„Ondra möchte, dass Ihr bei der Geburt dabei seid, darum solltet Ihr Euch auch beeilen, es dauert nämlich nicht mehr allzu lange. Nehmt mein Pferd, es steht vor der Tür, natürlich der Tür zum Palast, es wird Euch sehr schnell hinbringen. Ihr könnt es dann …“ Mara lächelte ihn zuversichtlich an, offenbar hatte er nicht viel von dem, was sie gesagt hatte, verstanden. „Geht einfach, Eure Frau braucht Euch jetzt.“
„Oh Himmel, Mara, warum sagt Ihr das nicht gleich? Vor der Tür?“
„Ja, fallt nicht darüber.“
Mit einem Lächeln blickte sie ihm nach, wie er überstürzt zur Tür rannte, noch einmal umkehrte, um seine Jacke zu holen und ihr hastig einen Kuss auf die Wange zu drücken. Dann verließ er endgültig das Zimmer.
Sie kicherte, als sie sich dem König zuwandte. „Er kann hoffentlich ohne Sattel reiten?“
„Ich nehme an, dass er das kann. Außerdem würde es mich sehr wundern, wenn Euer Pferd ihn herunterfallen ließe, unbjita ’leki. Es regnet also?“
„Äh … ja, Majestät.“ Verlegen blickte sie zu Boden, auf ihre nackten, nicht besonders sauberen Füße, und war sich mit einem Mal ihres vollkommen unpassenden Aufzuges bewusst.
„Wollt Ihr Euch nicht setzen, Mara? Guy, holt uns doch bitte heißen Tee und seht zu, ob Ihr nicht irgendwo eine Decke auftreibt.“
„Sofort, Majestät.“ Guy verschwand.
Mara setzte sich zögernd auf die Kante eines Sessels vorm Kamin und sah den König unsicher an.
Er musterte sie durchdringend und ziemlich unverhohlen. Bei jedem anderen als dem König hätte sie sogar gesagt unverschämt.
Er zog sich einen Sessel heran und ließ sich gleichfalls nieder. „Und was fange ich jetzt mit Euch an?“
„Majestät?“
„Nun, Ihr habt mich soeben meines Gesprächspartners beraubt“, gab der König zu bedenken.
Mara war sich nicht sicher, wie er diese Bemerkung meinte, und wartete schweigend ab.
„Und so nass, wie Ihr seid, kann ich Euch wohl kaum zum Tempel zurückschicken, das wäre unverantwortlich. Ihr müsst also wohl oder übel die Nacht im Palast verbringen.“
Sie nickte. „Wie Ihr wünscht, Majestät.“
„Habt Ihr schon zu Abend gegessen?“, wollte der König wissen.
„Nein, dazu war keine Zeit.“
„Würdet Ihr mir dann die Freude machen, mit mir zu speisen? Auf Leifs Gesellschaft muss ich heute ja wohl verzichten, und ob und wann mein zweiter Sohn zum Essen erscheint, wissen wahrscheinlich nicht einmal die Götter.“
„Sehr gern, Majestät“, stimmte sie eilig zu.
„Schön. Und übrigens: Es geht ihr doch gut?“
„Ondra? Vorhin ging es ihr noch recht gut. Ich glaube nicht, dass Ihr Euch Sorgen machen müsst, Majestät.“
„Das freut mich zu hören, zumal Ihr das sagt.“ Der König strich sich sinnend über den Bart, blickte sie freundlich an.
Guy kam zurück, sah fragend zum König, der auf Mara deutete, und gab ihr eine Decke. „Ich hoffe, die genügt fürs erste? Ach ja, ich habe Euch auch noch ein Tuch mitgebracht, damit Ihr Euch die Haare trocknen könnt.“
„Sehr aufmerksam von Euch, Guy, danke. Ihr habt nicht zufällig einen Kamm?“
Schuldbewusst schüttelte er den Kopf. „Nein, tut mir Leid, daran habe ich nicht gedacht.“
„Macht nichts, es wird auch so gehen.“
„Ganz sicher sogar. Nur meine bescheidene Meinung.“
Mara lächelte verschmitzt und verlegen zugleich zu ihm hoch. Guy grinste, beinahe verschwörerisch, zurück.
„Der Tee wird sofort gebracht, Majestät.“
„Danke, Guy, Ihr könnt gehen und Euch wieder Euren eigentlichen Pflichten widmen.“
„Sehr wohl, Majestät. Mara.“ Er verbeugte sich respektvoll vor dem König, nickte Mara noch einmal kurz zu und verließ das Zimmer.
Der König blickte ihm nachdenklich nach, wandte sich dann wieder Mara zu. „Mir scheint, Ihr habt Euch gut eingelebt. Wie man hört …“
„Ja. Was hört man denn so?“, fragte sie nach.
„Dieses und jenes, viel Gutes“, erklärte der König etwas vage.
„Ich bin wirklich gern im Tempel, und die Stadt gefällt mir auch, nur das Wetter nicht, so nass und kalt. Aber es soll ja angeblich wärmer werden. Bald.“
„Der Sommer fängt gerade erst an, Mara. In einem Monat stöhnt Ihr dann unter der Hitze.“
„Ja, vielleicht“, stimmte sie zu. „Die Einteilung der Monate finde ich … seltsam. Zuerst habe ich überhaupt nicht verstanden, warum einige Monate dreißig Tage haben müssen und andere einunddreißig. Auf Ogarcha hat man sich nach dem Mond gerichtet, da hatte jeder Monat achtundzwanzig Tage, fertig. Keine Rechnerei.“
„Der zusätzliche Tag ergibt sich daraus, dass an den Tagen der Sonnenwende beziehungsweise der Tag- und Nachtgleiche wichtige religiöse Feiern stattfinden“, erläuterte der König. „Es sind, sozusagen, Feiertage, und hier in Mandura wird recht ausgiebig gefeiert.“
„Ja. Und heute ist der erste Tag im Monat der Sommersonnenwende, nicht wahr?“
„Offenbar habt Ihr es doch verstanden, das stimmt.“
„Gut. Eigentlich ist es ja nicht so wichtig; ich hatte nur eine recht kompliziert aussehende Zeichnung in einer der Schriften aus dem Tempelarchiv gesehen“, erklärte Mara, „mit Symbolen von Sonne und Mond und vielen Pfeilen, und diese Zeichnung sollte wohl das ganze verdeutlichen. Sah sehr interessant aus.“
Bestätigend nickte der König. „Ich kenne die Zeichnung, oder zumindest eine ähnliche. Und Ihr habt die Sache mit den Monaten einfach so verstanden, ohne weitere Erklärung, nur anhand der Zeichnung?“
„Na ja, nicht gleich, es hat schon ein bisschen gedauert“, gestand Mara. „Es werden ja nicht nur die Monate erklärt, sondern noch ganz andere Dinge, zum Beispiel Himmelserscheinungen.“
„Jetzt verstehe ich, warum Lorana neulich so zufrieden schien... Ah, der Tee.“
Ein Palastdiener brachte ein Tablett mit Tee und dem hier wohl unverzichtbaren Gebäck. Er stellte alles auf einen kleinen Tisch, den er zwischen die beiden Sessel rückte, und reichte erst dem König, dann ihr eine Tasse. Sie nickte dankend.
„Ihr macht so ein ernstes Gesicht, Mara, habt Ihr Sorgen?“
„Im Moment nicht, jedenfalls nichts … Eher Sorgen allgemeiner Art. Ich denke nicht ständig über das nach, was mir Sorgen bereitet, nur wenn es sinnvoll erscheint, angebracht.“
Mara trank einen Schluck Tee, beobachtete den König über den Tassenrand hinweg aufmerksam. Der Palastdiener hatte diskret den Raum verlassen.
„Wieso …“ Der König stockte kurz. „Wann erschiene es Euch denn sinnvoll?“
„Dann, wenn ich nicht gezwungen wäre, immer den gleichen Gedankengängen zu folgen, auf immer die gleichen Fragen zu stoßen. Doch das hängt wohl in erster Linie von Eurer Bereitschaft ab, Majestät, meine Fragen zu beantworten.“
Abrupt stand der König auf, trat ans Fenster und sah in den Regen hinaus. Der Wind war stärker und böiger geworden. „Nur um jedes Missverständnis auszuschließen, unbjita, wir sprechen vom Krieg?“
„Bisher nicht, Majestät, allerdings erscheint es mir zwangsläufig, dass im Laufe dieses Gesprächs auch der Krieg ein Thema sein wird.“
Er drehte sich zu ihr um, beobachtete Mara nicht weniger genau als sie ihn. „Einverstanden. Dann wird hoffentlich auch mein Sohn hier sein, denn als Winterkönig wird er diesen Krieg anführen.“
„Vermutlich“, kommentierte sie.
„Ihr lasst Euch nicht so einfach überlisten, nicht wahr?“
Maras Mundwinkel verzogen sich zu einem winzigen Lächeln. „Wozu sonst hätte ich Unterricht bei Lorana? Ich habe die Frage in der einen oder anderen Form erwartet.“
„Und Ihr werdet es mir nicht sagen?“
„Nein, werde ich nicht, Majestät“, verneinte Mara höflich.
„Was wisst Ihr über die Ostländer?“, wechselte der König das Thema.
Читать дальше