trainieren mit Holzschwertern?“
„Tun sie auch. Aber ich darf inzwischen am Unterricht der Tempelwächterinnen teilnehmen, heute schon zum zweiten Mal, und die verwenden richtige Schwerter, allerdings stumpfe.“ Gènaija rümpfte die Nase. „Das riecht ja scheußlich, bist du sicher, dass die Salbe noch nicht verdorben ist?“
„Die muss so riechen. Außerdem brennt es, wenn man sie aufträgt. Aber sie wirkt.“ Reik bemerkte, wie sie die Zähne zusammen biss, als er die Salbe vorsichtig einmassierte. „Du trainierst mit den Tempelwächterinnen?“
„Ja. Malin sagt, es wäre eine hervorragende Übung für sie, gegen eine Linkshänderin zu kämpfen“, erklärte Gènaija eifrig. „Es gibt wohl sonst keine in der Tempelwache. Keine richtige zumindest. Natürlich können Malin, Sina und noch einige andere beidhändig mit dem Schwert umgehen. Sina kämpft manchmal mit links gegen mich, außerhalb des Unterrichts, aber ich finde nicht, dass da so ein bedeutender Unterschied ist.“
„Vor allem ist es ungewohnt. Da aber Schwertkampf insgesamt eine ganz neue Erfahrung für dich ist, gibt es tatsächlich keinen großen Unterschied.“ Er steckte die Enden der Binde fest. „Ich hoffe, es geht so mit dem Verband?“
„Ja, danke. Im Tempel hätte es auch niemand besser gemacht.“
Reik musterte sie nachdenklich, sagte jedoch nichts.
„Was ist, warum siehst du mich so an?“
„Nichts“, gab er achselzuckend zurück.
„So?“ Abrupt drehte sie sich um und trat wieder an die Fenster.
Er brachte die Salbe zurück und wusch sich sorgfältig die Hände. Dann trat er dicht zu Gènaija, ohne sie jedoch zu berühren. Über den Ebenen im Westen schien sich ein Gewitter zusammenzubrauen, ab und an zuckten bereits Blitze über den Himmel.
„Geht es dir gut, Gènaija?“, seine Stimme klang belegt.
Überrascht wandte sie sich ihm zu und lächelte ihn offen an. „Ja.“
„Réa erzählte, du hättest Alpträume.“
Gènaija hob die Hand an sein Gesicht und strich ihm zärtlich über die Wange. „Du machst dir doch nicht etwa Gedanken um mich. Hast du nicht genug Sorgen?“
„Sollte man meinen. Dumm von mir, nicht?“, spottete er.
„Nicht unbedingt dumm, aber unnötig. Reik, es geht mir wirklich gut, ich fühle mich wohl.“
Sorgsam küsste er jede ihrer Fingerspitzen, zog Gènaija eng an sich.
„Was du mir über den Winterkönig erzählt hast, in Dalgena, dass er für sein Volk in den Krieg zieht, das … Das ist wörtlich zu verstehen, nicht wahr? Ich meine, du wirst …“, sie verstummte.
„Ja. Ich werde Mandura in diesen Krieg führen“, erklärte er kühl, „Ich werde an der Spitze der Armee in die Schlacht ziehen.“
„Aber …“ Entsetzt sah Gènaija ihm ins Gesicht, wollte sich von ihm losmachen, doch er hielt sie nur noch fester. „Aber ich will das nicht!“
„Niemand wird dich fragen, ob du das willst, Gènaija. Ich will diesen Krieg ebenso wenig, keiner in Mandura will ihn, aber trotzdem wird es dazu kommen. Marok hat es auf dieses Land abgesehen, er wird uns den Krieg erklären. Vielleicht im Herbst, vielleicht auch erst im nächsten Frühling. Das ist so!“
„Nein!“, protestierte sie.
„Doch, Gènaija, und wenn du noch so laut schreist und um dich schlägst.“ Er redete auf sie ein wie auf ein bockiges, trotziges Kind, und ein wenig benahm sie sich auch so.
„Und … und wenn du einfach nicht Winterkönig wirst, wenn du dich weigerst?“
„Dann wird ein anderer die Armee führen, jemand, der weniger geeignet ist. Ich werde mich nicht verweigern, Gènaija, ich bin der nächste König.“ Und nichts würde daran etwas ändern.
„Du bist dir sicher?“ Er spürte ihr Zittern.
„Ja. Du doch auch.“
„Warum …“ Sie brach ab, biss sich auf die Lippen und begann doch zu weinen, barg den Kopf an seinem Hals.
Tröstend strich er ihr übers Haar. „Nicht weinen, Kleines, davon wird es auch nicht besser, glaub mir.“
„Ich weiß, und ich glaube dir ja, aber …“
„Aber was?“
Schluchzend sah sie hoch. „Ich weiß auch nicht, ich … ich bin müde.“
„Ja, sicher. Warum sagst du das denn nicht eher, hm? Und ich rede die halbe Nacht mit dir.“
„Ich rede gern mit dir, auch die halbe Nacht und wenn ich müde bin. Was tust du?“
Reik hatte sie auf den Arm genommen „Ich bringe dich ins Bett.“
„Reik?“ Ihre flüsternde Stimme ganz klein, leise.
Er setzte sie auf dem Bett im Nebenzimmer ab, half ihr aus dem Morgenmantel. „Ja?“
„Ich …“ Hilflos hob sie die Schultern, brachte aber kein Wort heraus, sah ihn nur an. „Du siehst auch müde aus. Schlaf gut.“
„Schlaf gut, Kleines. Wenn etwas ist, ich bin gleich nebenan.“
Gènaija drehte sich auf den Bauch und wühlte die Kissen zu Recht, und er wünschte sich … Ließ sie schlafen.
(Ende 87. Tag)
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