Ein hervorragender Vorteil, grummelte die Frau im Baum stumm in sich hinein. Also Ringkampf fällt auch aus.
Jetzt, da der Einheimische unter ihr sichtlich entspannt oder zumindest ruhig war, zeigten sich nur sehr wenige Schlitze in verhaltener Aktivität. Strengte sich ein Sambolli an oder war er aufgeregt, war dies völlig anders. Sicherlich auch ein Überbleibsel der Evolution aus primitiveren Tagen, in denen die Sambolli noch keine Kleidung oder moderne Waffen entwickelt hatten.
Die Haare des Wesens glichen schlanken, langen Blättern, auch wenn sie die Farbe von Haselnüssen hatten. Die Haut zeigte ein angenehmes Braun wie gedunkeltes Kiefernholz, in den Achseln und Kehlungen der Arm- und Fußbeugen mit noch dunkleren Schattierungen. Ältere Sambolli, so wusste Bérénice, zeigten blassere und grauere Bräunungen, die bis zum natürlichen Tod nachdunkelten. Allerdings hatte Bérénice noch nie einen toten Sambolli gesehen. Diesen Teil der Instruktion hatte sie jedoch noch sehr deutlich im Gedächtnis. Im Lager hätte sich jeder den Anblick eines toten Sambolli gewünscht.
Die Kleidung – jetzt fiel Bérénice auf, was ihr an diesem Sambolli so anders vorkam – hatte eine gewisse Lockerheit, die sie von den militärischen Kleidungen ihrer Bewacher nicht kannte. Auch das Ding, das er in seinen beiden kräftigen Armen hielt, war keine Militärwaffe, sondern sah eher … privat aus.
Ein Jäger … ein Sportschütze? Ist das möglich? So nahe am Lager? Sie konnte noch keine zwanzig Kilometer weit gekommen sein. War es denkbar, dass sich die Sambolli mit der Jagd als Freizeitbeschäftigung befassten? Warum nicht?
Spacetrooper Bérénice Savoy überlegte fieberhaft. Sollte sie das unverschämte Glück haben, auf einen Zivilisten gestoßen zu sein, der nicht sie, sondern irgendein Viehzeug jagte? Und wenn ja: War er allein oder Teil einer Jagdgemeinschaft? Und wie war er hierhergekommen? Sicherlich nicht zu Fuß, denn die nächste Ansiedlung oder Stadt musste Hunderte von Kilometern entfernt liegen, schließlich waren sie mit dem Gefangenentransport stundenlang geflogen. In gemächlichem Tempo, aber eben sehr lange.
Also hat er oder haben sie ein Fahrzeug! Diese Erkenntnis vertiefte ihr Gefühl, an einen glücklichen Zufall zu glauben. Was jagt der Kerl überhaupt? Sie hatte den Gedanken noch im Kopf schwirren, als sie eine weitere Bewegung, weit entfernt im Dickicht der Bäume, wahrnahm. Doch es war nicht die Beute, sondern ein zweiter Sambolli, und direkt neben diesem schob sich langsam aus dem Blattgewirr ein Dritter. Beide nickten dem Ersten zu und entfernten sich unglaublich langsam voneinander.
Sie teilen sich, um dem Jäger aus zwei Positionen Deckung geben zu können, durchfuhr es Bérénice und sie verfolgte gespannt die Bewegungen der beiden. Der Erste stand unverändert still, nur seine Augen waren hellwach. Die Frau betete darum, dass er nicht zu ihr nach oben blickte. Auf diese kurze Distanz musste er sie sofort sehen. Allerdings blieben seine Augen parallel zum Boden gerichtet. Die beiden anderen Sambolli schienen ihre Ziele erreicht zu haben und hielten an. Die Läufe ihrer Waffen hatten sie die ganze Zeit waagrecht gehalten, nun schwenkten sie ein paar Grad nach oben.
Sie jagen ein Bodentier, und zwar ein großes!
In diesem Moment gab ihr Magen ein langes, fürchterlich lautes Knarren von sich und Bérénice wäre vor Schreck fast vom Baum gefallen. Der Sambolli unter ihr hatte es natürlich gehört und sein Kopf zuckte in ihre Richtung. Doch bevor er auch nur einen Laut von sich geben konnte, wurde die Stille des Dschungels in einer Art und Weise unterbrochen, wie es sich die Menschenfrau nicht hätte vorstellen können.
Ein Ungetüm mit der unerfreulichen Größe von drei Metern bis zur Schulter, der Brustbreite eines ausgewachsenen Elefanten und Beinen, die an dorische Säulen erinnerten, brach durch die Blätterwand der dicht beieinanderstehenden Bäume. Dass es dabei kleine bis mittlere Bäume niederwalzte, störte seinen Lauf nicht im Geringsten. Das Vieh stieß ein Röhren aus, welches einem Ozeandampfer alle Ehre gemacht hätte, gefolgt von einem wütenden Gurgeln. Was das Tier so wütend gemacht hatte, sah Bérénice erst, als es vollständig sichtbar war: In einer Körperseite steckten mehrere kurze Stacheln, die, so wie sie jetzt beobachten konnte, aus den seltsamen Waffen der Sambolli stammten. Die beiden Partner des Jägers schossen einen Stachel nach dem anderen aus ihren harpunenähnlichen Geräten, doch das Monstrum zeigte sich davon völlig unbeeindruckt. Umso mehr war Bérénice vom Verhalten des ersten Jägers beeindruckt. Er hatte sie vielleicht gesehen, ignorierte sie jetzt aber oder wollte sich zuerst seiner Beute widmen. Er blieb einfach stehen und ließ das Tier auf sich zu rennen. Auch er hob zwar seine Waffe, schoss damit aber nicht. Jetzt begriff Bérénice.
Er spielt den Lockvogel! Das Vieh ist so auf den sichtbaren Gegner fixiert, dass es die beiden seitlichen Schützen gar nicht wahrnimmt. Bérénice beugte sich ein wenig vor, um das Geschehen weiter verfolgen zu können, das jetzt teilweise durch den dicken Baumstamm verdeckt wurde, hinter dem sie sich verbarg. Und wieder ließ sich der Sambolli von ihr ablenken. Vielleicht lag es daran, dass er in seiner Konzentration auf die Jagdtrophäe nicht mit dem Anblick eines ihm möglicherweise unbekannten Lebewesens gerechnet hatte. Schließlich war dies seine Jagd, sein Dschungel, sein Planet! Vielleicht war er aber auch nur ein schlechter Jäger, mutig, aber unerfahren. Seine beiden Kameraden schienen zu bemerken, dass etwas nicht stimmte, und schossen mit aufflammender Panik einen Stachel nach dem anderen in die Flanken der anstürmenden Bestie.
Doch es half nichts.
Das Tier ließ sich allein dadurch nicht aufhalten. Bérénice vermutete, dass die beiden auf irgendeine Aktion des Ersten gewartet hatten, die nun nicht kam, weil sie ihn abgelenkt hatte. Sollte er eine bestimmte todbringende Stelle mit seiner Waffe treffen, sollte er mit seinen kräftigen Beinen hoch in die Luft springen; sie wusste es nicht. Ihr Magenknurren hatte er zwar gehört, sie aber nicht gesehen. Ihre Bewegung hatte sie zum Teil aus ihrer Deckung gebracht, und das hatte er gesehen. Er musste völlig überrascht und eventuell sogar verwirrt worden sein.
Auf jeden Fall kam seine Reaktion jetzt zu spät. Das Tier war heran und tat, was es von Anfang an hatte tun wollen: Es walzte mit seinem Körper auf den Sambolli zu, rammte ihn, stemmte sich mit allen Säulenbeinen tief in den Dschungelboden, um seinen Schwung abzubremsen, und ruckte augenblicklich herum. Der am Boden liegende Jäger hatte keine Chance mehr zu einem eigenen Schuss. Seine beiden Partner schossen nun mit aller Verzweiflung Stachel auf Stachel, jetzt auch in den Kopf des Tieres, was sie vorher tunlichst vermieden hatten. Bérénices Gedanken wirbelten wie verrückt. Sicher wäre dies die Trophäe gewesen. Der Kopf des Monsters. Nun krümmte sich der erste Jäger am Boden, vermutlich schwer vom Stoß des Tieres verletzt und kroch – ein verdrehtes Bein hinter sich her schleifend – auf die Waffe zu, welche ihm aus den Händen gefallen war. Er würde sie nicht mehr erreichen. Das Tier war zurück und begann nun auf dem Jäger herumzutrampeln, der sich schon nach dem ersten Tritt nicht mehr rührte.
Das ist meine Chance, erkannte Bérénice und ließ sich aus der Gabelung fallen. Als sie auf den Boden auftraf, rollte sie sich geschickt ab und zog im Aufschwung das Katana aus der Rückenscheide. Mit rasenden Schritten – die tausend Ameisen im linken, gehemmten Fuß zähneknirschend unterdrückend – eilte sie auf einen der beiden Sambolli zu. Der war viel zu überrascht, um auch nur zu begreifen, was da auf ihn zukam. Sein Blick – und seine Waffe – schwenkten zwischen dem Tier und dem neuen Gegner hin und her. Seine Unentschlossenheit kostete ihn das Leben. Bérénice versuchte gar nicht erst, das Herz in der Körpermitte zu durchstoßen. Schließlich verfügte sie nicht über ein echtes japanisches Katana, sondern nur um eine primitive Ausgabe davon. Diese genügte aber immerhin, um den Kopf des Sambolli mit einem blitzartigen, sauberen Schnitt vom dünnen Hals zu trennen. Der Körper stand noch, als Bérénice wie eine Furie auf den letzten Gegner zuschoss.
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