1 ...8 9 10 12 13 14 ...22 Wal-Freya sprang aus dem Sattel, im gleichen Moment ritt Thor heran. Mit ausgestreckten Beinen landete er neben der Wanin. Ungelenk stieg er von dem Pferd ab, ehe er dem Tier mit einem dankbaren Brummeln über den Nacken strich. „Du kannst nichts dafür“, murrte er und richtete Jacke und Pullover, ehe er die Anwesenden begrüßte.
„Ist Juli zurück?“, fragte Wal-Freya.
„Noch nicht“, antwortete Thea.
Die oberste der Walküren murrte: „Ich habe ihr gesagt, sie soll sich beeilen.“
„Sie ist sicher gleich da“, erwiderte Thea.
Ihr Vater runzelte die Stirn. „Wollt ihr sofort aufbrechen?“
Thor nickte. „Natürlich. Wenn wir Loki erwischen wollen, dürfen wir uns nicht zu viel Zeit lassen.“
„Ich verstehe.“
Sie verweilten im Garten, bis das Klingeln der Haustüre ertönte. „Ich gehe!“, sagte Thea und eilte davon. Ihre Freundin begrüßte sie mit einem Grinsen. Sie schulterte einen Rucksack auf der linken Seite und umklammerte den Riemen mit beiden Händen. Die Fylgja umkreiste Juli einmal und strich um ihre Beine.
Thea, die vermutete, dass Juli kein leichtes Gepäck mit sich brachte, fragte misstrauisch: „Was hast du wieder alles eingesteckt?“
„Nur Kleinigkeiten!“, beteuerte Juli.
„Kleinigkeiten!“, wiederholte Thea vorwurfsvoll, als ihre Freundin an ihr vorbeimarschierte und sie einen genaueren Blick auf den vollgepackten Wanderrucksack werfen konnte.
„Kleinigkeiten“, bestätigte Juli mit einem Grinsen und trat auf die Terrasse.
Auch Wal-Freya schien einen Verdacht zu hegen, denn nachdem sie Juli erblickte, verschränkte sie die Arme und sah sie streng an. „Was hast du wieder alles eingesteckt?“, wiederholte sie Theas Worte.
„Ihr zwei versteht euch wirklich hervorragend“, konterte Juli. „Es sind Kleinigkeiten , das habe ich Thea auch schon gesagt.“ Sie schob sich an Theas Eltern vorbei, begrüßte Fifil und schlüpfte nun in beide Rucksackschlaufen. Sie strich ihm sanft über die Stirn und schwang sich in den Sattel. „Also, ich wäre soweit“, verkündete sie mit einem Grinsen.
„Dann los!“, seufzte Wal-Freya. Sie strich Vala sanft über den Hals und sprang auf. Das Pferd wandte sich um und lief los. Begleitet von Mats‘ staunendem Ausruf folgte Juli der Walküre nach.
„Tschüs Thorsten, Ilona und Mats!“, rief Juli schon weit entfernt.
Thor stieg umständlich auf den Rücken seines Pferdes. „Entschuldige, das ist einfach nichts für mich“, sprach er zu dem Tier, das verständnisvoll wieherte und sich Juli und Wal-Freya anschloss, kaum dass der Donnergott saß.
„Ich bin bald zurück!“, versprach Thea ihren Eltern. Sie betrachtete ihre Familie mit schwerem Herzen. Sie hasste es, sie schon wieder zu verlassen. Ohne Umschweife forderte sie Djarfur auf: „Du kannst los, mein Freund! Es ist besser, wenn wir den Abschied kurz machen.“
„Für dich oder deine Familie?“ , erwiderte das Pferd spitzfindig und lief los.
„Sei vorsichtig! Pass auf dich auf!“, rief ihre Mutter ihr nach.
„Das werde ich!“, versprach Thea. Sie winkte zum Abschied, bis sie ihr Elternhaus aus den Augen verlor. Ihre Fylgja begleitete sie mit kurzen, schnellen Schritten.
Die Welt unter Thea raste dahin und mit ihr die vielen Lichter, mit denen die Menschen des Nachts ihre Städte erhellten. Thea begriff, weshalb Wal-Freya für ihre Reise die Dunkelheit abgewartet hatte. Während sie den Folgegeist beobachtete, der fröhlich neben ihr durch die Luft sprang, fragte sie sich, wie die Menschen wohl auf den seltsamen Anblick reagieren würden, wenn sie die Pferde und ihre Reiter am Himmel erblickten. Etliche Youtubevideos über das Phänomen wären sofort online gestellt und würden den Freunden mehr Aufmerksamkeit bescheren, als ihnen lieb wäre. Aus diesem Grund erlaubte sich die Gruppe keine Pause. Zielsicher führte Wal-Freya alle voran, während Thor tapfer, aber steif wie eine Eiche neben ihr ritt. Thea und Juli warfen sich von Zeit zu Zeit amüsierte Blicke zu, denn das Bild, das der sonst so heroische Donnergott abgab, war zu komisch. Er wusste darum, hob hier und da entschuldigend die Schultern und grinste.
Wenige Stunden nach ihrem Aufbruch erhob sich eine Bergkette aus hohen, schroffen Felsen am Horizont. Sie wuchs rasch heran und breitete sich in einem gewaltigen Teppich über das Land aus. Mehrere Stunden ritten sie an den stummen Giganten vorüber, deren schneeverwehte Spitzen sich im Licht des Sichelmondes hell abzeichneten. Thea war beeindruckt von den majestätischen Erhebungen, in die sich Täler wie dunkle Adern ins Land gruben. Hier und da bildeten Lichtpunkte Städte und Dörfer ab. Thea beobachtete die Landschaft, bis ihr die Augen schwer wurden. Als sich die Berge abflachten und eine Großstadt vor ihnen heranwuchs, gab sie sich ihrer Erschöpfung hin, lehnte den Kopf an Djarfurs Hals und schlummerte ein. Wal-Freya holte sie schließlich aus einem traumlosen Schlaf zurück.
„Wir sind da“ , tönte es sanft in Theas Geist. Obwohl sie die Stimme deutlich hörte, schien sie von weither zu kommen. Nur langsam erwachte Thea aus dem Dämmerzustand. „Wir sind schon da?“, murmelte sie.
Djarfur wieherte leise. „Ja, aufwachen, du Schlafmütze.“
„Verzeih! Es war ein langer Tag“, antwortete Thea.
Das Pferd kicherte. „Allerdings!“
Thea richtete sich auf und fuhr Djarfur über den Hals. „Ein Glück bist du kein Allerweltspferd“, erwiderte sie und erreichte damit die gewünschte Reaktion, denn das Tier kicherte erneut und nickte mehrmals.
„Endlich hast du es verstanden.“
Fifil ritt nahe an Djarfur heran. Juli grinste. „Ist das nicht wunderbar? Wir sind noch immer unversehrt! Ein Glück haben wir diesmal alles richtig gemacht. Ich hatte schon Angst, dass wir von Abfangjägern beschossen werden.“
Die Fylgja hob die Ohren und gab einen verdutzten Laut von sich.
Verschnupft schnaubte Wal-Freya: „Das Vertrauen in deine Götter wird dir eines Tages gewiss vergolten werden.“
Juli lachte. „Was heißt Vertrauen? Ich spreche aus Erfahrung.“
Thea kicherte gleichzeitig mit Djarfur und Juli fiel mit ein. Wenn der Scherz Wal-Freya ebenfalls erheiterte, dann verstand sie es hervorragend, es zu verbergen. Thea drehte sich um und sah zu Thor. Der Donnergott hockte noch genauso steif auf seinem Reittier, wie zu Beginn der Reise, die Beine weit ausgestreckt. Als ihre Blicke sich trafen, zog er mürrisch die Augenbrauen zusammen. „Ich kann dieser Reiseart nichts abgewinnen.“
„Mich wundert es nur, dass es dein Pferd so lange mit dir aushält“, erwiderte Juli übermütig, doch sie schaffte es, Thor ein Lächeln abzuringen. Selbst Wal-Freya schmunzelte.
„Gulltop ist ein sehr geduldiges Tier“, sagte die Walküre.
Thor nickte. „Und überaus stark.“
„Das ist er wohl, wenn er dich tragen kann“, erwiderte Juli.
„Natürlich! Er ist Heimdalls Gefährte!“, erinnerte Thor. Er zuckte mit den Augenbrauen.
Juli lachte. „Das lasse ich gelten. Wenn er ihn tragen kann, schafft er jeden.“
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