1 ...7 8 9 11 12 13 ...22 „Na, vielleicht nehmen wir besser ein Auto oder einen Zug. Auf den Wagen erregen wir doch nur Lokis Aufmerksamkeit“, protestierte Juli.
Thea lächelte. „Darf ich dich daran erinnern, dass die Grenzen geschlossen sind? Das wird eine kurze Zugfahrt.“
„Darf ich dich im Gegenzug daran erinnern, dass wir es nie geschafft haben, irgendwo verborgen oder unbemerkt aufzukreuzen?“, versetzte Juli und deutete dabei mit vorwurfsvoller Miene auf Thor und Wal-Freya.
Die Walküre hob den Finger. „Lass mich aus dem Spiel. Ich kann durchaus unauffällig reisen.“
Alle Blicke richteten sich auf den Donnergott. Dieser prustete abwehrend.
„Juli hat Recht! Wir nehmen die Pferde“, entschied Wal-Freya.
„Ich setze mich auf keinen Gaul!“, wehrte Thor sofort ab.
„Du bleibst also wieder zurück?“, erwiderte die Walküre scharfzüngig.
Der Donnergott schnaubte abfällig. „Niemals! Ihr braucht mich!“
Wal-Freya stand auf und gab Thor einen Knuff. „Dann komm! Wenn Juli nicht aus dem Sattel gefallen ist, schaffst du das auch.“
Zum ersten Mal schaltete sich Theas Mutter in das Gespräch ein. „Muss sie denn dabei sein?“, fragte sie und blickte zu ihrer Tochter.
„Um den Weltenbrand zu verhindern, ist es erforderlich, dass wir Kyndill zurückbekommen. Das hat oberste Priorität. Sollten wir Loki zu fassen bekommen, wird Thea Kyndill an sich nehmen. Sie ist neben Loki die einzige Person, die das Schwert gefahrlos berühren kann“, erinnerte Wal-Freya.
„Aber was, wenn es Krieg gibt? Die Zeiten waren nie unsicherer.“
Ein mitfühlendes Lächeln glitt über Theas Lippen. Sie ergriff die Hand ihrer Mutter und drückte diese liebevoll. In den letzten Monaten hatten sie ausführlich über die Dinge gesprochen, die Thea widerfahren waren. Dabei hatte Thea die Geschehnisse ihrer vergangenen Leben nicht ausgespart.
„Sie waren es“, sagte Thea bedeutungsvoll und ihre Mutter nickte verstehend.
„Ich werde mich nie daran gewöhnen, dass ich eine Tochter habe, die so viel älter ist als ich“, seufzte sie.
Wal-Freya legte den Kopf schief. „Es ist ungewöhnlich, aber nicht undenkbar.“ Sie schob Thor nach draußen und wandte sich noch einmal zu Thea und Juli um. „Packt eure Sachen, wir sind vor Sonnenuntergang zurück.“ Mit diesen Worten schloss sie die Tür.
Mit stoischer Gründlichkeit ordnete Thea die Gegenstände der Unterbettkommode auf der Tagesdecke. Viele Schätze aus Asgard waren ihr nicht geblieben. Kyndill war verloren, ihre Kleidung durch das herauflodernde Feuer des Weltenbrandes versengt worden. Sie hatte diese bereits in Sessrumnir gegen ein Kleid mit dazugehörigem Unterkleid gewechselt, welches nun ebenfalls auf dem Bett lag. Mit schwerem Herzen dachte Thea an das Wams zurück, dass sie zuvor besessen hatte. Das eingestickte Walkürensymbol auf der Vorderseite hatte ihr stets das Gefühl gegeben, ein Teil von etwas Großem zu sein. Durch die Begegnung in der Zukunft mit den beiden Walküren, die Anspruch auf Tom erhoben hatten, war ihr Vertrauen in die Schildjungfern allerdings tief erschüttert worden. Auch wenn sie sich unsicher war, ob sie das Wams noch mit der gleichen Freude tragen würde, bedauerte sie seinen Verlust. Für ihre Reise in Midgard wäre es aber ohnehin unbrauchbar. Ihr Augenmerk lag auf den Beutelchen mit Sand und Pulvern, die ihr Wal-Freya vor ihrer Heimkehr mitgegeben hatte und die am Gürtel der Schwertscheide baumelten. Seufzend löste Thea die leere Hülle von der Halterung. Zu Beginn hatte sie Kyndill als Bürde angesehen, nun vermisste sie das Flammenschwert unsagbar. Abschätzend wog sie die Hülle in den Händen und schob sie dann in den Tornister, den ihr Sigrún einst überlassen hatte, um Kyndill in Midgard unbemerkt mit sich führen zu können. Mit entschlossenem Blick und festen Gedanken legte sie ihn zu den Säckchen. Sie würde Kyndill zurückerlangen! Selbst Loki würde es nicht verhindern. Sie würde dafür sorgen, dass er scheiterte und seine Strafe erhielt. Nichts von alldem, was sie in der Zukunft gesehen hatte, durfte eintreten. Sie würde alles dafür tun, um es abzuwenden – für sich und die Menschen, die sie liebte, ihre Familie im Diesseits und für die im Jenseits. Als sie das Kettenhemd in den Fingern spürte, zog sie es kurzerhand unter den Pullover und strich sich zufrieden über den Stoff. Niemand würde das Rüstzeug bemerken.
„Ich bin auf dem Weg, meine Heldin.“
Djarfurs Stimme drang in Theas Geist. Auch Wal-Freya schickte ihr einen Gedanken. Die Fylgja schien die nahende Anwesenheit der Götter zu spüren, denn sie begann leise zu schnurren, obwohl sie teilnahmslos in der Ecke lag und die Augen geschlossen hielt. Thea schnallte den Gürtel um die Hüften und räumte die restlichen Utensilien in die Unterbettkommode zurück. Als sie sich den Tornister über die Schulter warf, hob die Fylgja ein Augenlid. Langsam stand sie auf. Dabei streckte sie erst die rechte, dann die linke Hinterpfote. Thea öffnete die Tür und wartete, bis der Folgegeist hindurchgeschlüpft war, obwohl sie genau wusste, dass Mauern und Türen kein Hindernis für ihn darstellten. Ihre Eltern saßen im Wohnzimmer, die Hände ineinander gelegt. Als Thea den Raum betrat, lösten sie sich voneinander und erhoben sich gleichzeitig.
„Ihr sorgt euch“, stellte Thea fest.
„Eltern hören nie auf, sich Sorgen um ihre Kinder zu machen“, erwiderte Frau Helmken mit einem Lächeln.
Der Vater nickte. „Vor allem nicht, wenn sie auf die Jagd nach einem Feuergott gehen.“
Thea lächelte. Sie hatte ein ganzes Leben als Familienvater gelebt und wusste die Gefühle ihrer Eltern besser zu verstehen, als es eine junge Frau ihres Alters wohl vermochte. „Keine Sorge. Ich bin in guter Begleitung“, sagte sie und versuchte Zuversicht zu zeigen.
Beide nickten, aber Thea wusste, dass es ihnen keinen Trost bot. Still saßen sie beisammen, bis ein Wiehern ihre Aufmerksamkeit in den Garten lenkte.
„ Ich bin da, meine Heldin“ , verkündete Djarfur und setzte auf der Terrasse auf.
Thea sprang von ihrem Platz und lief hinaus. Jetzt, da sie ihren tierischen Begleiter sah, begriff sie erst, wie sehr sie ihn vermisst hatte. Auch in der anbrechenden Abenddämmerung schimmerte sein dunkles Fell mit jeder Bewegung in einem leichten silbernen Glanz, gerade so, als habe man den nächtlichen Sternenhimmel darin eingefangen. „Djarfur“, begrüßte sie ihn und drückte ihre Stirn an seine.
„Ich freue mich, dich zu sehen“ , sagte das Pferd und stieß sie leicht mit der Schnauze an.
„Es ist lange her“, bestätigte Thea.
Mats stellte sich neben seine Schwester und streckte die Hand nach dem Tier aus. „Hallo!“, begrüßte er es.
Djarfur senkte den Kopf und ließ sich über die Nüstern streicheln. Mats sah zu Thea und lächelte fröhlich.
„Er mag dich“, sagte sie.
Augenblicke später erschien Wal-Freya mit Vala. Auf ihrem Pferd sitzend wirkte die moderne Kleidung der Walküre noch ungewöhnlicher. In ihrer Begleitung befand sich Fifil, der, ebenso wie Vala, wieherte und zur Begrüßung mehrmals nickte.
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