Blutige Hauer? Davian lachte, schüttelte den Kopf, nein, das war Sandars Bild. Sein Gott trug Hörner, weit geschwungen, in sich gedreht; beinah unmöglich zu zeichnen, und doch gelang es ihm, halb in Trance, nicht bewusst, was er da tat. Hinterher war er entsetzt über sein Werk, die vielen irritierenden, verstörenden Einzelheiten. Und in seiner Vorstellung sah er die Farben des Bildes.
Augen wie Mahlströme aus Sternenlicht, darin irrlichternde Reflexe in Rot und Gold, behaarte Füße wie die Klauen eines Wolfes, die Eckzähne hinter den vollen Lippen etwas zu lang, die Ohren lugten keck und spitz aus den üppigen schwarzen Locken hervor und die Finger endeten in harten, hornigen Krallen.
Der Jäger an, vor dieser Bettstatt stehend, und doch kam diese ihm wie ein sicherer Hafen vor, wie der einzig friedliche Ort in einer Welt der Düsternis, der Dämonen und Fratzen, nur halb erahnt und erkannt, versteckt, verborgen in den Schatten am Rande … des Bildes.
Und er, der Gott, der Jäger … vielleicht trug er Hosen aus Leder, vielleicht waren seine Beine mit zotteligem Fell bedeckt, das Gemächt nackt und bloß, bedrohlich wirkend und doch nur halb aufgerichtet, da er sich über sein Lager beugte, zu der Gefährtin, die … Wieso trug sie die Züge des Mädchens, er … Mit einem Aufschrei warf er den Stift von sich und musste gegen dem Impuls kämpfen, das Bild zu zerreißen.
Er hatte zwei-, dreimal versucht, ihr Abbild aus dem Gedächtnis zu zeichnen, flüchtige Skizzen bloß, aber doch nicht so, auf diese Weise. Nie hatte er sie nackt, oder auch nur halbnackt, gesehen, lasziv und in lustvoller Erwartung, in Berge vielfarbig schimmernder Kissen gelehnt, der nackte Leib ihm dargeboten. Erregend, verlockend und allzu verführerisch, obgleich ihre Hände … Nein! Davian schrie auf, das hatte er nicht …
Aber genau das hatte er gezeichnet, diese Szene, verstörend, faszinierend, das Beste, was er seit langer Zeit gezeichnet hatte. Ein abscheuliches Meisterwerk, das er weder Sandar – und der war einiges gewohnt – noch sonst irgendwem zeigen konnte.
Das Bild ließ ihn nicht los, das Geschehen auf dem Bild brannte sich in seine Seele. Fluchtartig verließ er das Zimmer, sein Haus; er brauchte was zu trinken.
Später, wenn er besoffen genug war, würde er das Bild verbrennen, es in Dutzende Schnipsel zerreißen und sie genüsslich dem Feuer überantworten, einen nach dem anderen.
Natürlich wusste er genau, dass er dazu nicht imstande sein würde, niemals. Viel eher würde er es irgendwann Sandar oder gar … ihr zeigen. Die Kleine wäre schockiert, entsetzt. Angewidert von ihm, der diese Scheußlichkeit geschaffen hatte. Auch keine angenehme Vorstellung. Außerdem würde sich die Gelegenheit ohnehin nicht ergeben. Er ließ sich schwerfällig an einem Tisch nieder und bestellte gleich eine ganze Flasche.
Er betrachtete grübelnd seine schmutzigen, geschwärzten Finger und fragte sich, ob sie wohl seiner Zeichnung ähnlich war. Wenigstens ein kleines bisschen? Er hatte nicht sein Idealbild einer Frau gemalt, die sähe … Davian schüttelte den Kopf und setzte die Flasche an, trank. Blöde Idee, eine ganz blöde Idee, er kippte den Stuhl gegen die Wand, lehnte den Kopf an, schloss die Augen und lauschte mäßig interessiert den Gesprächen in der Schenke. Hörte ein paar völlig übertrieben ausgeschmückte Geschichten, an deren Wahrheitsgehalt er zweifelte, Geschichten von plötzlich aufgesprungenen Türen und Fensterläden, von Toren, die seit Jahren klemmten, verrammelt waren und plötzlich offen standen. Nette, unterhaltsame Kneipengeschichten, alle in ihrer Art recht ähnlich, und alle sollten sie sich heute zugetragen haben.
Von Schäden durch den heftigen Erdstoß hörte er nichts, keine Klagen, und das war tatsächlich bemerkenswert.
* * *
„Hauptmann Sandar?!“ Vor Verwunderung vergaß Lucinda beinah, die Tür weiter zu öffnen und ihren Verlobten herein zu bitten. Sie biss sich verlegen auf die Lippen. „Wollt Ihr nicht … Tretet doch bitte ein.“
„Gerne doch, Herzchen, ich danke dir.“ Hauptmann Sandar trat ein, stutzte kurz, vermutlich, weil er das Durcheinander, die Unordnung in dem geräumigen, ein wenig düsteren Zimmer bemerkte. „Ich wollte mich nur erkundigen, ob … Oder störe ich?“
„Nein, nein, bestimmt nicht“, sie lachte gezwungen, presste die Hand vor den Mund und sah sich um. Nahm einige Kleidungsstücke auf und trug sie rasch ins Nebenzimmer, wo sie sie aufs Bett warf. Sie rümpfte die Nase – ihr ungemachtes Bett erschien ihr schlampig, ehe sie zu Sandar zurückkehrte. „Ich habe nur … wollte ein paar Sachen aussortieren.“
„Verstehe. Ich darf doch?“ Er deutete auf den Sessel, dann setzte er sich, ohne ihre Erlaubnis, ein Nicken abzuwarten. „Ist was kaputt gegangen?“
Überrascht schüttelte Lucinda den Kopf, lachte dann erneut auf. „Oh, du meinst … Nein, das war nur … Krimskrams. Nicht so wichtig.“ Zwei der drei Figürchen, die sie auf dem Kaminsims aufgestellt hatte, eigentlich hatten sie ihr nie gefallen, sie fand sie albern, ja kindisch, doch jetzt waren sie zerbrochen und … Sie wollte deswegen nicht weinen, wandte sich ab.
„Diese dicken Spielleute, Musikanten?“
Sie nickte stumm, erstaunt, dass er sich erinnerte. Im nächsten Moment spürte sie seinen festen Griff um ihr Handgelenk. Er zog sie näher zu sich, zum Sessel. „Das tut mir Leid, Herzchen.“
Sandar zog sie einfach auf seinen Schoß und nahm sie in den Arm, beruhigend fest, sicher, doch dabei strahlte er einen allzu markanten männlichen Geruch aus. „Hast du dich sehr erschrocken?“
„Ich war ja gar nicht …“ Nicht hier, nicht allein, doch sie hatte vor Angst geschrien, als der Boden unter ihr ruckte, bebte. Die Wände hatten geächzt, das Geschirr im großen Schrank geklirrt, gescheppert, bevor alles … Und sie hatte nur schrill schreien und kreischen können, panisch, unfähig, sich zu rühren. Weinte auch jetzt, aber nur ein bisschen. Es war ja vorbei und Sandar hielt sie, beschützte sie. Sie wusste, dass das Bedrohliche nur noch eine Erinnerung war, dass keine Gefahr mehr bestand; presste die Lippen zusammen, drückte den Kopf an seine Schulter. Wünschte sich … „Du hattest bis jetzt Dienst?“
„Jup“, er zuckte die Achseln, küsste sie hastig. Auf die Wange, nicht auf den Mund, was sie fast bedauerte, gern hätte sie … „Aufräumarbeiten, es gab wohl ein paar Verletzte. Nichts Schwerwiegendes.“
„Das ist gut, nicht wahr?“
Er musterte sie, und Lucinda behagte sein Gesichtsausdruck nicht, bevor er sie küsste, dieses Mal auf den Mund. Ihr behagte auch nicht, wie er sie küsste, grob und fordernd, oder wie er sie an sich drückte, doch was konnte sie schon tun? Was wollte sie tun? Bald würde sie den Mann heiraten. Also ließ sie sich von ihm küssen, noch einige Male, ließ auch zu, wie er sie betatschte, am Ausschnitt ihres Kleides herumfummelte. Als er jedoch die Hand unter ihren Rock schob, sprang sie auf. „Nicht, bitte!“
„Nicht? Ich dachte, es würde dir…“
„Ich bin doch sehr…“ Warum sagte sie nicht, wie es war? Dass ihr seine Zärtlichkeiten nicht gefielen, sondern sie erschreckten, abstießen. Er, seine Größe, seine Stärke, seine Überlegenheit. „Ich habe noch zu tun, entschuldige, ich muss einige Dinge erledigen.“
Sandar fragte nicht weiter nach, sondern verabschiedete sich, sehr höflich, und ging.
(Ende 84. Tag)
Die Hohe Frau hatte Mara wegen der zerstörten Tür heftige Vorwürfe gemacht, obwohl ihre Vorhaltungen Mara aufgesetzt erschienen, nicht wirklich ernst gemeint. Über die Vorfälle im eigentlichen Tempel hatte die Hohepriesterin kaum ein Wort verloren, sich nur kurz nach ihrem Befinden erkundigt, allerdings Réa und Sina, wie sie hörte, eingehend befragt.
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