Mara nickte. „Aber es war falsch, ich hätte es nicht tun dürfen. Ich habe ihr seinen Namen genannt.“
Niedergeschlagen wandte sie sich von ihm ab, starrte erneut ins Feuer.
„Wessen Namen, Gènaija?“
Sehr lange schwieg Mara. Warum sollte sie ihm antworten? Sie würde den Namen weder ihm noch seinem Vater sagen, sie hätte ihn überhaupt niemandem sagen dürfen. „Den Namen des Königs.“
Reiks Hände griffen fester zu. Er stand dicht hinter ihr, sie spürte die Wärme seines Körpers.
„Sagt mir den Namen, Mara.“ Die Worte des Königs klangen fordernd, wie ein Befehl. Mara schüttelte müde den Kopf, hielt sich am Kaminsims fest und schloss die Augen. „Nein.“
„Mara, Ihr werdet mir den Namen jetzt sagen!“ Die donnernde Stimme des Königs ließ die Gläser auf dem Tisch klirren, war laut und drohend, sehr nah. Wahrscheinlich war auch er aufgestanden. Reik ließ sie los. Schritte erklangen, Mara wurde herumgerissen und der König packte sie an den Oberarmen, hielt sie sehr fest. „Seht mich an!“
Mara hob den Kopf, blickte ihm kalt in die Augen und schob herausfordernd das Kinn vor. Es war eine ganz klare und einfache Erkenntnis, die sie fast lachen ließ: er konnte sie nicht zwingen zu antworten, konnte ihr keinen solchen Befehl erteilen. Der König von Mandura hatte ebenso wenig Macht über sie wie die Hohepriesterin der Tempel von Samala Elis, es war … irgendwie war es lächerlich.
„Ihr werdet mir antworten! Ihr werdet mir …“
Mit weicher, leiser Stimme unterbrach sie ihn. „Nein.“
Verblüfft starrte der König sie an. Einen Moment sah er aus, als wolle er sie gereizt schütteln. „Aber Ihr habt den Namen Lorana genannt, sie kennt ihn!“
„Und Ihr wisst, dass ich der Hohen Frau den Namen genannt habe. Würdet Ihr mich bitte loslassen, Majestät?“
Der König ließ seine Hände sinken.
Kraftlos ließ sich Mara in einen Sessel sacken, stützte die Ellenbogen auf die Knie und verbarg den Kopf in den Händen. Vielleicht hatte Lorana ja später noch mit Leif geredet, vielleicht hatte die Hohepriesterin ihr doch geglaubt, hatte ihn wenigstens gewarnt. Aber wenn nicht?
„Du wirst es ihm doch sagen, nicht wahr?“, fragte sie Reik leise.
„Natürlich, Gènaija. Sobald er morgen wieder im Palast ist, werde ich mit ihm reden, und wenn er mir nicht glaubt, dann hole ich dich. Dir wird er ganz sicher glauben.“
Es war so ein unpassender Zeitpunkt, gerade noch war Leif so aufgeregt, so voll froher Erwartungen gewesen, und jetzt eine solche Nachricht! Es war mehr als rücksichtslos, es war grausam, es war … Mara fing erschüttert an zu weinen, schluchzte hemmungslos, und es war ihr vollkommen egal, was der König denken mochte! Oder Reik. Die beiden hatten sich in ihrer Anwesenheit gestritten wie zwei … und das war grob unhöflich. Sie hatte jedes Recht, in Tränen auszubrechen. Warum sollte sie sich beherrschen, wenn sie es nicht taten, sie war schließlich nur ein siebzehnjähriges Mädchen!
In all dem Elend erfüllte Mara plötzlich eine große, unbeschreibliche Freude. Ein Gefühl überwältigenden Glückes durchflutete sie wie eine riesige, alles mit sich reißende Woge. Erstaunt hob sie den Kopf, lächelte unter Tränen; die Kerzen schienen heller zu brennen, strahlender, die Flammen des Feuers höher zu lodern, sogar der stürmische Wind riss übermütiger an den Fensterläden.
„Mara?“ fragte der König verwundert. „Was ist mit Euch, was habt Ihr denn?“
„Ich … Majestät, ich weiß nicht, ob das hier üblich ist, aber …“
Der König sah sie fast schon besorgt an. „Ja?“
„Majestät, ich möchte Euch zur Geburt Eures Enkels beglückwünschen.“
Fassungslosigkeit machte sich auf seinem Gesicht breit, dann ein befreites Lächeln. „Was? Jetzt? Ist das wahr?“
Mara nickte heftig und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, was gänzlich nutzlos war. „Ja!“
„Oh, das … Ihr werdet hoffentlich verstehen, dass ich das so schnell wie möglich meiner Frau mitteilen möchte und … Danke, Mara, ich danke Euch. Ich wünsche Euch eine gute Nacht und angenehme Träume. Reik.“
Seine Majestät, der König, war aus dem Zimmer geeilt, bevor Mara auch nur aufstehen und etwas erwidern konnte.
(1. Tag Monat SSW)
Kapitel 8 – Ein Wiedersehen
Verwirrt schaute Gènaija ihn an, fast verwundert. Als nähme sie ihn erst jetzt richtig wahr. Doch sie schwieg gleich ihm, weinte lautlos.
Irgendwann hob Reik die Hand, wischte ihr sorgsam die Tränen vom Gesicht und nahm sie fest in seine Arme. Und das fühlte sich nicht nur gut, das fühlte sich richtig an, vertraut. Seine Irritation über diese allzu unvermittelte, überraschende Begegnung war wie weggeweht von dem Sturm, der draußen tobte.
Es hatte ihn getroffen, seinen Vater im vertrauten Gespräch mit Gènaija zu erleben, wie es ihm jedes Mal einen Stich versetzte, von ihren Treffen mit Jula zu hören. Sie sollten das klären, möglichst bald, doch jetzt …
Er spürte ihren Körper warm und lebendig unter seinen Händen, ganz nah, liebkoste mit den Fingern zärtlich ihren Nacken und drückte sein Gesicht in ihr wirres Haar; er liebte dessen Duft. Wollte nichts anderes, hätte die ganze Nacht so stehen können. „Du hast gar nichts gegessen, Gènaija.“
„Du ja auch nicht“, gab sie zurück.
Er brummte zustimmend. „Hunger?“
„Und wie!“
„Gut, geht mir genauso.“
Aber keiner rührte sich, keiner machte Anstalten, den anderen loszulassen.
„Gènaija?“
„Ja?“
„Mein Vater …“, begann Reik, wollte ihr zumindest den üblen Streit erklären. „Er will es nicht wahr haben. Nicht, dass es Krieg geben wird, das kann auch er nicht länger ignorieren, aber dass die Ostländer uns dermaßen überlegen sind. Sie haben dreimal, womöglich viermal mehr Männer unter Waffen als wir heute, sie … Und ich habe dich da mit reingezogen. Es tut mir Leid, Kleines.“
„Warum dir?“, murmelte sie, den Kopf noch immer an seine Brust gedrückt.
„Weil ich dafür verantwortlich bin, dass du hier bist.“
„Aber du hast zu mir gesagt …“, wandte sie ein.
„Loranas Worte, nicht meine. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, was du tun könntest, was du ändern könntest.“
„Immerhin habe ich hier die Wahl, ich habe zumindest eine Chance. Die hatte ich auf Ogarcha nicht.“
„Eine Chance?“, wiederholte er heftig. „Kleines, ich rede vom Krieg, nicht von irgendeiner verschlossenen Tür oder zwei Frauen, denen du Befehle erteilst.“
„Das hat nichts damit zu tun, dass sie Frauen sind, bei Männern geht es genauso leicht“, betonte Gènaija.
„Das wollte ich damit auch nicht sagen.“
„Es war eine sehr schwere, sehr hohe Tür, aus Stein. Und ich kann noch mehr, ich … Ich könnte den ganzen Tempel zum Einsturz bringen. Vielleicht wäre ich hinterher zwei Tage krank, aber ich könnte es. Ich habe eben noch viel zu lernen!“
Reik hob sanft ihr Kinn und sah sie traurig lächelnd an. „So viel kannst du gar nicht lernen, Kleines. Und ich glaube auch nicht, dass du noch die Zeit dazu hast.“
„Aber …“, begehrte sie auf.
„Kein aber.“ Sein Gesicht war sehr nah an ihrem Gesicht, seine Lippen streiften ihre Schläfen, ihre Wangen, doch er küsste sie nicht, nicht wirklich. „Deine Haut ist so weich, so zart, und du riechst so gut.“
Gènaija lachte leise. „Ich habe eher das Gefühl, ich brauche ein Bad. Milla hat mich direkt aus dem Unterricht geholt, ich bin nicht einmal dazu gekommen, mir Stiefel anzuziehen, geschweige denn mich umzuziehen.“
„Das ist mir aufgefallen. Mach dir nichts draus, ich brauche auch ein Bad. Und ich bin wirklich ausgesprochen hungrig“, fügte Reik hinzu.
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