Der Angesprochene schüttelte den Kopf. „Auch wenn uns die Psyche der Norsun größtenteils noch ein Rätsel ist, so haben wir in Sker-Lotar und Surus-Galmon doch zwei ihrer Vertreter etwas näher kennengelernt und es lassen sich natürlich auch Rückschlüsse durch unsere sonstigen Begegnungen mit diesem faszinierenden Volk schließen. Natürlich muss ich darauf hinweisen, dass ich größtenteils auf Theorien angewiesen bin, doch ich teile Ihre Einschätzung von Gordon-Gor. Während sich die Norsun im Allgemeinen dem Interesse und Willen der allseits verehrten großen Mutter und auch der kleinen Mütter unterordnen, scheint mir Gordon-Gor ein Sonderfall zu sein. Er macht auf mich den Eindruck, als sei er nicht bereit, uns Menschen als gleichwertige Partner zu akzeptieren. Er ist ehrgeizig und zugleich klug und verschlagen, wenn ich es einmal so schlicht formulieren darf. In der Schlacht um Tensa hat sich gezeigt, dass er bedenkenlos bereit ist, Menschen zu opfern, wenn dies zu seinem Vorteil ist. Er wird keine Priorität auf die Rettung unserer Delegation legen. Im Gegenteil, sein ganzes Streben dürfte darauf ausgerichtet sein, die beiden kleinen Mütter zu retten und sich so zu rehabilitieren.“
Uddington runzelte überrascht die Stirn. „Sich zu rehabilitieren? Wie kommen Sie darauf, Doktor?“
„Zwei Gründe, Admiral. Er hat Surus-Galmon die verlorene und sehr verlustreiche Schlacht im Rylon-System angelastet und bei Tensa die gleichen Fehler wie das alte Höchst-Wort begangen. Er weiß sehr genau, dass der Sieg gegen die Raumwerft der Negaruyen im Grunde der Sky-Navy zu verdanken ist, zumal seine Flotte unverhältnismäßige Verluste erlitt. Eine Angelegenheit, der sich die große Mutter sicherlich bewusst ist. Jetzt hat Gordon-Gor eine kleine Mutter verloren. Gleichgültig, ob er daran Schuld trägt oder auch nicht, in den Augen der Norsun hat er damit versagt und diese Scharte kann er nur auswetzen, wenn es ihm gelingt, die beiden anderen kleinen Mütter aus den Händen der Norsun zu retten. Entsprechend rücksichtslos wird er bei der Suche vorgehen. Das ist zumindest meine Einschätzung.“
„Ich kann nicht behaupten, dass mich Ihre Zustimmung meiner eigenen Einschätzung beruhigt“, meinte Uddington seufzend. „Also werden wir uns auf ein paar Gemeinheiten von Gordon-Gor einstellen müssen. Major Schwertfeger, was haben Sie herausgefunden?“
„Wir haben ein paar Datenspeicher aus Station 47 ausgewertet. Unglücklicherweise sind die Informationen lückenhaft, aber es steht wohl fest, dass es den Negaruyen gelungen ist, einen oder auch mehrere ihrer genetisch Veränderten in die Station zu schleusen. Es ist kaum anzunehmen, dass diese sich bereits zufällig auf der abgelegenen Station aufgehalten haben. Unsere Streitkräfte werden inzwischen einem Tiefen-Scan unterzogen, bei dem diese Infiltratoren entlarvt werden. Aller Wahrscheinlichkeit nach kamen der oder die Veränderten daher mit einer kommerziellen Wartungsgruppe auf die Station, die von der Lambert Corporation geschickt wurde. Die Dienststelle auf dem Mars stellt inzwischen entsprechende Nachforschungen an. Es steht außerdem fest, dass es den Negaruyen gelang, sich in den Besitz des Freihändlerschiffes Juliette Beecher zu bringen, einem Frachter der Silkroad-Baureihe.“
Sub-Admiral Chukov stieß ein überraschtes Ächzen aus. „Silkroad? Grundgütiger, von denen fliegt noch einer?“
Schwertfeger lächelte. „Sogar zwei, Admiral.“
„Das sind doch die reinsten Museumsstücke“, meinte nun Professor Tamilak geringschätzig. „Warum haben die Negaruyen kein moderneres Schiff gekapert?“
„Wir sollten froh sein, dass es die Beecher ist und nicht ein modernes Schiff“, hielt die Nachrichtenoffizierin dagegen. „Die Daten der Silkroad-Reihe sind uns nämlich bestens bekannt und so können wir die Leistungen der Beecher ziemlich genau einschätzen. Das kann uns bei der Suche entscheidend helfen.“
„Womit wir beim vordringlichsten Thema sind“, wandte Uddington ein. „Wie finden wir das verdammte Schiff?“
Chukov meldete sich zu Wort. „Bevor wir das angehen, will ich einen wichtigen Punkt ansprechen. Wir wissen, dass die Negaruyen seit fast tausend Jahren mit den Norsun im Krieg liegen. Sie sind den Insektoiden, von der Technik natürlich abgesehen, in allen Bereichen weit unterlegen, haben sich aber erstaunlicherweise gehalten und konnten einer Entdeckung ihrer verborgenen Welt bislang entgehen.“
„Das ist allgemein bekannt“, knurrte Uddington. „Worauf willst du hinaus, Pjotr?“
„Darauf, dass die Beecher höchstwahrscheinlich nicht direkt zur Heimatwelt der Negaruyen geflogen ist. Das würde der üblichen und praktisch angeborenen Vorsicht dieses Volkes widersprechen. Das Schiff dürfte einen geheimen Punkt im All angeflogen haben, von dem aus es dann den Kurs ändert oder wo es sich mit einem Unterstützungsgeschwader getroffen hat. Ich vermute Letzteres und dass man die Gefangenen inzwischen auf ein modernes Schlachtschiff transferierte. Das ist auf jeden Fall sicherer, als der Verbleib auf einem so alten Kasten wie der Beecher .“
„Je mehr Zwischenstationen das Schiff einlegt, desto mehr Zeit bleibt uns, um es aufzustöbern.“ Uddington nippte an seinem Earl Grey. Es war leider nicht der Originaltee, aber in einer der neuen Kolonien wurde eine recht passable Sorte gezogen, von der sich der Admiral regelmäßig beliefern ließ.
„Und desto schwieriger wird die Suche zugleich“, gab Koordinatorin Tamilak zu bedenken. „Unsere einzige Trumpfkarte, wenn man es so nennen will, ist die Tatsache, dass wir über zwei funktionierende Prototypen der Nullzeit-Scanner mit einer Reichweite von dreihundert Lichtjahren verfügen.“
Die neuen Scanner waren ihr einziger Hoffnungsschimmer, die Juliette Beecher noch rechtzeitig zu entdecken. Die Radar- und Scanner-Technologie von Menschen, Norsun und Negaruyen ähnelte sich ebenso stark wie die Technik ihrer Antriebe. Alle Scanner arbeiteten mit Taststrahlen, die ungefähr die zwanzigfache Lichtgeschwindigkeit erreichten, was auch der Leistung der Cherkov-Überlichtantriebe entsprach. Die Energie der Taststrahlen wurde allmählich schwächer und die maximale Reichweite betrug zwischen dreißig und, bei den stärksten Geräten, einhundert Lichtjahren. Das schränkte die Möglichkeiten der Scanner ein, ein Raumschiff zu erfassen. Entfernte es sich mit Maximalgeschwindigkeit, so konnte es sein, dass ein Scanner es nicht mehr erreichte, flog es auf diesen zu, dass es gleichzeitig mit dem Echo des Taststrahls eintraf. Zudem bestand das Problem, dass Radar und Scanner nicht durch feste Objekte hindurch arbeiteten und sich ein Raumschiff im Ortungsschatten einer Sonne, eines Planeten, Mondes oder Asteroiden verbergen konnte. Je weiter entfernt es war, desto wahrscheinlicher wurde dies, aufgrund der wachsenden Zahl an Objekten.
Diese Einschränkung galt auch für den neuen Nullzeit-Scanner, der auf Hiromata-Basis arbeitete. Seine Taststrahlen verloren ebenfalls an Energie, reichten jedoch bei den kleinen Geräten immerhin fünfzig und bei den größten dreihundert Lichtjahre in den Raum. Ihr enormer Vorteil war, dass sie dank der Eigenschaften des Hiromata-Kristalls ohne Zeitverlust arbeiteten. Zwischen Aussenden und Empfang des eventuell von einem Objekt reflektierten Taststrahls verging keinerlei messbare Zeit. Damit boten die neuen Scanner der Sky-Navy einen ungeheuren Vorteil gegenüber den anderen Völkern, denn sie verhalfen ihr zu einer Echtzeitbeobachtung mit nicht zu unterschätzender Vorwarnzeit.
Uddington nickte und nippte erneut an seinem Tee. „Allerdings hat Gordon-Gor nun ebenfalls einen unserer neuen Scanner.“
Die Koordinatorin zuckte mit den Schultern. „Ich sehe das nicht dramatisch, Admiral. Der Norsun wird in seinem Flaggschiff nur den Fünfzig-Lichtjahr-Scanner verfügbar haben, denn wir wissen, dass die große Mutter ihre Heimatwelt mit dem stärkeren Gerät schützen will. Wir haben hingegen zwei der Dreihundert-Lichtjahr-Scanner und damit zwei Schiffe, die uns einen enormen Vorteil geben.“
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