„Kannst du nicht …“, bat er stirnrunzelnd.
„Nein.“
Müde sah Reik zu seinem Vater. „Würdest du bitte, Vater, ich …“
Kalt schnitt der König ihm das Wort ab, seine Stimme klang scharf, schneidend. „Junge, du kannst dir nicht einfach den angenehmen Teil heraussuchen und den ganzen Rest mir überlassen. Sie hat dich gefragt.“
Wutentbrannt sprang Reik auf und warf seine Serviette auf den Tisch, die ein Glas traf, welches umfiel und klirrend zerbrach. „Den angenehmen Teil?! Immerhin bin ich es doch, der diesen verdammten Krieg führen muss! Und womit?! Wenn ich Glück habe, kommandiere ich im Winter eine Armee von dreißigtausend Soldaten, doch egal wie viele noch dazu kommen, bis die Ostländer angreifen, es werden nicht genug sein!“ Reik drehte sich zornig zum Fenster hin, die Hände zu Fäusten geballt.
Betreten sah Mara auf ihren Teller, hätte sich am liebsten unsichtbar gemacht. Da das wohl schlecht möglich war, bemühte sie sich, wenigstens möglichst still zu sein und rührte sich nicht.
Der König war ebenfalls aufgestanden, beugte sich angespannt vor, die Fäuste auf den Tisch gestützt und nicht minder aufgebracht als sein Sohn. „Wirfst du mir das etwa vor? Wirfst du mir vor, dass ich niemals Winterkönig war, dass ich es nie sein musste?!“
Reik wandte sich wieder seinem Vater zu. Wie zwei wütende Hunde, die im nächsten Augenblick aufeinander losgehen, funkelten sie sich über den Tisch zornig an. Mara beobachtete sie atemlos, abgestoßen und fasziniert zugleich.
„Nein, das werfe ich dir nicht vor. Aber ich werfe dir vor, dass du zugelassen hast, dass dieses Land in eine solche Situation geraten ist. Du hast zugelassen, dass die Verteidigungsanlagen der Städte in einem miserablen Zustand sind, hast zugelassen, dass die Armee mehr und mehr zusammengeschrumpft ist! Mandura ist nicht in der Lage, sich gegen einen großangelegten Angriff der Ostländer zu verteidigen!“
„Du übertreibst, Junge, dein Bruder sagt …“, versuchte der König zu klären.
„Ach was, mein Bruder, Leif hat Angst! Sieh dir die Berichte von Remassey an, sieh dir die Berichte der Leute an, die wir in Kalimatan haben. Marok wartet nur noch auf einen Grund, uns den Krieg zu erklären!“
„Sicher, Remassey. Der Mann verdient nicht schlecht am Aufbau eines großen stehenden Heeres. Selbstverständlich sagt der dir nur, was du hören willst.“
„Auch wir verdienen nicht schlecht, Vater, das weißt du“, erwiderte Reik.
„Offensichtlich, denn mein Sohn glaubt, unsere besten Pferde einfach verschenken zu können“, spottete der große, schwere Mann herablassend.
„Er gehörte mir .“
Unsicher blickte Mara von einem zum anderen. Der Streit schien an einem gefährlichen Punkt angelangt, jedes weitere Wort konnte eines zu viel sein. Seltsam, immer dann, wenn die Stimmen leiser wurden, nachdem sich zwei Menschen angeschrien hatten, wurde es erst wirklich schlimm. Dann, wenn die Stimmen beißend, ätzend wurden, die Worte bewusst verletzend.
Leise stand sie auf und trat ans Fenster. Jemand musste die Läden schließen, sonst würden die heftigen Böen noch die Scheiben eindrücken. Und die Palastbediensteten würden es nicht wagen, ins Zimmer zu kommen, solange Reik und sein Vater derart lautstark stritten.
Der Wind riss Mara fast den Fensterflügel aus den Händen, nachdem sie sie geöffnet hatte, um die Läden zuzuziehen. Sie spürte die Blicke der beiden Männer auf sich, auch wenn keiner sie direkt ansah, als sie an ihren Platz zurückkehrte. Immerhin hatten beide die Zeit genutzt, sich wieder zu setzen.
Und was sollte sie tun? Wenn die zwei nicht den Anfang machen wollten, sie würde es ganz bestimmt nicht tun. Ihre eigentliche Frage nach dem Warum war zwar nicht beantwortet worden, dafür wusste sie jetzt so ungefähr, wieso es schlecht aussah für Mandura. Und noch einige andere Dinge. Wer war dieser Marok, der König der Ostländer? Auf jeden Fall ein Mann in der Position, Mandura den Krieg zu erklären.
Mara schwieg weiter, zupfte am Verschluss der Ledermanschetten um ihre Handgelenke. Die Haut darunter juckte, sie brauchte dringend ein Bad, und außerdem hatte sie eiskalte Füße.
Schließlich räusperte sich der König und schaute Mara eindringlich an. „Meine Frau sagte, auch Ihr wäret der Überzeugung, es gäbe Krieg in Mandura.“
„Ja, das bin ich, Majestät.“
„Allein wegen eines Traumes?“
„Nicht nur“, entgegnete Mara. „Die Hohe Frau hat Euch also davon berichtet?“
„Das hat sie, mir und Reik. Und sie betonte, es wäre bis auf den letzten Satz exakt das gleiche gewesen, was ihr mein Sohn erzählt hättet.“
Mit einem Mal war Mara kalt, ihr Kopf schmerzte und ein Zittern überkam ihren gesamten Körper wie im Fieber. Sie senkte den Blick auf ihre Hände, sprach leise und ihre Stimme klang rau. „Ja … so drückte sie sich auch mir gegenüber aus. Oder vielmehr sagte sie, eine andere Person hätte ihr den Traum erzählt. Sie … sie deutete an … Sie hat mir nicht geglaubt!“
„Vielleicht war sie nur überrascht, Mara“, versuchte der König sie zu beschwichtigen. „Schließlich wäre das nur zu verständlich.“
Zweifelnd schaute Mara den König an. Sie konnte sich schwer vorstellen, dass Lorana damals so überrascht gewesen war. „Hat sie … hat sie anschließend auch mit Leif geredet?“
„Nein, warum sollte sie?“, verneinte der König irritiert. „Soviel ich weiß, ist sie gleich in den Tempel zurückgekehrt.“
„Aber … Sie muss es ihm doch gesagt haben! Er ist ihr Sohn, und sie kann nicht … Wenn sie mir schon nicht glaubt, er muss es wissen! Schließlich ist er verantwortlich für die Stadt!“
„Was muss mein Bruder wissen, Gènaija? Was hätte sie ihm sagen sollen?“ Reiks Stimme klang sehr ruhig, sehr beherrscht.
Mara hingegen starrte ihn verzweifelt an, krallte die Hände ineinander. „Dalgena … Dalgena wird … Reik, du musst es ihm sagen! Du musst es ihm unbedingt sagen, er muss es wissen! Ich … Es wird nichts ändern, aber er muss zumindest vorbereitet sein! Er soll in den Bergen Vorräte anlegen, er muss in die Berge gehen …“
Taumelnd stand sie auf und ging zum Kamin, wo es wenigstens warm war, legte die Unterarme auf den Kaminsims und starrte voller Verzweiflung in die lodernden Flammen. „Dalgena wird brennen … Dalgena ist die erste Stadt, die im Krieg zerstört wird. Ich weiß es. Ich habe es ihr gesagt, Réa und Bro waren dabei, sie … sie kann es doch nicht einfach vergessen haben!“
„Mara, Lorana hat mir gesagt, Ihr hättet keine Namen genannt, Ihr hättet nichts weiter gesagt“, bemerkte der König.
„Aber ich habe … Oh nein!“ Mara verstand. Sie hatte Lorana Namen genannt, den Namen der ersten Stadt, Dalgena. Und den Namen des Königs. Nur über die Konsequenzen hatte sie kein einziges Mal nachgedacht. Erst wenn ein König starb, konnte ein anderer König werden. Sie hatte Lorana offenbart, dass der alte König, Reiks Vater, in diesem Krieg umkommen und Reik König werden würde. Sie hatte den Tod des Königs prophezeit!
Die Hohepriesterin hatte sie hereingelegt, Mara hätte es ihr nicht sagen dürfen, niemals! Ein solches Wissen ! Sie hatte einen Fehler gemacht, mochten die Ursachen für diesen Fehler auch noch so nachvollziehbar sein, es war ein unverzeihlicher Fehler! Stöhnend biss sie sich in den Handballen, wie hatte sie nur so dumm sein können?
Hände legten sich auf ihre Schultern und Reik drehte Mara zu sich herum, sah ihr ernst in die Augen. „Du hast Lorana gesagt, dass Dalgena als erste Stadt im Krieg zerstört wird?“
„Ja“, bestätigte sie leise.
„Und du bist dir sicher?“
„Ja.“ Sie war sich sicher.
„Hast du ihr noch mehr gesagt?“, fragte Reik ruhig.
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