Lachend öffnete Thor die Zimmertür. „Was sollte ich damit? Ich habe einen Wagen.“ Er wartete, bis Juli auf den Flur getreten war und verabschiedete sich.
„Hoffentlich geht das gut“, scherzte die Walküre, als die Tür ins Schloss fiel. Sie senkte Theas Kinn, um ihr Werk zu begutachten.
„Wahrscheinlich biegen sie zum Buffet ab“, raunte Thea.
„Dann mache ich beide einen Kopf kürzer.“ Wal-Freya lächelte. „So! Fertig. Ich hoffe, du fühlst dich auch ohne das Albenkettenhemd sicher.“
„Wenn alles normal verläuft, werden die Anwesenden nicht sehr viele Waffen bei sich tragen“, scherzte Thea.
Wal-Freya stand auf. „Wahrscheinlich nicht. Hast du deine Pulver verstaut?“
Thea nahm die Handtasche vom Tischchen. In Gedanken an den Ball begann ihr Herz zu pochen. Seltsamerweise machte es ihr mehr Angst, sich in eine Villa voller Menschen einzuschleichen, als in ein Totenreich einzudringen. „Alle, die hineingepasst haben“, antwortete sie.
Wieder einmal schien die Wanin Theas Gedanken zu lesen, denn sie lächelte ihr aufmunternd zu und sagte: „Es dient nur der Sicherheit. Wir werden nichts tun, das uns enttarnt.“
Nervös rieb sich Thea die Hände und stand auf. „Natürlich.“
Die Wanin legte den Kopf zur Seite. „Was genau beschäftigt dich?“
„Wir begehen ein Verbrechen. Ich werde das Gefühl nicht los, dass ich nie wieder aus dem Knast komme, wenn das schief geht.“
Nun warf Wal-Freya den Kopf in den Nacken. Sie lachte lauthals. Fröhlich legte sie den Arm um Thea und lenkte sie zur Tür. „Wenn wir dich aus dem Turm eines Riesen befreien können, dann sicher auch aus einem italienischen Gefängnis. So wie sich die Lage zurzeit gestaltet, wird dich kein Land nach deiner Flucht hierher ausliefern.“
Thea rollte die Augen. „Bis der zweite Satz kam, war ich beinahe beruhigt.“
„Ich entspanne mich, wenn Thor und Juli sich um das Auto gekümmert haben und nicht vorher in den Essenssaal abgebogen sind.“
Sie wartete, bis ihr Schützling an ihr vorbeigelaufen war und schloss die Tür. In ihren Pumps überragte die Wanin Thea noch mehr als sonst. Sie liefen über den Flur und nahmen den Aufzug zur Lobby. Dort lehnten Thor und Juli an der Wand. Beide griffen abwechselnd in eine Tüte Gummibärchen. Als sie ihre Freundin erblickte, winkte Juli mit einem Schlüssel. Ohne Vorwarnung warf sie ihr diesen zu.
Geschickt fing Thea den Gegenstand auf und drehte ihn prüfend in der Hand. „Was ist das für eine Marke?“
Hörbar zog Juli Luft zwischen den Zähnen ein, ehe sie verkündete. „Ein Maserati.“
„Ein Maserati?“, wiederholte Thea fassungslos.
Thor zuckte mit den Schultern. „Um diese Zeit einen Mietwagen zu bekommen, war ein Problem. Wir haben jetzt das Auto von einem Gast.“
„Was?“
Wal-Freya hob verdutzt die Brauen. „Wie habt ihr das geschafft?“
Juli grinste. „Thor hat ihm zwölf goldene Ringe geboten, wenn er uns seinen Wagen für diesen Abend leiht. Zudem hat er meinen Führerschein als Sicherheit erhalten.“ Der Donnergott hob das Kinn. „Eine weitere Bedingung von ihm war, dass wir damit kein Verbrechen begehen dürfen.“ Er lachte. „Loki zu entführen, wird jedenfalls keines sein.“
Thea verzog den Mund. „Das liegt wohl im Auge des Betrachters.“
Thor verschränkte die Arme. „Hier zählt nur unser Blick. Komm! Der Typ sagte, die Kiste steht direkt vor der Tür. Ich kann es kaum erwarten.“
Er setzte sich an die Spitze und führte die Gruppe nach draußen. Thea drückte auf den Schlüssel. Rechts des Eingangs, hinter einigen Pflanzenkübeln, leuchteten die Blinklichter eines schwarzen Sportwagens auf. Thea glaubte ihren Augen kaum. Blitzblank geputzt spiegelten dunkler Lack und Chrom den Geldwert des Luxusschlittens wider.
„Den kann ich niemals fahren!“, stieß Thea aus.
„Warum? Was ist mit ihm?“, fragte Thor.
Juli gab ihrer Freundin einen Knuff. „Stell dich nicht so an, du wirst schon keine Beule reinsemmeln.“
„Und was, wenn doch! Fahr du!“, schnappte Thea.
Juli deutete mit dem Daumen hinter ihre Schulter. „Bereits vergessen? Mein Führerschein ist das Pfand für diese Leihgabe.“
„Das hast du wirklich schlau angestellt“, murrte Thea.
Sorglos öffnete Wal-Freya eine der Türen und hockte sich auf die Rückbank. „Jetzt komm schon! Die fahren sich doch alle gleich.“
Thea grinste. „Sie kosten aber nicht alle ein Vermögen.“
„Ach was!“ Die Walküre winkte ab. „Thor hat genug Ringe dabei! Davon abgesehen wirst du dich hüten, einen Unfall mit dem Ding zu bauen, solange ich darin sitze.“
„Du verstehst es wirklich, einem Mut zu machen“, schnaufte Thea.
„Wenn deine Fylgja entspannt ist, bin ich es auch“, erwiderte Wal-Freya.
Unter dem Gelächter ihrer Freunde stieg Thea ein. Juli nahm hinter dem Fahrersitz Platz und tippte die Adresse in ihr Handy. Während Thea Sitzhöhe und Spiegel einstellte, machte es sich Thor auf dem Beifahrersitz bequem.
„Oh mein Gott, oh mein Gott“, wisperte Thea aufgeregt.
„Wir sind beide da“, erwiderte Wal-Freya trocken.
Thor umklammerte den Griff oberhalb des Fensters. „Allerdings. Du kannst loslegen.“
Thea sah in sein Gesicht und auf seine Hand. „Hast du etwa Angst?“
„Na ja, ich hoffe, es wird schnell“, antwortete der Donnergott.
Juli lachte. „Dann hätte es sich erledigt mit der Unauffälligkeit.“
Geräuschvoll schaltete Thea in den Rückwärtsgang.
„Bleib ruhig“, sagte Thor. „Einem Dutzend Schneedämonen gegenüberzustehen ist wohl bedeutend schlimmer, als so ein Gefährt zu lenken.“
Eine freundliche Frauenstimme aus Julis Navigationsprogramm gab die Richtung an. Juli deutete nach vorn. „Du musst da lang.“
Thea umklammerte das Lenkrad, fuhr ein Stück rückwärts und steuerte den Wagen unter Julis Anweisungen langsam an Menschen und Polizisten vorbei. Thea hatte keine Augen für die Umgebung. Auf engen, gepflasterten Straßen lenkte sie das Auto zwischen Häuserschluchten voran, bis es sich einige Minuten später auf einer viel befahrenen Hauptstraße parallel des Tibers befand. Vorbei an historischen Gebäuden, Kirchen und Denkmälern fuhr sie schließlich auf eine hügelige Waldlandschaft zu.
Ein Mitteilungston ließ Juli erstaunt ausrufen. „Schau dir das an! Meine Eltern kommen nach Hause. Das ich das noch erleben darf.“
„Im Ernst?“, staunte Thea.
„Sie sorgen sich“, sagte Wal-Freya.
„Das tun sie nie! Die Sache muss gefährlicher sein, als ich dachte.“ Sie lachte und deutete schon wieder nach vorn. „Rechts“, navigierte sie. „Jetzt haben wir es fast geschafft.“
„Auf jeden Fall scheint diese Villa im Grünen zu liegen“, kommentierte Thea, die das Auto nun entlang mehrerer Bäume lenkte, bis zu ihrer Rechten ein Parkplatz auftauchte.
„Da ist ein Schild! Via di Villa Madama “, verkündete Juli.
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