Susanne Becker
Das poetische Theater Frankreichs im Zeichen des Surrealismus
René de Obaldia, Romain Weingarten und Georges Schehadé
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
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ePub-ISBN 978-3-8233-0127-1
Für meine geliebten Eltern,
Steffi und Patrick.
« Il y a ce qu’on voit et il y a ce qu’on ne voit pas. Sans cela on ne pourrait pas jouer. Voilà. »
Die vorliegende Publikation beruht auf der gleichnamigen Dissertation, die ich im Jahr 2017 an der Universität Osnabrück im Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaft eingereicht und anschließend verteidigt habe. Für die Veröffentlichung wurden mehrere Kürzungen und Korrekturen vorgenommen.
Mein tief empfundener Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Wolfgang Asholt, für seine fachkundige und feinfühlige Betreuung und für die wichtigen inhaltlichen Wegweisungen bei diesem Vorhaben. Seine Geduld und sein Verständnis waren ermutigend. Auch menschlich war er mir ein großes Vorbild.
Herzlich danke ich Frau Prof. Dr. Andrea Grewe, die sich freundlicherweise als Zweitgutachterin zur Verfügung gestellt hat. Ihr, Frau Trudel Meisenburg, Frau Prof. Dr. Susanne Schlünder und Herrn Prof. Dr. Wolfgang Adam danke ich für ihre Beteiligung an der Prüfungskommission und ihre hilfreichen Anregungen und Vorschläge.
Für die finanzielle Unterstützung danke ich der Studienstiftung des deutschen Volkes, die es mir erlaubt hat, mich frei von beruflichen Verpflichtungen auf mein Promotionsvorhaben zu konzentrieren. Mein besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang auch meinem Vertrauensdozenten, Herrn Prof. Dr. Oliver Dörr, für seine sachkundige Unterstützung und Anteilnahme.
Danken möchte ich auch Frau Hanna Bäumker und Frau Kerstin Schneiker von der Universität Osnabrück für ihren Beistand bei organisatorischen und administrativen Fragen sowie den Mitarbeitern des IMEC in Caen, die mir den Zutritt zum „Fonds Romain Weingarten“ ermöglicht haben.
Die Gespräche mit René de Obaldia und Isabelle Weingarten haben meine Arbeit bereichert und werden mir für immer in wertvoller Erinnerung bleiben.
Meine tiefe Liebe und Dankbarkeit gelten meinen Eltern Cornelia und Joachim, meiner Schwester Steffi und Patrick, Eva und Uli, Gisi und Struppi, Almut und Thomas, Matthi und Resi, Christian, Franzi und Conni, Emilia und Julius, den Lulus, meinen geliebten Großeltern Trudel und Theo, Anne und Kurt sowie meinen guten Freunden, die mich unverbrüchlich begleitet haben. Danke für alles.
1 Einführung
1.1 Einleitung
„Le nouveau théâtre mérite attention puisque c’est celui qu’on jouera demain.“1 So äußerte sich der Schauspieler Henri Tisot, der in der Uraufführung von Romain Weingartens La Mandore mitspielte. Über vierzig Jahre später stellt sich die Frage, ob das nouveau théâtre tatsächlich zum Repertoire gehört. Ein regelmäßiger Blick in die Wochenzeitschrift L’officiel des spectacles , in der die aktuell in Paris und Umgebung laufenden Theaterstücke aufgelistet sind, belegt das Gegenteil. Es fällt auf, dass das nouveau théâtre , wenn überhaupt, fast ausschließlich in seiner absurden, nicht aber in seiner poetischen Ausprägung vertreten ist. Dies ist vor allem dem wohl bekanntesten Vertreter des absurden Theaters, Eugène Ionesco, zu verdanken. Mit den seit 1957 nicht abreißenden Aufführungen von La cantatrice chauve und La Leçon hat das Pariser „Théâtre de la Huchette“ Ionesco ein Denkmal gesetzt. Seit mehr als sechzig Jahren werden beide Stücke ununterbrochen in ihren Originalinszenierungen von 1950 bzw. 1951 gezeigt. Sie halten damit den Weltrekord der am längsten ohne Unterbrechung an einem Ort gespielten Stücke und haben über zwei Millionen Besucher angelockt, sodass es auf der Website des Theaters zu Recht heißt, das Spectacle Ionesco sei „[u]ne avant-garde devenue un classique“2. Doch auch abseits des ständig im Repertoire vorkommenden Ionescos ist das absurde Theater mit Stücken Arrabals, Becketts, Genets und Pinters immer wieder vertreten.
Einen anderen Eindruck gewinnt man dagegen vom poetischen Zweig des nouveau théâtre , von dem heute fast nur noch Tardieu und Obaldia übrig geblieben sind. Was sagt dies über das poetische Theater aus? Liegt der Grund für die Nichtbeachtung des poetischen Theaters bei den Autoren, deren Texte sich nur schwer auf die Bühne übersetzen lassen und besser gelesen als gespielt werden? Oder bei risikoscheuen Theaterschaffenden, die auf bewährte Erfolge setzen? Oder vielleicht doch beim Publikum, für das Poesie am Theater negativ konnotiert ist, wie eine britische Theaterkritikerin des Guardian 3 vermutet? Oder ist das poetische Theater ganz einfach aus der Mode geraten, weil es von anderen Theaterformen überholt wurde?
Die mangelnde Beachtung der Theaterpoeten durch die Institution Theater geht Hand in Hand mit einer Vernachlässigung dieser Episode des Theaters durch die Forschung. Während das absurde Theater der 1950er und 1960er Jahre in Öffentlichkeit und Forschung sowohl in Frankreich als auch in Deutschland breit rezipiert wurde, bleibt das zeitgleich stattfindende poetische Theater noch weitgehend unbeachtet – generell, aber auch und vor allem in seinem Bezug zur Avantgarde.
Die vorliegende Arbeit möchte zu einer größeren Ausgewogenheit der Forschung über das französische nouveau théâtre in Form einer Valorisierung des poetischen Theaters beitragen. Am Beispiel von René de Obaldia, Romain Weingarten und Georges Schehadé soll die Originalität des poetischen Theaters demonstriert werden, das bisher in seiner ästhetischen Eigenexistenz von der Forschung unterschätzt worden ist. Das poetische Theater soll als theaterhistorische Epoche definiert und analysiert werden.
Der gemeinsame Nenner der Theaterpoeten ist die Verwandtschaft mit dem surrealistischen Theater. Zahlreiche Elemente der surrealistischen Theaterästhetik finden sich später bei den Theaterpoeten wieder. Die Theaterpoeten nehmen – bewusst oder unbewusst – die zwei Filiationen (die literarische und die dramatische) des surrealistischen Theaters auf. Diese Arbeit soll die Verbindungslinien zwischen beiden Theaterepochen aufzeigen.
Die Verwandtschaft mit dem Surrealismus rückt das poetische Theater in eine avantgardistische Tradition. Die Avantgardeforschung hat viele verschiedene Erklärungsansätze hervorgebracht, um das Phänomen „Avantgarde“ zu erhellen. Dabei hat sie das Theater ausgespart, was angesichts des theatralischen Charakters der Avantgarde überraschen mag. Für die unterschiedlichen Epochen des Avantgardetheaters sollen Denkfiguren vorgeschlagen werden, außerdem soll das poetische Theater im Kontext des Avantgardetheaters verortet werden.
1.3 Aufbau der Arbeit und methodische Überlegungen
Die Arbeit ist in drei große Abschnitte untergliedert, die sich mit 1. der Avantgarde, ihrer Theorie und ihrem Theater, 2. dem Surrealismus und seinem Theater und 3. dem poetischen Theater befassen. Diese drei Themenkomplexe sind wie folgt miteinander verbunden.
Im folgenden Kapitel wird die Avantgardetheorie beleuchtet. Sie liefert ein wichtiges Bezugssystem, um die Avantgarde mit ihren künstlerischen Hervorbringungen – darunter auch das Theater – zu begreifen. Außerdem erlaubt sie es, die Aktualität und Relevanz der Avantgarde für das 20. und 21. Jahrhundert zu bestimmen, besonders auch im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Kunst und Gesellschaft. Die wichtigsten Denkfiguren der Avantgarde sollen veranschaulicht werden. Es wird sich zeigen, dass die Merkmale, Widersprüche und Aporien der Avantgarde bereits im Kleinen, nämlich im Theater, vorhanden sind, da hier die „Beziehung Kunst-Leben schon institutionell in besonderer Weise präsent ist“1.
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