Mirka reichte Elke eine Pusteblume. Da.
Elke blies sehr kräftig. Mirka lachte.
Die winzigen Fallschirme schwebten in der Sonne davon, ganz leicht. Ein Lufthauch trug sie hinauf, dann fielen sie in die Tiefe.
Elke wurde ruhig, zufrieden und ein bisschen traurig. Sie wusste nicht, woher die Traurigkeit kam.
Sie pflückte für Mirka eine Pusteblume. Eine Weile setzten sie das Spiel fort. Die leeren Stängel warfen sie weg.
Dann wurde es langweilig.
Mirka hob den Zeigefinger an die Nase. Achtung. Sie lief einen schräg nach oben gewachsenen Baum hinauf. Die dicken Gummisohlen ihrer Tennisschuhe gaben ihr auf der Rinde des Baumes Halt. Auf halber Höhe bückte sie sich, hielt sich mit gestreckten Armen an dem Stamm fest und ging langsam weiter. Elkes Hand konnte sie nicht mehr erreichen. Das Mädchen stand weit über ihr und lachte wieder.
Elke schloss die Augen. Dann öffnete sie langsam die Lider. Immer noch war Mirkas Blick auf sie gerichtet.
Mit einem Mal stürzten die beiden Jungen heran.
Der blasse Junge hatte jetzt ein rotes, erhitztes Gesicht. Ihnen folgte der Mann, dessen weit auseinanderstehende Augen Elke irritierten. Mirka kletterte ein Stück den Baum hinunter und sprang. Elke fing sie auf.
Mirka umschlang den Mann. Er schien ihr Vater zu sein. Lächelnd zeigte er ihr seinen Plastebeutel, der zur Hälfte mit Pilzen gefüllt war.
Elke ging mit dem Mann und den Kindern. Plötzlich warf der Mann sich auf den Boden, breitete die Arme aus, trommelte mit den Fäusten in das Gras und schrie: Grzyby, grzyby. Pilze, Pilze.
Mirka hockte sich zu ihm. Sie pressten die Köpfe nebeneinander in das Gras, besahen sich den Fund, stießen sich an und lachten und lachten.
Er ist wirklich ein bisschen verrückt, dachte Elke.
Kazimir tauchte auf, später kamen noch zwei andere Männer und Gerd. Sein Beutel war voller Pilze. Auch die anderen hatten mehr Glück gehabt als Elke.
Elke machte sich mit den Jungen und Mirka auf den Rückweg.
Mirka brachte ihr bei, auf Polnisch bis zehn zu zählen. Sie war eine geduldige Lehrerin, und Elke hatte immer deutlicher das Gefühl, jedes neu erlernte polnische Wort bestärke Mirka in ihrer Überzeugung, Elke könne in Wirklichkeit Polnisch. Sie hätte es nur ein bisschen vergessen, und es bedürfe geringer Anstrengungen, dann könnten Elke und Mirka sich aufs Beste unterhalten.
Von ihren Erfolgen beflügelt, verlangte Mirka von Elke, auch einen Zungenbrecher nachzusprechen.
Chrzaszcz brzmi w trzcinie!
Elke stolperte schon über das erste Wort.
Chrzaszcz brzmi w trzcinie, sagte Mirka noch langsamer. Elke begann, blieb stecken. Dann konnte sie das erste Wort. Die Jungen sprachen schneller, verhaspelten sich und prusteten vor Vergnügen.
Elke bekam das zweite Wort heraus, dann beide zusammen, dann schließlich den ganzen Satz.
Aufgeregt zappelte Mirka mit den Händen, schneller, schneller. Elke lachte, versuchte es, verhedderte sich, begann langsamer von Neuem.
Später führte Mirka ihren Bildungserfolg den Frauen in der Küche vor. Aber Elke geriet ins Stocken.
Mirka war enttäuscht.
Die Frauen trösteten das Mädchen und sahen auf Elke, die sich beinahe selbst wie ein Kind vorkam.
Was heißt: chrzaszcz brzmi w trzcinie? erkundigte sich Elke später bei Kazimir.
Ah. Sehr gut, sagte Kazimir. Schon sehr gut. Du sprichst wenig Polnisch, aber gut Polnisch.
Und was heißt das?
Nu, so ungefähr: Die Brummeln brummeln im Schelf.
Als es Abend wurde, machten die Männer vor dem Hauseingang ein Feuer. Ein Topf wurde darüber gehängt. Bald entströmte ihm ein Duft, der alle anzog. Sie setzten sich um das Feuer herum, einige auf Campingstühle, andere hockten auf dem Boden. Ein zweiter Topf kam auf eine andere Feuerstelle.
Mirka saß zu Elkes Füßen.
Dann wurde der erste Topf vom Feuer genommen. Mirka sprang zu der Frau, die ihn öffnete und die Portionen austeilte. Sie brachte Elke einen Teller dampfender Kartoffeln und Fleisch, dabei verneigte sie sich ein wenig.
Kleine Mirka, dachte Elke. Jetzt fahren wir bald weg. Für immer. Sie sah einen nach dem anderen in der Runde an, beobachtete, wie sie aßen, miteinander redeten und den heißen Bortsch schlürften. Schon war es ein Traum. Schon Vergangenheit. Von Mal zu Mal fiel es ihr schwerer, Abschied zu nehmen, wenn sie sicher wusste, dass es für immer war. Und dabei hatte sie noch so viele Trennungen vor sich. Sie wollte gern hierbleiben, hier oder woanders, hier aber am liebsten. Sie wollte nicht mehr weggehen.
Gerd setzte sich zu ihr. Sein Gesicht war sehr rot und glänzte. Er zwinkerte ihr zu. Sie aber konnte seinen glücklichen Blick nicht erwidern.
Kazimirs Dogge Ami lehnte sich an Elkes Bein. Mirka kreischte, sprang weg, näherte sich wieder und versuchte mit vorsichtigen Handbewegungen den Hund zu verscheuchen, dessen Augen in der Dunkelheit unheimlich funkelten.
Chodz, Ami, chodz, rief Kazimirs Frau mit ihrer tiefen, schönen Stimme.
Ami erhob sich und legte sich Kazimirs Frau zu Füßen.
Die Dogge nicht aus den Augen lassend, setzte sich Mirka vor Elke auf den Boden und nahm ihre Hand. Dann stand sie auf und legte ihre Arme um Elkes Hals.
Gerd sah zu ihnen herüber.
Elke wusste nicht, wie sie den Gedanken ertragen sollte, dieses Kind zu verlieren. Sie blieb ganz still und wagte auch nicht, das Kind zu streicheln.
Vor der Abfahrt versprach sie Mirka, ihr aus Nairobi zu schreiben.
Wie am Vormittag fuhr Kazimirs Syrena wieder vor ihnen her. Doch jetzt war es dunkel, und sie sahen nur seine roten Rücklichter. An einer Kreuzung trennten sich ihre Wege. Sie stiegen aus, bedankten und verabschiedeten sich.
Dann fuhren sie allein über die Autostraße.
Das war ein Tag, sagte Gerd.
Elke schwieg.
Er sah sie kurz an. Ist was mit dir.
Wir könnten eine Tochter haben wie sie.
Wir waren uns doch einig. Gerd schaute wieder auf das Stück helle Straße vor ihm, das der Scheinwerfer ausleuchtete.
Ja, schon.
Unser Leben ist nichts für ein Kind.
Nein.
Und außerdem wär's in deinem Alter schon ein Risiko.
Es ist zu spät, dachte Elke, beinahe erleichtert, dass ihr die Entscheidung abgenommen war. Eine Mirka gab es sicher kein zweites Mal. In fünf Tagen würden sie wieder nach Nairobi fliegen, und Nairobi war eine schöne Stadt.
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