„Sie drohen mir?“
„Sehe ich so aus, als wenn ich das nötig hätte? Nach dem Motto: Die Welt ist voller Gewalt, da kommt’s auf ein paar eingeschlagene Zähne auch nicht mehr an? Nein, ich verlasse mich lieber auf meine Argumente.“
„Und Ihre Freundin Tea?“, erkundigte sich Walter. „Man sagt Ihnen nach, wenn’s um Frauen geht oder wenn Ihnen bei der Arbeit die Sicherungen durchbrennen, sei gar nicht gut Kirschen essen mit Ihnen.“
„Kommt ganz drauf an, ob ich das Gefühl habe, hingehalten oder hinters Licht geführt zu werden. So wie bei Ihrer Nummer in meinem Garten ...“
„Viel kann ich Ihnen dazu auch nicht sagen. Dabei wär’s nicht mal echter Vertrauensbruch. Ich bekam den Auftrag nämlich von jemandem, der anonym bleiben wollte.“
„Anonym, aha.“
„Das ist kein Versuch, mich auf die billige Tour herauszureden, Harris. Es war wirklich so.“
„Männlicher oder weiblicher Auftraggeber?“
„Männlich, der Stimme nach, wenn sie nicht verstellt war.“
„Wie nahm er Kontakt mit Ihnen auf?“
„Telefonisch. Und das auch nur beim ersten Mal. Der Rest flattert mir als Brief auf den Schreibtisch.“
„Kann ich mal sehen …?“
„Nein. Hab’ strengste Order, jede Anweisung sofort nach Eingang zu verbrennen.“
„Aber Sie halten sich nicht daran?“
„Die Wünsche meiner Klienten sind mir heilig.“
„Könnte es auch eine Frau gewesen sein?“
„Frauen können wie Männer sprechen, wenn sie geschickt sind, aber Männer nur selten wie Frauen.“
„Und falls Sie irgend etwas Interessantes ausgraben? Wie erfährt Ihr Auftraggeber davon? Sie haben doch eine Telefonnummer von ihm bekommen?“, erkundigte sich Harris und streckte seine Hand aus.
„Nein.“
„Was heißt ‘nein’?“
„Dasselbe wie immer …“
„Dann würde ich Sie jetzt freundlich bitten, mir genau Ihren Auftrag zu beschreiben, Paul. Damit ich mich ins Bett legen und friedlich einschlafen kann. Sie wollen doch, dass ich einen guten Schlaf habe?“
„Dürfte Ihnen ziemlich schwerfallen, danach Schlaf zu finden“, sagte Walter und lehnte sich mit einem Anflug von Grinsen in seinem Sessel zurück. „Mein Auftraggeber glaubt nämlich, dass Sie für das Verschwinden Ihrer Schwester verantwortlich sind.“
Harris musterte ihn überrascht. „Und wieso? Gibt es dafür irgendeinen Anhaltspunkt?“
„Er hat mir nicht auf die Nase gebunden, warum er das glaubt. Ist schließlich meine Aufgabe, dafür Indizien zu finden. Er sagte nur:
‘Sehen Sie sich mal in seinem Haus um, Walter. Dieser Harris ist ein faules Ei. Spielt den ehrbaren Polizisten und putzt jeden weg, der ihm im Wege steht. Hat immer Schwierigkeiten mit seinem Unterleib, weil der nicht will wie sein Kopf. Und da die beiden nun mal von Natur aus schlecht miteinander auskommen und dauernd Verständigungsprobleme haben, ist seiner unteren Hälfte irgendwann eingefallen, sich selbständig zu machen.’“
„Was soll das heißen?“, fragte Harris. „Wollen Sie damit etwa andeuten, ich hätte meine Schwester …?“
„Ich kann auch nur das wiederholen, was man mir gesagt hat.“
„Und wonach haben Sie in den Mülltonnen gesucht?“
„Na, dreimal dürfen Sie raten.“
„Doch wohl nicht nach Katrin?“
„Tut mir leid, so lautete nun mal mein Auftrag. Nämlich das ganze Grundstück nach Ihrer Schwester abzusuchen. Oder nach dem, was von ihr übrig ist. Sie wollten ja, dass ich keine Blatt vor den Mund nehme …“
„Wie viel zahlt Ihnen dieser mysteriöse Auftraggeber denn für Ihre Recherchen?“
„Vierhundertfünfzig pro Tag und noch mal dreitausend, falls ich fündig werde.“
„Überweisung oder Scheck?“
„Bar, das Geld wird im Umschlag unter meiner Bürotür durchgeschoben.“
Harris schüttelte ungläubig den Kopf. Er stand auf, um eine Runde durchs Büro zu drehen. Aber gleich darauf wurde ihm bewusst, dass er damit auf Walter einen eher nervösen Eindruck machen würde, und er trat ans Fenster und sah hinaus. Er hatte plötzlich das Gefühl, wieder ganz am Anfang zu stehen, wie zu Beginn seiner Karriere als Polizist.
Damals hatte ihm ein ungelöster Fall geradezu körperliches Unbehagen bereitet.
Bis er anfing, dieser Missstimmung mit allem Spürsinn und allen Tricks der Kriminalistik zu Leibe zu rücken …
Das helle Tageslicht ließ die Konturen so klar hervortreten, dass seine Augen schmerzten. Er schätzte diese nüchterne Stimmung mit all ihrem Staub, den Flecken und Unregelmäßigkeiten auf den Straßen und an den Wänden nicht.
Seine Zeit war die Dämmerung oder Dunkelheit, wenn die Konturen verschwammen und die Dinge zu Silhouetten wurden. Dann lief er zu seiner besten Form auf und vollbrachte wahre Wunder als Polizist.
„Hat’s Ihnen etwa die Sprache verschlagen, Harris?“, erkundigte sich Walter, treuherzig lächelnd, die Hände auf dem Schreibtisch gefaltet. „Ist doch nichts dran an den Verdächtigungen meines Klienten? Aber natürlich, was sollten Sie auch darauf antworten? Ich werde Ihnen hier in meinem schäbigen kleinen Büro wohl kaum ein Geständnis aus der Nase ziehen. Dazu waren sie zu lange Polizist …“
„Hüten Sie Ihre Zunge, Paul, ich habe immer noch genug Einfluss, um Sie aus dem Viertel zu jagen.“
„Hört sich ganz so an, als wenn wir jetzt zur Sache kämen?“
„Ich möchte, dass Sie mich über jeden Auftrag Ihres Klienten und jeden Schritt gegen mich informieren, Paul. Finden Sie heraus, wer es ist.“
„Das dürfte schwierig werden …“
„Wie Sie ihn finden, überlasse ich Ihrem professionellen Spürsinn.“
„Soll ich das als offiziellen Auftrag zu verstehen?“, erkundigte sich Walter. „Ich meine, wegen der Auslagen. Wie sieht’s mit einem kleinen Vorschuss auf mein Honorar aus?“
„Darüber reden wir erst, wenn ich von Ihrer Loyalität überzeugt bin.“
Als er die Tür von Walters Büro hinter sich geschlossen hatte, ging er erst einmal in den Waschraum, um das Gefühl loszuwerden, dass sich zwischen seinen Beinen irgendeine Art von Krankheitskeimen ausbreitete – Hautpilze, Bakterien , vielleicht auch nur ganz gewöhnliche Filzläuse . In den Hotelbetten des Viertels holte man sich immer noch zu leicht etwas, weil die Wäsche selten nach jedem Gast gewechselt wurde.
Seitdem er Tea aufgegeben hatte, war er nicht mehr der alte. Aber die Haut zwischen seinen Beinen sah ganz normal aus.
Falls seine Schwester dieses mysteriöse Spielchen mit ihm trieb, dann fragte er sich, was sie eigentlich damit bezweckte.
Er hielt Katrin für raffiniert und durchtrieben genug, um ihn auf solche Weise in Schwierigkeiten zu bringen. Und wenn das so war, dann hatte sie ganz bewusst den Zeitpunkt dafür gewählt, als ihm sein Polizeiapparat nicht mehr zur Verfügung stand, als ihm die Hände gebunden waren, weil er wieder zur Privatperson geworden war.
Aber wozu das Täuschungsmanöver? Wegen des verlorenen Vormundschaftsverfahrens? Weil sie sich an ihm rächen wollte? Weil sie glaubte, er sei scharf auf ihre Tochter? Konnte ein Mensch, der noch alle Tassen im Schrank hatte, wirklich so weit gehen?
Eine Frau, die hasste, allemal, dachte Harris, als er in seinen Wagen stieg, um nach Hause zu fahren. Er war hundemüde und hatte sogar das Gefühl, für einen Moment am Steuer eingenickt zu sein, ehe er losfuhr.
Er warf einen Blick auf seine Uhr und sah prüfend die Straße entlang, ob ihm jemand folgte. Dann drehte er den Zündschlüssel und ließ den Motor so laut aufheulen, dass er wieder völlig wach wurde.
Nein, dieser mysteriöse Gegenspieler war nicht Katrin. Er bezweifelte auch, dass Katrin ihn wirklich hasste . Sie verachtete ihn, weil sie sich durchschaut sah, weil er den Finger auf den wunden Punkt in ihrem Leben gelegt hatte und weil es danach für sie nur noch die Möglichkeit gab, genauso hart zurückzuschlagen. Wenn dieses Bild wenig schmeichelhaft für einen war, provozierte es mehr Bösartigkeit als ein Schlag in die Magengrube. Katrin war bequem und ehrgeizig. Sie gab jedem Gefühl nach, sie ging immer den leichtesten Weg.
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