1 ...8 9 10 12 13 14 ...48 Dann aber kam der schwierige Teil: Vom oberen Ende der Säule musste er gut einen Meter senkrecht in die Höhe springen, um dort den Fenstersims der ersten Büroetage zu erreichen. Normalerweise kein Problem, doch nach einem senkrechten Aufstieg von sechs Metern, musste Timothy nochmals alle Kraft aus seinen Oberschenkeln holen, damit ihm dies auch gelang. Dabei kam ihm die hohe Geschwindigkeit, die er beibehalten hatte, zugute. Er drückte sich ab und streckte seinen Körper und seine Arme blitzschnell durch. Wenn er den Sims jetzt nicht zu fassen bekam, hatte er keinerlei weiteren Halt mehr und würde sechs Meter tiefer ungebremst zu Boden schlagen. Doch bevor er sich darüber wirklich Sorgen machen konnte, spürte er den Fenstersims an seinen Fingern und krallte sie dort hinein. Anstatt sich dann jedoch in die Höhe zu ziehen, ließ er seine ausgetreckten Beine nach rechts schwingen, bis er dort die rechte Wand des Spaltes erreichte. Er stemmte sein rechtes Bein gegen die Fassade und erst dann zog er sich in die Höhe.
Wenige Augenblicke später stand er aufrecht in dem Spalt und hatte seine Beine zu beiden Seiten gegen die Fassade gestemmt. Timothy schätzte seine Breite auf etwas mehr als einen Meter. Gerade noch schmal genug, um sein Vorhaben auszuführen. Mit einem kurzen Ruck stieß er sein rechtes Bein von der Fassade und knickte gleichzeitig im linken Kniegelenk ein wenig ein. Kaum hatte sein Körper Übergewicht zur linken Seite, drückte er das linke Bein durch. Sein Körper schnellte ein Stück schräg nach oben, wo Timothy sofort wieder das rechte Bein in die Fassade stemmte, dann dort im Kniegelenk einknickte, jedoch nur um sich sofort danach wieder abzudrücken und nach links oben zu schnellen. Dabei nahm er beständig seine Arme zur Hilfe, um seinen Körper zu stabilisieren und den Aufstieg damit zu erleichtern. Die ersten drei Sprünge brachten nur einen geringen Höhengewinn, doch mit zunehmender Dauer wurde er deutlich schneller. Ein Betrachter wäre sicherlich absolut erstaunt gewesen, mit welcher Geschmeidigkeit und scheinbaren Leichtigkeit Timothy die immerhin fast fünfzehn Meter überwand und dafür kaum mehr als zwanzig Sekunden brauchte. Doch war das für Timothy alles andere als einfach und als er den oberen Sims erreicht hatte und sich mit einem tiefen Stöhnen auf das Dach wuchtete, war er mit seiner Kraft beinahe am Ende.
Für einen Moment verschnaufte er mit tiefen Atemzügen.
Das bekam natürlich auch Frank mit. „Alles klar?“ fragte er.
Timothy lachte heiser auf, während er seinen Körper wieder durchstreckte. „Was denkst du denn?“ Und damit rannte er zum östlichen Ende des Daches und spähte zum anderen Gebäude hinüber.
Im ersten Moment war er sichtlich erfreut, denn er konnte auf einem erhöhten Lüftungsschacht dort deutlich einen fast quadratischen, schwarzen Gegenstand erkennen. Das war das Paket! Timothy grinste. Doch dann wurde ihm klar, dass er ein Problem hatte, denn das Dach des Nebengebäudes lag zwei Etagen unter ihm und war mindestens fünf Meter entfernt. Er würde nicht nur einen weiten Sprung ausführen müssen, sondern würde beim Aufprall auch eine beachtliche Bewegungsenergie in sich haben, die er schnell wieder abgeben musste. Timothy war klar, dass das mit großen Schmerzen verbunden sein würde.
Doch er wusste auch, dass er jetzt gar keine andere Wahl mehr hatte. Wenn er nicht sprang, würde der andere Runner das Paket an sich nehmen und er große Mühe haben, ihm zu folgen.
Ohne zu zögern stieß er sich daher von der Brüstung ab und rannte in die Mitte des Daches. Dort drehte er sich um, atmete nochmals tief durch, dann raste er los. Das Geheimnis war, jetzt keine Angst zu haben, doch das war so viel leichter gesagt, als letztlich…
Timothy erreichte die Brüstung, sprang ab, setzte seinen rechten Fuß darauf und drückte sich dann mit all seiner Kraft ab, wobei er die ausgestreckten Arme von hinten über seinen Kopf nach vorn riss, ganz so, wie es Weitspringer taten. Als er das andere Dach auf sich zurasen sah, konnte er sich eines Schreis nicht erwehren.
Dann erfolgte der Aufprall. Doch Timothy hatte derartige Sprünge schon einige Male absolviert, um jetzt richtig zu reagieren. Sofort rollte er sich über seine linke Schulter ab. Einmal, zweimal. Das tat höllisch weh, war aber die einzige Möglichkeit, keine schweren Verletzungen davonzutragen. Prellungen, Abschürfungen, im Nachhinein böse Kopfschmerzen, ja, aber keine Brüche oder Übleres. Um den Schmerz besser ertragen zu können, brüllte er ihn hinaus.
„Timothy?“ Das war Frank, der anfing sich angesichts dieser Geräusche Sorgen zu machen.
„Jetzt nicht!“ stieß Dixon atemlos hervor, denn er war viel zu konzentriert auf seine Sache. Nach der zweiten Rolle drückte er seine Beine wieder durch und nutzte den noch verbliebenen Schwung aus, um sofort wieder zu rennen. Mit wenigen Schritten war er bei dem Lüftungsschacht, sprang ab und riss das Paket am Tragegriff vom Sims.
Im selben Moment flammte auf den Navigationsgeräten aller Teams ein roter Punkt auf und gab den Standort des Pakets preis.
Damit war die Jagd eröffnet.
Frank sah das Aufflammen des roten Punktes mit gemischten Gefühlen. Dass das Paket entdeckt worden war, überraschte ihn nicht. Timothys Verhalten hatte dies ja bereits angedeutet. Doch wusste Palmer nicht, ob sein Runner es an sich genommen hatte, oder ein anderer. Diese Ungewissheit machte ihn ein wenig nervös. Dennoch blieb er stumm, denn selbst wenn Timothy jetzt nicht im Besitz des Pakets war, war er zumindest dicht dran. Und Frank wusste aus der Vergangenheit, dass er in solchen Situationen nicht gestört werden wollte.
*
Es konnte nur noch Sekunden dauern, bis der andere Runner hier erscheinen würde, dessen war sich Timothy bewusst.
Er beschleunigte daher sogar noch auf dem Weg zum Treppenhaus. Als er einen Schritt davor herumwirbelte und mit dem Rücken links neben der Tür an die Wand krachte, wurde sie bereits von innen rüde aufgestoßen.
In diesem Augenblick machte Timothy einen Schritt nach rechts und verschwand hinter der Ecke, wobei er sich weiterhin dicht an der Wand hielt und verstohlen zurückblickte.
Er kannte den anderen Runner , der da drei gehetzte Schritte auf das Dach machte und dann abrupt stehenblieb. Sein Name war Ed. Er war etwas älter, als Timothy und wirkte eher schwächlich und hager. Doch Timothy wusste, dass Ed eigentlich der bessere Langstreckenläufer war. Allerdings besaß er nicht die speziellen Fähigkeiten, die es Timothy ermöglicht hatten, einen anderen Weg hier auf das Dach zu nehmen. Dafür aber war dieser Kerl absolut hinterlistig und gnadenlos.
Im nächsten Moment riss Ed seinen rechten Arm, an dem er sein Navigationsgerät befestigt hatte, in die Höhe und starrte auf das Display. Natürlich war er anhand des Signals davon ausgegangen, dass sich das Paket irgendwo vor ihm befinden musste. Deshalb war er unschlüssig, als er es nicht sehen konnte. Ein Blick auf das Display sollte die Situation klären. Als er das Signal dann seitlich des Treppenhauses ausmachen konnte, war er für einen Augenblick verwirrt, doch dann rannte er los.
Auf diesen Moment hatte Timothy gewartet.
So schnell er nur konnte, umrundete er das Treppenhaus auf der anderen Seite und gelangte vor die Eingangstür, die noch immer offenstand. Ohne zu zögern donnerte er den Koffer auf den äußeren Türöffner, der dabei fast komplett aus der Verankerung gerissen wurde. Dann packte Dixon das Türblatt, rannte in das Treppenhaus hinein und riss die Tür hinter sich zu. Ob seine Aktion ausreichte, dass sich die Tür nicht mehr öffnen ließ, konnte er nur hoffen. Zeit, es zu überprüfen hatte er natürlich keine.
Doch das brauchte er auch nicht, denn kaum war er die erste Treppe hinab gesaust, machte sich Ed bereits an der Türklinke zu schaffen. Es gelang ihm aber nicht, die Tür zu öffnen und Timothy hörte ihn wüst schimpfen und dagegen hämmern. Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und war sichtlich erleichtert, dass er nicht nur das Paket noch immer bei sich, sondern auch seinen ersten Verfolger abgeschüttelt hatte. „Bingo!“ rief er daher in sein Headset, während er schon drei Stockwerke hinter sich gebracht hatte.
Читать дальше