Ich war hier, im Wacholderweg und im Grunde nur eine Nebenstraße von meiner alten Wohnung entfernt. Aus diesem Grund hatte sich der nostalgische Abschied aus meiner kleinen Behausung in der Corneliusstraße in Grenzen gehalten. Außerdem hatte ich in etwa denselben Weg zur Arbeit. Und meinen Stammkiosk konnten wir noch immer besuchen.
„Was ist denn dein Plan, für so einen schönen Sommertag wie heute?“, fragte er undeutlich, mit einer Reval im linken Mundwinkel, während er mit einem alten Kunststoffpfannenwender in einer qualmenden Pfanne rumhantierte. Er trug nur Boxershorts, weiße Tennissocken mit einem dunkelroten und schwarzen Streifen und ein ärmelloses Unterhemd. Darüber eine Damenschürze mit einer rostroten Paspelierung, die offenbar dem Haushalt seiner Mutter, wenn nicht sogar seiner Oma entsprungen war.
„Ich ähm …“, doch bevor ich überhaupt meine Gedanken sortieren konnte, unterbrach er mich. Er hatte die Pfanne wieder auf die kleine zweiflammige Gasherdplatte gestellt und war im Begriff, mir einen Kaffee einzugießen.
„Was hältst du davon, wenn wir etwas losziehen, uns an die Promenade setzen und uns zwei Sixer Radler reinzimmern. Ganz gemütlich. Und heut‘ Abend gehen wir in die Stadt und hauen uns richtig einen rein! Zwei drei Weine, dazu ‘nen Flammkuchen …“
Er goss sich ebenfalls einen Kaffee ein, holte dabei ein kleines Fläschchen Amaretto aus dem Regal, schraubte es auf und deutete an, mir etwas in den Kaffee zu gießen. Ich machte eine ablehnende Geste.
„Sicher nicht? Hm. Du weißt eben nicht was gut ist.“, sagte er missbilligend mit hochgezogenen Augenbrauen und goss sich selbst einen großzügigen Schluck ein.
Er rüttelte wieder etwas an der Pfanne um den Inhalt (waren es Kartoffelscheiben?) am Anhaften zu hindern. Er regelte die Temperatur etwas herunter, wandte mir den Rücken zu und beugte sich zum Kühlschrank nach unten, in dem sich nur einige Flaschen Bier und etwas Wurst befanden. Er furzte dabei so laut, dass ich mir ernsthafte Sorgen machte, die Gaskochplatte könnte ihn erfassen und in Flammen aufgehen lassen. Ich musste mir in Tagtraum-Manier vorstellen, wie er mit einem brennenden Arsch durch die Küche laufen und um Hilfe schreien würde, während er die Hände in die Höhe riss und dabei die Flammen an Gardinen und Möbeln verteilte. Nichts dergleichen geschah – glücklicherweise. Er stand wieder aufrecht und hatte den Überrest eines Blutwurstringes in der Hand. Sein Gesicht war von seiner Haltung gerötet und die Zigarette klebte eigentlich nur noch an seiner Unterlippe. Er hielt sich die Blutwurst direkt an die Nase, roch einige Male daran und war offenbar der Meinung, dass sie noch gut genug war, um ein Stückchen davon abzubeißen. Er machte ein erleichtertes Geräusch und zog dabei die Mundwinkel nach unten. Sie schien noch brauchbar zu sein. Es hatte etwas Hypnotisierendes, ihm dabei zuzusehen, wie er die Pelle der Blutwurst abpfriemelte.
„Jedenfalls …“, begann ich und wusste gar nicht, was genau ich eigentlich sagen wollte, wie mein Plan war. Aber ist das nicht eine Floskel, die einem alle Möglichkeiten offenlässt?
Eine bemerkenswerte Menge Rauch hatte sich an der Decke gesammelt, wobei man natürlich nicht mehr sagen konnte, ob der größere Teil von der brennenden Pfanne oder seinen filterlosen Zigaretten herrührte.
„Mein Gott, ich hab's ganz schön am Magen“, sagte er wieder undeutlich, während er versuchte, die Zigarette vom linken Mundwinkel ohne den Einsatz seiner Hände in den rechten zu befördern.
„Keine Ahnung, woher das kommt …“, schob er hinterher, als er abermals einen fahren ließ.
„Wie sieht es aus, Champion?“, setzte er erneut an.
Ich wollte tief Luft holen, um ihm zu sagen, dass ich einige Vorbereitungen für meine kommenden Vorstellungsgespräche erledigen wollte, unterlag allerdings einem Hustenanfall, der durch den immer dichter werdenden Rauch ausgelöst wurde.
„Sorry man, das ist diese verfluchte Gusseisenpfanne. Die qualmt immer wie ‘ne Esse.“, grummelte er, während er versuchte, eines der vier kleinen Küchenfenster zu öffnen. Lauter Verkehrslärm der Hubertusstraße, von der der Wacholderweg abzweigte, drang sofort ins Zimmer.
„Nicht so schlimm.“, keuchte ich.
„Eigentlich wollte ich heute meine Vorstellungsgespräche im Petit Palais und im Jacob's vorbereiten.“
„Was willst du denn da vorbereiten? Sollen wir vielleicht ein kleines Rollenspiel inszenieren? Hast du dich mal umgesehen? Hab’ ich irgendetwas verpasst? In Deutschland gibt es 27.000 freie Stellen als Commis de Cuisine und du glaubst, dass du dich mit deinem Zeugnis vorbereiten müsstest?“
„Ja, das Zeppelin ist nun mal ein renommierter Laden …“
„Na und, der Iraner-Mini-Markt ist auch ein renommierter Laden.“, platzte er heraus und seine Zigarette fiel aus seinem Mundwinkel auf das schmierige Linoleum. „‘Ne kaputte Uhr geht auch zweimal am Tag richtig. Also leck mich, sieh zu, dass du deinen Scheiß bis Zwei erledigt hast. Ist doch grad mal neun Uhr.“, sagte er, während er seine Zigarette vom Boden aufhob.
Da hatte er natürlich Recht.
„Junge, Junge, hab‘ ich einen Brand. Hast du Wasser gekauft?“, fragte er mich abermals mit hochgezogenen Augenbrauen.
„Aaaaahhh“, zischte es beinahe aus mir heraus, in etwa so klingend, als hätte ich mir den Musikantenknochen angestoßen oder ein großes Glas Vanilla Coke, an einem heißen Julitag geleert. Ich hatte kein Wasser eingekauft.
„Scheißegal …“, sagte er mit einer abwinkenden Geste und sein Blick schweifte durch die Küche. Derweil quetschte er zwei Ibuprofen aus dem halbleeren Blister. Er griff nach einer der Bierdosen des gestrigen Abends, roch kurz daran, warf beide Tabletten in seinen Mund und spülte alles mit 5,0 Export aus der roten Dose herunter. Er zerquetschte selbige und warf sie neben den Mülleimer, wobei ich mir ziemlich sicher war, dass er ihn eigentlich hatte treffen wollen.
„Da waren 25 ct Pfand drauf.“, murmelte ich gleichgültig. Derlei Provokationen begleiteten uns im Alltag zuhause genauso wie bei der Arbeit.
„Was ich noch sagen wollte …“, meinte er, während er die Blutwurst über der Pfanne zerbröselte.
„Fick dich und deine beschissene Besserwisserei. Du reißt dein bekacktes Maul ganz schön weit auf, für jemanden, der bei einem Demichef de Rang auf der Couch im Flur schläft.“
„Bei einem, nach Erbrochenem stinkenden, nichtsnutzigen Demichef de Rang …“, konterte ich, mit erhobenem Zeigefinger. Ich trank einen großen Schluck Kaffee und war in diesem Moment tatsächlich glücklich. Der Kaffee war gut (wenn auch Magenverätzend stark …), eine leichte Spätsommerbrise zog durch die Wohnung und brachte frische Luft in den verrauchten Raum. Es war gerade so kühl, dass es noch angenehm war. Da saß ich, in der Wohnung eines Kellners, mit schmierigem Fußboden in der Küche, die seit einer halben Ewigkeit nicht geputzt worden war. An der Wand hing ein Poster der Band „Milking the Goatmachine“, auf dem vier Männer mit Ziegenmasken über einer Landkarte saßen und Kriegspläne schmiedeten. Das zweite Poster daneben zeigte eine tätowierte Dame, die auf ihren Knien und ihren Unterarmen lag und dem Zuschauer unverblümten Einblick auf ihre Geschlechtsteile gewährte, wobei sie ihre Schamlippen mit den Fingern spreizte, als wolle sie sagen: „Setz dich, nimm dir 'nen Keks! Es ist bequemer, als es vielleicht aussehen mag …“. Laut ihres aufgedruckten Autogramms hatte die Dame den Namen „Bonnie Rotten“, wobei ich mir bis heute nicht sicher bin, ob das wirklich ihr bürgerlicher Name war. Ich trank einen weiteren Schluck Kaffee, eine weitere Böe durchzog den Raum und das Essen roch phantastisch.
„So, mein Lieber …“, begann er den Satz, wohl eher als Floskel gemeint, denn es folgte nichts weiter. Er nahm die Kanne aus der alten orangefarbenen Krupsmaschine, die ebenfalls aus dem Fundus seiner Großeltern stammte und goss mir und sich Kaffee nach.
Читать дальше