„Odin hat mich nicht rausgeworfen , er hat mich nach Hause gehen lassen“, korrigierte Thea. Sie biss die Zähne zusammen. Sie wollte nicht mit Loki reden und doch musste sie verhindern, dass er sich davonstahl. Wo blieben nur Wal-Freya und die anderen?
Gelangweilt hob Loki die Augenbrauen und zuckte mit der Schulter. „Wenn du das glaubst.“
Endlich meldete sich die Walküre: „Es gibt Schwierigkeiten. Halte ihn irgendwie auf. Ich komme so schnell ich kann. Thor und Juli sind sicher schon auf dem Weg!“
Thea reckte das Kinn. „Du brauchst gar nicht so gönnerhaft zu tun. Du bist kein Stück besser als er! Du hast gelogen! Du sagtest mir, du hättest mit alldem, was in Midgard passiert sei, nichts zu tun gehabt!“
Loki hob stirnrunzelnd den Finger an den Mund. „Konkretisiere das.“
„Mit den Unruhen, dem Krieg! Du sagtest, du hättest nichts dafür tun müssen.“
Er lachte. „Hast du zu viel Sekt getrunken? Wovon sprichst du?“
„Tu nicht so! Du weißt genau, worüber ich spreche“, knirschte Thea. „Ragnarök, du hast gesagt, alles sei ohne dein Zutun geschehen.“
„So. Habe ich das? Wann soll das gewesen sein.“
Thea presste die Lippen zusammen. „Vor ... einer Weile“, knirschte sie.
Er tippte mehrmals den Finger auf die Augenbraue, ehe er ihn in einer Idee neben den Kopf hob. „Aaaah! Du meinst dereinst vor einer Weile“, sagte er. Nun zog er die Nase kraus. „Das mit der Zukunft ist eine komplizierte Sache geworden. Vorherbestimmtes ist ausnahmslos durcheinandergeraten. Alles liegt in einem dichten Nebel.“
„An wem das wohl liegen mag“, presste Thea verbittert heraus.
In überspielter Bekümmertheit legte Loki die Hand auf die Brust. „Wohl kaum an mir, ich versuche nur, mich den Gegebenheiten anzupassen. Gudrid, die tote Seherin aus der Wikingersiedlung in Hel ... Erinnerst du dich? Du hast sie kurz kennengelernt. Sie rennt seit deinem Ausflug nach Wanaheim völlig außer sich durch die Gassen. Dabei ruft sie immerzu, sie würde nichts mehr sehen. Verstehst du? Nichts! Nicht einmal eine andere Zukunft. Sie sieht einfach nichts. Wüsste niemand, dass sie ohnehin verrückt ist, könnte man denken, sie habe den Verstand verloren.“
„Das soll deinen Einfluss, den du auf den Präsidenten genommen hast, rechtfertigen? Ich glaube nicht, dass du heute anders handelst als ... einmal.“
Loki lachte. „Wer weiß das schon. Vielleicht ja, vielleicht nein. Knifflig, nicht wahr? Du hast so ein Wirrwarr angerichtet, dass es beinahe Spaß macht. Leider spuckst du mir permanent in die Suppe, was mich wenig amüsiert.“
Sein Blick durchbohrte sie, doch Thea empfand keine Furcht, nur Wut. „Oooh, jetzt bin ich ganz traurig“, entgegnete sie verbittert.
Der Feuergott wedelte mit der Hand, als wolle er eine Fliege verjagen. „Sei’s drum! Der alten Zeiten wegen gebe ich dir noch eine Chance, es wieder zu richten. Als wir uns das letzte Mal in Wanaheim begegneten, sagtest du, ich hätte die Welt in Brand gesetzt. Das lässt mir keine Ruhe. Was geschah, geschehen wird, hat augenscheinlich nicht meinen Plänen entsprochen ...“
„Wie schade!“, knirschte Thea.
Er verengte die Augen. „Mich dünkt, dass du damit zu tun hast“, wieder winkte er ab, „... hattest ... haben wirst.“ Er lachte. „Ach, du machst mein Dasein so viel interessanter. Nun ... wenn ich sagte, ich hatte mit was auch immer nichts zu tun gehabt, dann mag es so gewesen sein. Doch nun haben sich die Gegebenheiten geändert, es müssen neue Pläne geschmiedet werden. Alles ist anders und kann jetzt anders sein. Midgard ist so ein heißer Ort.“ Erneut lachte er. „Also, noch nicht, aber bald, wenn man deinen Worten vertrauen darf.“
Thea biss die Zähne zusammen. Zu offensichtlich versuchte er, etwas von ihr über die Zukunft zu erfahren. Sie würde ihm nicht in die Falle tappen.
Loki zuckte mit den Schultern. „Wie auch immer. Ich verzeihe dir und bin bereit, dir ein Angebot zu machen.“
„Ach, wirklich? Wie großzügig“, erwiderte Thea. „Leider ist mir das völlig egal, denn ich glaube dir kein Wort mehr und ich vergebe dir niemals. Ich werde dafür sorgen, dass du für deine Taten bezahlst! Tom ist tot und das ist dein Verschulden!“
Seufzend rollte Loki die Augen. „Tom, Tom, Tom ... Diese Platte hat einen Sprung oder wie pflegt ihr hier in Midgard zu sagen? Ach nein, das ist ja längst veraltet.“ Er löste sich und trat an sie heran. „Hast du schon einmal über deine Beteiligung an seinem Unglück nachgedacht?“
Energisch stieß Thea den Feuergott zurück. Erzürnt schob sie die Augenbrauen zusammen. „Verschwinde!“
Er lachte und packte ihre Handgelenke. Erfolglos rang Thea darum, seinem Griff zu entkommen. Sie bändigte die aufschäumende Wut in den geballten Fäusten.
„Hast du deine Walkürenfreundinnen gefragt, ob sie das Schlachtenglück in Odins Willen gesteuert haben? Es wäre nicht zum ersten Mal gewesen, dass sie dies tun. Jeder Blinde konnte sehen, dass Odin sein Interesse auf den Jungen gerichtet hat!“
„Ich lasse mich nie wieder von dir beeinflussen!“, knirschte Thea. Abermals drehte sie sich im Griff des Feuergottes, doch er ließ nicht von ihr ab. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich auf Fehu und die Triskele um ihren Hals. Sie hatte den Zauber so oft gewirkt, es musste ihr doch gelingen, ihn ohne Staub und Rune zu wirken. Nichts geschah. Wütend öffnete sie die Augen. „Versuche erst gar nicht, dich rauszureden und anderen die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben. Ich war dabei, Loki. Es war die Tat deiner Schergen! Du hättest sie nur zurückhalten müssen, doch du hast keinen Finger gekrümmt.“
Ein leichtes Zucken seiner Augenbrauen ließ Thea verstummen. Sie durfte sich nicht verleiten lassen, ihm diese Dinge zu erzählen. Ihr Wissen um die Geschehnisse in der Zukunft war der einzige Trumpf, den sie ihm gegenüber hatte. Schwungvoll zerrte sie ein weiteres Mal an seinem Griff und diesmal riss sie sich los. Rasch langte sie in das Handtäschchen mit den Beuteln und warf das Pulver. Noch während Loki den Staub protestierend verjagte, malte Thea Fehu hinein und rief den magischen Befehl, der den Feuergott gegen die Wand krachen ließ. Kichernd sank er zusammen. Dann rappelte er sich auf und sprang zum Fenster. Kurzerhand öffnete er es.
Thea reckte das Kinn. „Willst du schon gehen?“, fragte sie mit dem Blick zur Öffnung.
Grinsend zuckte Loki mit der Schulter. „Reine Vorsichtsmaßnahme.“
„Sie werden gleich da sein“, erwiderte Thea.
„Du vertraust den falschen Göttern“, zischte Loki. „Odin wird niemals Frieden über Midgard bringen! Er liebt den Kampf!“
Thea schnaubte höhnisch. „Aber du tust es! Loki bringt Frieden!“
Der Feuergott lachte. „Vielleicht?“
Thea ballte die Fäuste. „Wohl kaum!“
„Ach nein? Wo ist denn dein Tom? Ich kann ihn nirgendwo entdecken. Was tun deine geliebten Götter für ihn und dich? Wenn sie Thea Helmken so lieb haben, wie sie vorgeben, warum geben sie dir den Jungen nicht zurück? Du bist doch auch hier! Sie haben die Macht dazu! Aber es schert sie einen Dreck. Wieso nur, Liebes? Du denkst, ich spiele mit dir? Mit deinen Gefühlen? Keiner von ihnen wird einen Finger in dieser Sache für dich krümmen. War es nicht so, dass er nie ein Einherjer sein wollte? Unter welcher Begründung halten die Götter ihn in Asgard fest? Aus Angst vor Hels Bestrafung? Oder steckt nicht mehr dahinter? Sie sind es, deren Absichten du hinterfragen solltest! Ich würde einiges für dich und Tom bewegen oder hast du vergessen, wer meine Tochter ist? Ich sagte dir, dass Sessrumnir nicht sein letzter Aufenthaltsort sein muss!“
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