Über seine „Dreigroschenoper" äußerte Brecht: „Der Charakter dieses Stückes ist zwiespältig, Belehrung und Unterhaltung stehen auf einem Kriegsfuß miteinander". Dieter Steinke in Erfurt entschied sich für Belehrung. Er operierte, als säßen nicht aufgeklärte Sozialisten im Parkett, sondern aus Wohlleben und Geruhsamkeit aufzuschreckende Besitzbürger. Er verwirklichte seine Intentionen über Peachum, den Bettlerkönig, den er als bärbeißigen, räsonierenden rüstigen Herrn in seinem Reich regieren und das Publikum mehr oder minder in seine aggressiven Attacken einbeziehen läßt. Peachums verderbte Selbsterhaltungs-Philosophie wandelt sich zu rebellischer Anklage des kapitalistischen Systems, und plötzlich ertappt man sich dabei, einen prinzipienfesten Arbeiterführer zu assoziieren, der seine getreuen Massen wider den Krönungszug zu Felde führte. Folgerichtig geraten die sarkastischen Songs Peachums über das Menschsein unter Verhältnissen, die nicht menschlich sind, mehr zu belehrender Agitation denn zu ästhetischem Vergnügen.
Im Erfurter Programmheft wird H. Jherings Kritik aus dem Jahre 1928 zitiert, indes nicht jene Passage, in der Jhering beschreibt, was schon 1928 und heute doch wohl erst recht geliefert werden sollte: Unterhaltung. Jhering begriff die „Dreigroschenoper" als handliches, unterhaltendes Gebrauchsstück. „Amüsement, das hatten die mondänen Konversationsbühnen gepachtet. Mitreißende, durchdringende Musik, die nahmen die Operettenbühnen für sich in Anspruch. Wir anderen galten als Literaten oder Theoretiker... — obwohl wir nichts anderes wollten, als eine Durchdringung des ganzen Theaterkomplexes, als eine Belebung aller seiner Elemente: des Schauspiels und der Oper, der Posse und der Operette... Sentimentaler Kitsch und Räuberromantik — alles dient nur einer neuen, allen Möglichkeiten, allen Inhalten offenen Form." Gewiß hatte Brecht Wesentlicheres im Visier als Jhering hier auffällt, nämlich Entlarvung bourgeoiser Gesellschaft. Aber für Heutige und Hiesige sind aus der „Dreigroschenoper" wahrhaftig keine neuen Informationen über spätbürgerliche Korruption zu beziehen. Der Zuschauer weiß einfach, daß in der westlichen Welt heutzutage ständig „reitende Boten des Königs" unterwegs sind, um Gründer von Banken vor Ruin und Galgen zu bewahren. Er weiß, daß Kumpaneien zwischen Bankräubern und Staatsbeamten Dimensionen angenommen haben, an denen gemessen die smarte Freundschaft zwischen Macheath und Brown geradezu als das Werk von Stümpern erscheinen muß. Kurz: Wir wissen heute mehr und unsere aktuellen Assoziationen werden blockiert, wenn wir bärbeißig mit damaligem Wissen agitiert werden, statt uns über damaliges Verhalten amüsieren zu dürfen. Nicht Belebung aller Elemente des Theaters strebt Steinke an, sondern Pflege didaktischer Züge. Ergebnis: Trotz solider Ensemblearbeit will sich rechtes Amüsement im Zuschauerraum nicht herstellen. Beachtenswert die musikalischen Einstudierungen unter Tilo Degenkolb, die den bitterernsten Anspruch der Inszenierung ein wenig modifizieren. Im Übrigen gibt Renate Hundertmark eine aparte Polly, fast ein wenig zu fein und akkurat für die Peachum-Tochter. Wolf-Dietrich Köllner ist der edle Gauner Mackie Messer, geradlinig, ein Gentleman, den saturierten, in den Adelsstand erhobenen Bankier ein wenig vorwegnehmend. Günther Müller gibt den Tiger-Brown, Bruni Grabe Frau Peachum, Ursula Birr die Spelunken-Jenny und Raymond Felsberg den Münz-Matthias. Gespielt wird im milieugerechten Bühnenbild Jürgen Müllers.
Theater der Zeit, 6/1975
von Bertolt Brecht,
Theater Anklam,
Regie Lothar Toussaint
An die Grenzen der Möglichkeiten
Anklam geht mit der „Dreigroschenoper" an die Grenzen seiner Möglichkeiten, insonderheit was die Personnage betrifft. Die Leistung des einsatzfreudigen Ensembles nötigt zu Achtung und Respekt. Wenn die Inszenierung darüber hinaus Beachtung verdient, dann wegen Lothar Toussaints angemessenem Verhältnis zum Stück. Hier soll niemand belehrt werden über etwas, was er ohnehin schon weiß. Vergnügen ist gemeint und stellt sich her, nicht durchweg, aber auffallend. Das Ansiedeln des Konflikts in den zwanziger Jahren freilich ist kaum ein Gewinn. Brecht hatte die victorianische Zeit vorgegeben, und hierin sollten wir ihm folgen. Es besteht kein Grund, die Konkretheit des Geschehens zu verschleißen. Ein wenig wird das am Bühnenbild Udo Genschmers spürbar, der im Übrigen praktikable Spielräume erschließt. Der Vorzug: Toussaint orientiert auf die Auseinandersetzung zwischen dem Gauner alter Schule Peachum und dem potentiellen Bankier Macheath, womit das Streitobjekt, die Peachum-Tochter Polly, deutlicher ins Blickfeld rückt. Die Debütantin Marianne Rudat, grazil in den Songs, hatte etwas Mühe mit der derben Direktheit der ins Geschäft aufsteigenden Macheath-Gattin, obwohl der Punkt, da sie ihres Gatten Werk übernimmt, deutlich erzählt wird. Deutlich zeigt sie auch ihr Fertigsein mit dem Fall Macheath, wenn sie den eingelochten Gauner trauernd noch einmal besucht. Macheath ist in der Darstellung von Gerhard Fiebig in Gebaren und Diktion ein aufpolierter Provinzhai. Wenn er seine Platte zur Ordnung ruft, macht er das mit großer Anstrengung und Geste, statt souverän, knapp und ohne viel körperlichen Aufwand. Nun spielt Fiebig ohnehin zu energieaufwendig. Intensiver, gut gemeinter Einsatz steigert sich bei ihm zu schlimmem Outrieren. Zu oft starrt er blasiert in den Schnürboden, statt lebendige Aktion vom Partner abzunehmen. Gut, wie er die vitale Lucy (Karin Miguhl) handgreiflich zur Hilfe überredet, da stellt sich konkrete Beziehung ein, da ist ein hübscher gestischer Einfall im Spiel. Peter Panhans schiebt den Peachum anhaltend-gemessenen Schrittes durch den Laden, die Hände auf dem gut genährten Bäuchlein ruhen lassend. Ursula Hartung gibt eine gestisch skurrile Celia Peachum. Wolfgang Arndt stattet den Pastor Kimball mit stillem, freundlichem Humor aus, verstört das Weite suchend, als sich Macheath und Brown (Gerhard Schönerstedt) als intime Freunde entpuppen.
Die Songs (musikalische Einstudierung: Ingeborg Maier-Waelde) werden nicht herausgestellt, sondern ins Spiel integriert, damit das „Kriegsfüßige" von Lehrhaftem und Vergnüglichem mildernd. Wahrscheinlich ein Versuch, der hilft, das Stück aus überkommenem, einst richtigem, jetzt überholtem theatralischen Modell herauszulösen.
Theater der Zeit, 6/1975
„Herr Puntila und sein Knecht Matti“
von Bertolt Brecht,
Berliner Ensemble,
Regie Peter Kupke
Ungeteiltes Vergnügen
Ungeteiltes Vergnügen bei „Herr Puntila und sein Knecht Matti" im Berliner Ensemble. Peter Kupke folgte Brechts Hinweis, man müsse versuchen, den „Puntila" in „einem Stil aufzuführen, der Elemente der alten commedia dell'arte und Elemente des realistischen Sittenstückes enthält". Der Versuch gelang, dank vor allem der bravourösen Leistung von Ekkehard Schall als Puntila. Schall, zuweilen ein wenig verliebt in exaltierte Manierismen, spielt sich locker und frei, findet organische schauspielerische Lösungen. Möglicherweise gibt er den nüchternen Puntila um einige Grade zu tattrig, so daß die agile Vitalität des betrunkenen an Glaubwürdigkeit einbüßt.
Was mir wesentlicher scheint: Er versieht die Trunkenheitsszene mit quirliger Clownerie, kraftvoll und poetisch, und nimmt die Nüchternheitsszenen alltäglich und direkt, senil und prosaisch. Aus diesem Widerspruch baut er die Figur, dynamisch, artistisch perfekt. In der Kneipe kommt ihm die erste Anwandlung von Nüchternheit, wenn Matti seine Story über den Spuk auf Pappmanns Gutshof zum Besten gibt. Sekunden überlegt Puntila, die Hand zuckt ihm, doch schon gibt er sich wieder dem Suff hin. Hinreißend, wie er einem Zanni gleich seine Sentenzen und Lazzi herausschwadroniert, mit der nachtwandlerischen Sicherheit und trolligen Behendigkeit eines bis zum Eichstrich Besoffenen. Eine geradezu klassisch burleske „Kiste" dann, wenn er in der Sauna von Matti den Suff ausgeprügelt und -gewässert bekommt. Da prustet er menschenselig und -freundlich, wird er grimmig und griesgrämig, verläßt er die Sauna aufrecht-herrisch, was dem ernüchterten Puntila nicht leicht fällt, was er aber verbissen zur Schau stellt. Wenn er später von der Galerie herunter die Kurgela-Mädchen anfaucht, ist er ganz das vorzeitliche Tier, Gutsbesitzer genannt, die arge Landplage.
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