Die Auswahl der verschiedenen Biersorten war wirklich verlockend, doch blieb ich bei meinem Lieblingsbier, mit der adretten Schwarzwaldfrau auf dem Etikett. Ich ging zur Kasse und beteuerte keine Payback-Karte zu haben und versicherte der Kassiererin, dass ich wirklich nicht daran interessiert wäre, eine zu beantragen, auch wenn mich jeden Monat tolle Prämien erwarten würden. Ich kramte die letzten 4€ aus meinem zerlumpten Ledergeldbeutel und verließ das Geschäft. Bevor ich aus dem Schutz des Vordaches herausging, setzte ich meine Kapuze auf und genoss es, ein wenig Regen in mein Gesicht zu bekommen.
Als ich im Flur des Altbauhauses stand, das den Krieg fast unbeschadet überstanden hatte, war der Schauer bereits zu einer Art Sturm geworden und ich hörte dicke Regentropfen, sowie Laub und Äste gegen die Häuserwände schlagen. Ich war gerade noch im richtigen Moment angekommen, bevor ich schließlich mit einem lauten Schnappen im Türschloss meine Wohnungstür öffnete, um dem Ganzen zu entgehen. Wie bereits erwähnt, war es in meiner Wohnung zumindest weitestgehend trocken. Die beiden Fenster, waren nicht ganz dicht und ab und zu tropfte es durch die poröse Dichtung. Als die Fenster eines schönen Tages erneuert worden waren – das muss lange vor meiner Zeit gewesen sein – hatte man es zudem offenbar nicht für nötig befunden die Rahmen dieser fachgerecht auszuschäumen. Somit war es zumindest bei einem der beiden Fenster möglich, sich mit der glatten Hand, durch etwas bröckeligen Putz nach draußen zu wühlen. Natürlich hätte ich mich darüber beschweren können, sicherlich hätte der Vermieter diesen Mangel instand setzen müssen. Aber riskieren, dass er dafür als Retourkutsche die Miete unter einem fadenscheinigen Grund erhöhen würde? Lieber nicht. Denn dann hätte ich sie mir noch weniger leisten können, als ich es ohnehin schon konnte. Drei Jahre hatten mir diese vier Wände eine Unterkunft beschert. Aus heutiger Sicht, wäre es vielleicht zu viel gewesen von einem richtigen Zuhause zu sprechen, aber was ist es dann, wo man als Gastronom zwischen Arbeit und Arbeit seine wenigen Stunden verbringt? Mit meinen dürftigen Mitteln hatte ich die Bude ganz schön herausgeputzt, hatte es perfektioniert die richtigen Angebote aus den Kleinanzeigen herauszusuchen, hatte viel von Bekannten geerbt und war mir auch nie zu schade gewesen, das ein oder andere Teil vom Sperrmüll mitzunehmen. Manchmal muss man sich selbst helfen. Oder wie es einer der größten Rockstars aller Zeiten zu sagen pflegte: „When it comes to luck – you make your own …“.
Dieser Rockstar drehte sich in Form von „Darkness on the Edge of Town“ auf dem Plattenteller, als ich meine Bierflasche an einem Wandflaschenöffner aufmachte. Das Zischen sorgte dafür, dass sich mein Mund furchtbar trocken anfühlte, so als hätte ich seit Tagen bereits nichts mehr getrunken und ich freute mich so sehr auf den Moment, in dem mich der herbe und erfrischende Geschmack, der Geschmack, den wir so oft mit „Feierabend“, oder „Geschafft“ oder „endlich zuhause“ verbinden. Ich hatte noch acht Tage bis zum Ende des Monats und somit mehr als genug Zeit, meine kleine ein-Zimmer-Wohnung leer zu räumen. Mein Vater hatte mir in einem Schuppen, den er für seine zahlreichen Hobbys, die all das umfassten, was mit zwei oder vier Rädern ausgestattet ist, gemietet hatte, einen großzügigen Platz eingeräumt. Ich hatte ihm angeboten, mich an der Miete dafür zu beteiligen, aber er hatte abgelehnt, weil er zur Zeit selbst viel zu viel um die Ohren hatte, als dass er sich um seinen alten Ford FK-1000, der bereits in viele Einzelteile zerlegt war, hätte kümmern können. Ich nahm ein Ei aus dem Kühlschrank und stellte einen Topf mit Wasser auf. Nudeln hatte ich immer zuhause, da sie günstig und lange haltbar waren. Ich hatte beim Ausmisten meines Vorratsschrankes noch ein Päckchen haltbare Sahne entdeckt und wusste, dass irgendwo in meinem Tiefkühlfach noch ein Päckchen Speckwürfel vergraben war. Ein Paket bestand immer aus zwei Blistern und ich erinnerte mich, dass ich einmal nur eines gebraucht und das zweite in den Froster geschoben hatte, weil ich bereits wusste, dass ich in naher Zukunft nicht dazu gekommen würde, es zu verbrauchen. Wenn es also nicht dem tückischen Gefrierbrand zum Opfer gefallen war, dann musste es sich noch irgendwo verstecken. Ich hatte noch ein klitze-kleines Stück mittelalten Gouda, wobei ich nicht weiß, ob er wirklich mittelalt oder er in meinem Kühlschrank eine Zeitlang einem kleinen Dry-Aging unterzogen worden war. Ich kochte die Nudeln, verquirlte das Ei mit der Sahne, Salz und Pfeffer. Die Speckwürfel die ich letztendlich, nachdem ich allerhand obskure Dinge aus dem Tiefkühlfach entnommen hatte, gefunden hatte, briet ich in einer kleinen Pfanne knusprig. Als ich die Nudeln abgegossen hatte, gab ich sie in den Topf zurück, nahm ihn vom Herd und gab meine Sauce dazu. Die Resthitze des Topfes und die der Pasta reichten aus, das Ei soweit zu erhitzen, dass es die Sauce andickte, ohne zu Rührei zu werden. Ich verrührte den vermeintlich mittelalten Gouda ebenfalls und gab die Speckwürfel darüber. Das hatte mit der klassischen Carbonara, die ich in einem meiner zahlreichen Kochbücher sicherlich ohne weiteres finden würde, nur sehr wenig zu tun.
Ich setzte mich mit diesem großen Teller des günstigen Schmauses und einem Bier auf die Couch und lauschte Springsteen. Der Regen peitschte gegen das Fenster und ab und zu tropfte es durch die marode Dichtung der Scheibe nach innen. Ich hatte einen Pullover angezogen, weil der Regen die Wohnung noch etwas abgekühlt hatte und man von einer wirklichen Wärmeisolierung ohnehin nicht sprechen konnte. Ich saß auf dieser alten Schlafcouch, die so lange mein Zufluchtsort gewesen war und diese Welt schien für einen Augenblick der schönste Ort zu sein, den ich mir hätte vorstellen können. Acht Tage hatte ich noch, um all mein Zeug zu packen, die Möbel einzumotten und alten Ballast loszuwerden. Es würde eine fabelhafte Zeit mit und bei Patrick sein und ich freute mich bereits sehr darauf. Morgen würde ich zu packen beginnen, aber der heutige Tag gehörte mir, einem eiskalten Bier und meinen wenigen Platten. Das letzte Lied der LP begann, kurz bevor die von Wolken verdeckte Sonne unterging.
„Some folks are born into a good life. Other folks get it anyway, anyhow.”
Kapitel 2 – Spätsommer 2013
Die Zeit im Wacholderweg war - wenn sie auch nur von kurzer Dauer war – eine prägende. Ich hatte mein Lager auf dem Flur meines Freundes Patrick aufgeschlagen. Er hatte dort eine alte Couch stehen, die in der kleinen zwei Zimmerwohnung nirgendwo anders hatte untergebracht werden können. Sie hatte eine braune Grundfarbe, mit kleinen Rauten, die etwas dunkler gefärbt waren. Es erinnerte einen an die Muster, die man sieht, wenn man sich zu lange und zu kräftig die Augen reibt. Patrick hatte dieses Schmuckstück vom Sperrmüll nach Hause gezogen, als er nach einer durchzechten Nacht aus dem Kneipenviertel kam.
„Ist doch ein schönes Ding, oder? Ich mein, hallo, einem geschenkten Gaul und so …“, hatte er gesagt, während er sich mit dem Handballen die schwarze Brille mit den Lupengläsern hochschob.
„Was andere Leute wegwerfen. In der Türkei steht so was im Geschäft.“, schob er hinterher, als er über den löchrigen und modrigen Bezug des Sofas strich. Ein: „Nein, so was steht auch in der Türkei nicht im Geschäft“, hatte ich mir damals gespart. Warum jemandem die Freude verderben? Es war ja gut so, wie es gekommen war – mein Glück. Dieses Sofa sollte nämlich mein Schlafplatz für den nächsten Monat sein. Meine kleine Einzimmerwohnung war bereits ausgeräumt. In einer Hauruck-Aktion hatte ich alles in besagtem Schuppen meines Vaters untergebracht und in Sicherheit, bis ich erstens eine neue Stelle und zweitens eine neue Wohnung hatte.
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