1 ...6 7 8 10 11 12 ...22 Der Donnergott verschränkte die Arme vor dem grauen Wollpullover und stellte fest: „Du warst wohl noch nie auf unserem Opferplatz in Asgard.“
„Den wird sie auch nie zu Gesicht bekommen! Er wäre leergefegt, wenn sie den entdecken würde“, kommentierte Wal-Freya trocken.
Juli lachte. „Hat man euch die Klamotten ebenfalls geopfert?“ Amüsiert musterte sie die Walküre von den Füßen aufwärts und unterstrich ihre Geste mit einem Fingerzeig.
„Das dient der Tarnung, Dummerchen“, erwiderte Wal-Freya mit einem liebevollen Zwinkern.
„Juli scherzt nur“, stellte Thor klar.
Wal-Freya rollte die Augen. „Ich weiß!“ Sie warf die dunklen Haare zurück und posierte vor Thea. Eine fest anliegende schwarze Hose mit hohen Stiefeln betonten ihre Figur, der enge Pullover und die Lederjacke ebenso. „Sieht gut aus, oder?“
„Atemberaubend“, sagte Theas Vater mit großen Augen und erntete dafür einen harten Knuff von seiner Frau. „Benimm dich, Thorsten!“
Wal-Freya schmunzelte. Sie legte ihren Arm um Thea und schob sie in Richtung Küche. „Du hast doch ganz sicher eine Tasse Kaffee für mich.“
„Wie kannst du jetzt an Kaffee denken?“, beschwerte sich Juli. „Europa bricht gerade auseinander!“
Tadelnd sah Wal-Freya über die Schulter. „Das wird es nicht in den nächsten zehn Minuten tun. Die Dinge müssen in Ruhe besprochen werden.“
„Aber!“, protestierte Juli.
Der Blick der Walküre blieb auf dem angebissenen Pfannkuchen in Julis Hand hängen. Entwaffnet zog Juli den Mund schief und folgte der Göttin.
Thea holte eine Tasse aus dem Schränkchen, ließ den Kaffee aus und stellte ihn vor der Walküre auf den Tisch. Mit einem wohligen Seufzen nahm Wal-Freya Platz, umfasste das Gefäß und streckte die Nase in den aufsteigenden Dampf.
„Willst du auch einen?“, fragte Thea den Donnergott, der hinter Juli, Mats und ihren Eltern in den Raum trat. Er winkte dankend ab, änderte seine Meinung allerdings, als ihm Theas Vater ein Bier anbot. Angelehnt an der Wand wartete der Donnergott ab, bis sich alle um den Tisch versammelten und stieß dann mit Theas Vater an, der ebenfalls stehen blieb.
Da sie sich nicht traute, es vor den anderen anzusprechen, schickte Thea Wal-Freya einen Gedanken. „Ich hatte gehofft, dass du Tom mitbringst.“
Wal-Freya machte ein Gesicht, als habe sie auf die Frage gewartet. „Midgard ist für die Lebenden“ , erinnerte sie Thea ebenfalls im Gedanken.
Ehe Thea sich dazu äußern konnte, holte Juli Luft und polterte: „Also! Wie sieht der Plan aus? Wir fahren nach Italien und schnappen uns Loki?“
Tadelnd blickte Wal-Freya von ihrem Kaffee auf. „Zeig uns erst einmal die Aufnahme. Geht das?“
„Im Fernsehen läuft sie rauf und runter“, sagte Juli.
Theas Vater stupste seinen Sohn an. „Hol das Tablet, Mats.“
Der Junge sprang auf, eilte davon und kam Augenblicke später zurück. Alle legten die Ellenbogen auf den Tisch und lehnten sich über das Display. Thea hatte das Gefühl die Worte des Präsidenten mitsprechen zu können, so oft hatte sie diese bereits gehört. Irgendwann deutete Juli auf die Frau ihm Hintergrund. Als die Rede beendet war, warfen sich Thor und Wal-Freya vielsagende Blicke zu.
„Ist er es?“, fragte Theas Mutter.
„Es sieht ganz danach aus“, raunte Wal-Freya.
„Natürlich hat es ihn ausgerechnet in dieses Land verschlagen“, knurrte Thor.
Juli starrte die Walküre an. „Was nun?“
Nachdenklich faltete Wal-Freya die Hände vor ihrem Gesicht und legte das Kinn auf die Fingerspitzen. Ihr Blick wanderte zu allen Anwesenden, ehe er bei Thor verweilte. „Nach Italien?“, fragte sie.
Der Donnergott leerte die Flasche und stellte sie auf dem Küchentisch ab. Halb bestätigend, halb ratlos hob er die Schulter. „Er hat direkt in die Kamera geschaut. Es wirkte wie ein finsterer Gruß an uns. Wahrscheinlich ist er längst verschwunden.“
Juli suchte den Blickkontakt zur Walküre. „In Italien gibt es großartigen Kaffee.“
„Ach ja, ist das so?“, erwiderte Wal-Freya mit lachenden Augen.
Thea schüttelte den Kopf. „Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als ihn zu fassen. Aber Thor hat Recht! Das führt zu nichts. Loki wird dort nicht mehr sein.“
Juli holte Luft. Bevor sie etwas erwidern konnte, hob Wal-Freya mahnend den Finger in Theas Richtung. „Sei sparsam damit, Thor Recht zu geben. Er wird sonst unerträglich.“
Grinsend verschränkte der Donnergott die Arme und nickte Thea zu.
Juli hob die Hände. „Aber was können wir stattdessen unternehmen? Wir dürfen nicht tatenlos rumsitzen und Kaffee trinken.“
„Das werden wir nicht“, versprach Thor.
Die Walküre schob Thea die Tasse zu und diese ließ einen weiteren Kaffee aus der Maschine, während Juli fragte: „Was hat Loki noch alles in der Zukunft angestellt? Er sammelte doch eine Anhängerschaft. Wie hieß sie gleich? Um das zu tun, muss er sich offen zeigen.“
Vorsichtig stellte Thea den Becher vor Wal-Freya ab. „Das geschah erst in der Zeit nach dem großen Krieg. Gerade ist Midgard ein friedlicher Ort“, antwortete sie.
„Nicht wirklich“, brummte Thor.
Juli ballte die Fäuste. „Und wo sollen wir Loki deiner Meinung nach stattdessen suchen?“
Ratlos hob Thea die Schultern. „Keine Ahnung.“
Alle zuckten zusammen, weil Thor verärgert gegen den Küchenschrank hieb. „Es ist seit Jahrhunderten das Gleiche! Dieser Hund ist nicht zu schnappen!“
„Glitschig wie ein Lachs“, stimmte Wal-Freya zu. „Immer wenn man das Gefühl hat, ihn gepackt zu haben, rutscht er einem aus den Händen.“
„Das hilft uns auch nicht weiter“, knurrte Juli.
„Ihr solltet gehen“, mischte sich Theas Vater unerwartet ein.
„Was? Wie jetzt?“, staunte Juli.
„Macht etwas, mit dem Loki nicht rechnet. Wenn er so ein schlauer Fuchs ist, wie alle behaupten, wird er eure Überlegungen voraussehen. Handelt anders! Reist nach Italien!“
Thea runzelte die Stirn. „Du glaubst, er ist noch da?“
Der Vater hob die Schultern. „Wo sollte er sonst hin?“
„Weit weg von dem Ort, an dem wir ihn finden können“, brummte Thor.
„Seine Getreuen sammeln“, beharrte Juli.
Thea schüttelte den Kopf. „Das geschieht erst später.“
Entnervt hob ihre Freundin die Arme. „So genau kannst du das doch gar nicht wissen.“
Thor setzte einen Schritt an den Tisch vor und stützte sich auf seine geballten Fäuste. „Es ist unsere einzige Spur. Ich stimme Thorsten zu, wir sollten aufbrechen.“
Seufzend bewegte Wal-Freya den Kaffeebecher in der Hand und betrachtete seinen Inhalt, ehe sie den letzten Schluck nahm und sich erhob. „Dann los. Packt eure Sachen zusammen.“
„Ihr wollt mit euren Wagen nach Italien reisen?“, staunte Juli.
„Was sonst?“, erwiderte Thor.
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