Die Bibel erklärt es mit der Erzählung vom Bau des Turms in Babylon (1. Mo. 11,1-9). Sie wollten die Größten sein, die Klügsten, die technisch Versiertesten, die Schönsten, die Bedeutendsten und vor allem die Mächtigsten. Sie wollten sich einen Namen machen und sein wie Gott. Sie wollten den Himmel stürmen und den Thron des Höchsten besetzen.
Es ist der schon in der Urgeschichte angesprochene Drang des Menschen, wie Gott sein zu wollen, der alles zerstört. Es steckt tief in uns drin, an Gottes Stelle herrschen zu wollen, zu regieren und das eigene Leben – plus wenn möglich auch das von anderen und dieser Welt in die eigene Hand – zu nehmen. Geboren aus dem Zweifel an Gottes Güte, Stärke und Zuverlässigkeit ersetzen wir Menschen den Herrscher der Welt und setzen uns selbst oder einen unserer »Führer« auf Gottes Thron.
So funktioniert Babylon.
Und so funktioniert es eben nicht wirklich. Der Turm, den sie bauen, erscheint ihnen großartig und geradezu göttlich. Tatsächlich ist er lächerlich. »Gott sah herab ...«, heißt es ironisch. Was wir für Macht und Größe halten, ist aus seiner Sicht nichts wert. Im Gegenteil: Der Versuch, für uns selbst göttliche Größe zu erlangen, vernichtet alles. Beziehungen werden zerstört, weil jeder über den anderen herrschen will. Erfolge werden zu Niederlagen, weil wir uns ständig miteinander vergleichen. Technischer Fortschritt erweist sich als Bumerang, weil wir die Konsequenzen nicht bedacht haben. Babylon wird zum Symbol der Verwirrung, Trennung und Zerstörung menschlicher Gemeinschaft.
Babylon steht für jene Sprachwelt, in der wir uns nicht verstehen. Es ist die Welt, in der wir leben. Ob nun Geschichts-, Kultur- oder Entwicklungswissenschaften untersuchen und beschreiben, warum wir Menschen uns nicht verstehen – am Ende läuft es auf das Gleiche hinaus, was wir in der biblischen Geschichte vom Turmbau zu Babylon lesen.
Niemand von uns kann sich dem entziehen. Bis in die kleinsten Einheiten, etwa die Ehe, wird solche Trennung existenziell erfahren. Neid, Machtkämpfe, Eifersucht, Missgunst, Lüge, Größenwahn ... und am Ende Einsamkeit und Trennung – all das kennen und erleben wir ganz wie die Menschen von Babylon.
Mit Reden in Babylon
In diesem Kontext also reden wir von Gott, unserem Glauben und verkünden Jesus Christus. Gut zu wissen! Wir werden nicht automatisch verstanden, sondern vermutlich eher missverstanden. Selbst wenn wir auf Deutsch zu Deutschen und auf Englisch zu Engländern reden, versteht man uns nicht selbstverständlich.
Alle, die mit anderen Menschen über den christlichen Glauben reden, egal ob im persönlichen Gespräch oder durch eine Predigt, haben diese Erfahrung gemacht. Manchmal verstehen die Leute sogar das Gegenteil von dem, was wir sagen. Kein Wunder. Wenn babylonische Regeln unseren Alltag beherrschen, wird dem alles untergeordnet und alles Gehörte mit babylonischen Ohren gehört. Genaugenommen hört niemand zu, weil er sein eigenes Ding macht. Und wenn wir zuhören, dann selektiv. Wir picken uns heraus, was unseren Turm größer macht: Was uns nützt, was uns klüger, glücklicher oder mächtiger macht. »Was habe ich davon?« Danach fragen auch moderne Babylonier. »Was bringt mir das, was du da erzählst?«. »Worin liegt der Zugewinn, der Vorteil, das Besondere, der Kick?«. Wir bauen an unseren Lebenstürmen und vergleichen sie mit anderen. Wehe, wenn wir schlecht abschneiden. Dann zerbricht unser Turm oder wir sabotieren den des Konkurrenten. Und wehe, wenn wir gut abschneiden. Dann fühlen wir uns göttlich und Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall.
Mit Reden in Babylon trägt oft wenig aus. Es hilft den Menschen nicht dabei, ihren Turm zu bauen und sich an Gottes Stelle zu begeben. Im Gegenteil »der Herr fährt hernieder ...« (1. Mo. 1,5). Gott meldet sich zu Wort. Diesem Wort zuzuhören, zeigt mir, wie klein und brüchig meine Türme in Wahrheit sind. Reichtum, Bedeutung, Leistung, Technik, Konsum, Aussehen ... all das wird durch das Evangelium von Jesus Christus relativiert. In Babylon wird folglich solchen Reden nicht gerade gerne zugehört.
Vermutlich ernte ich jetzt Widerspruch.
So schlimm ist es doch gar nicht. Wenn wir uns Mühe geben, verstehen wir uns doch irgendwie. Und manche sind schließlich genau auf meiner Wellenlänge. Mit ihnen verstehe ich mich im Dunkeln.
Stimmt! Zum Glück gibt es auch in Babylon Menschen, die sich miteinander verständigen können. Jene, die doch noch eine Sprache sprechen. Meine Bluts- und Meinungsverwandten. Meine Peergroup, meine Clique und mein Zuhause. Dort habe ich Gleichgesinnte gefunden. Babylon ist dort weniger spür- und sichtbar als »da draußen«.
Wir alle können am ehesten in Kreisen Gleichgesinnter miteinander reden, uns verständigen und dort auch leichter über den Glauben und Gott sprechen.
Zwar geschieht auch, was Jesu erlebt, als er in seiner Heimatstadt Nazareth predigt: »Der Prophet gilt nichts im eigenen Land.« Schmerzlich müssen wir manchmal erleben, dass Babylon bis in unsere engsten Beziehungen hineinreicht und wir weder verstehen noch verstanden werden. In der Regel jedoch vermag »der Prophet« im Nahbereich durchaus den Ton und den Nerv der Leute treffen, weil er sie kennt und ihre Sprache spricht. Er ist einer von ihnen. Er weiß was sie sagen, bevor sie den Mund aufmachen. Er beherrscht ihre Insidersprache weil er genau so redet, so lebt, so glaubt und so handelt wie sie.
Ob hier die Ursachen christlicher Abgeschiedenheit und unserer gemeindlichen Getto-Existenzen liegen? Wir richten uns in einer Nische ein und spüren so etwas weniger von Babylon und der Zerstreuung?
Vielleicht. Vermutlich.
Mit Reden nach Pfingsten
Die Geschichte vom Turmbau in Babylon ist Teil der biblischen Urgeschichte der Menschheit. In großer Weisheit beschreiben die Verfasser von damals die Wirklichkeit, in der sie leben: Die Völker sind zerstreut und verstehen sich nicht.
Jahrtausende später ereignet sich dann das Gegenstück zu Babylon. Pfingsten. Die Menschheit sehnt sich nach Verstehen und Einheit. Propheten und Gottesmänner ringen und sterben im Kampf für Gerechtigkeit, Frieden und Einheit unter den Menschen und mit Gott.
Und plötzlich geschieht genau dies.
Gerade wird noch babylonische Zerstreuung erlebt. Der Mann Gottes wird gekreuzigt. Viele seiner Gefolgsleute rennen in alle Richtungen davon. Sie finden keine Worte mehr. Einige versammeln sich hinter verschlossenen Türen. Nur Worte der Enttäuschung, der Verwirrung und Angst verbinden sie nun noch. Es sind hilflose, negative, traurige und auch wütende und frustrierte Worte, die sie einander sagen – wenn überhaupt noch jemand redet.
Dann plötzlich taucht Jesus wieder auf. Völlig gegen jede Erfahrung und Vernunft spricht er sie an.
»Maria!«. Jesus richtet sein Wort an seine geliebte Jüngerin. Und plötzlich versteht sie (Joh. 20,11-12). Noch findet sie keine eigenen Worte. Doch die junge Frau wird zur Botschafterin des Auferstandenen.
Und dann, am fünfzigsten Tag nach Ostern, geschieht mit Pfingsten etwas völlig Neues mit Wort und Sprache (Apg. 2).
Jetzt wird völlig anders geredet. Eben noch ängstliche Christen bekennen sich nun zu ihrem Glauben. Herrschten eben noch Angst und Verzweiflung, sind es jetzt Worte der Hoffnung, der Zuversicht und der Freude, die von den Jüngern Jesu ausgehen. Hatten sie sich eben noch hinter Türen in Isolation vom Rest der Welt verrammelt und ihre depressiven Gefühle geteilt, teilen sie sich nun aller Welt lautstark mit und verkündigen die Freudenbotschaft vom Sieg über den Tod. Es begann im Haus hinter verschlossenen Türen – aber es zieht sie hinaus auf Straßen und Plätze (V. 1-2).
Sie alle beginnen zu reden und zu predigen (V. 4). Jerusalemer Bürger und Pilger, die zahlreich zum Schawout-Fest in die Stadt gekommen sind, hören den Jüngern zu. Eigentlich feierten sie die Offenbarung der Tora an das Volk Gottes – nun hören sie ein ganz anderes, ein lebendiges Wort.
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