Ist dies gemeint, was Martin Luther mit seiner »Lehre von den zwei Regimenten Gottes« (Zwei-Reiche-Lehre) als göttliches Wirken beschreiben wollte? Gott nutzt auch das Instrument der Politik, die Natur und globale Zusammenhänge für die Durchsetzung seiner Ziele?
Ich denke, Ja und Nein.
»Ja!« Weil Gott in dieser Welt das Sagen hat, mischt er aktiv mit. Es wäre töricht zu meinen, dass die globalen Konzerne, Politiker und (Möchtegern-)Diktatoren und politische oder wirtschaftliche Systeme diese Welt regieren. Irrtum! Gott regiert! Auch die naturwissenschaftlichen Abläufe beim Weltklima oder kosmologische Ereignisse entwickeln sich nicht autonom und durch eine seelenlose Evolution vorherbestimmt. Inmitten all dieser Systeme und jeder globalen Abhängigkeit zieht vielmehr Gott die Strippen. So jedenfalls verstehe ich die Bibel. Er bewahrt seine Welt, er lenkt die Geschichte und er bringt sie ans Ziel. »He’s got the whole world in his hand!« Ich glaube dem alten Spiritual, auch wenn ich angesichts dessen, was vor Augen ist, manchmal zweifle und mir die rationalen Argumente dafür immer wieder ausgehen.
Was hat dies mit dem Reden von Gott zu tun?
Ich denke und rede von Gott nicht als einem hilflosen Befehlsempfänger wirklich mächtiger Personen, Konzerne oder Systeme und Naturgesetze. Ich denke und rede von ihm als dem Herrscher über Himmel und Erde! Und noch einmal: Ich spreche von dem Gott, der sich in Jesus Christus gezeigt hat.
Folglich hat der Kampf und haben Worte gegen Unrecht und Unterdrückung eine echte Chance. Auch das Klima ist noch zu retten, wenn Gott es will. Und der Einsatz für Schwache und Rechtlose macht Sinn. Gott ist auf ihrer Seite. »So ist das nun mal!«, kann und darf kein Argument für Menschen sein, die an Gottes Herrschaft glauben. »So ist es jetzt, ja. Und wir müssen damit klarkommen. Aber so muss es nicht ewig bleiben! Gottes Wille will, kann und wird sich durchsetzen. Dafür erheben wir unsere Stimme!«
»Ja«, Gott herrscht und lässt sich diese Welt nicht aus der Hand nehmen. Wir reden deshalb immer vom Sieg Gottes, ganz im Sinne der Osterbotschaft als Sieg über den Tod!
Vom Missbrauch der Worte
Aber gleichzeitig auch »Nein!« . Gottes Herrschen geschieht nicht mittels Gewalt und Unterwerfung. Worte in Gottes Namen dazu einzusetzen, missbraucht sie. Ich versuche, auch das mit Blick auf die Verkündigung zu aktualisieren:
Mir fällt der Begriff »power evangelism« ein. Gemeint war ursprünglich die Verknüpfung von Wundern (z.B. Heilung) und evangelistischer Predigt. Gott erweist sich als wirksam durch die Predigt seiner Boten, indem er sie mit »Zeichen« wie z.B. Heilungen begleitet. So gesehen sind Erfahrungen, die ich in Indien gemacht habe und wie sie viele Christen aus den Missionsfeldern berichten, so etwas wie »power-evangelism.« Auch in der Bibel kommt dies häufig vor.
Der Begriff wird inzwischen allerdings oft anders gefüllt. »Kraft-Evangelisation« zeichnet sich dann durch starke Worte aus, durch zwingende Rede, Druck und auf Bekehrung und Überwindung der Widerstände ausgelegte Predigt. Von Billy Graham sagt man, er sei »das Maschinengewehr Gottes« gewesen. Ich empfinde das nicht als Kompliment, obwohl dieser amerikanische Evangelist (1918–2018) in großem Segen unzählige Menschen für Christus gewonnen hat. Vermutlich hat er selbst sich auch gegen diesen kriegerischen Begriff abgegrenzt. Gerade in Indien ist mir eine Art der Verkündigung begegnet, die in diese Kategorie passt. Unzählige kleine Kalaschnikows schmettern dort ihre Salven gegen die Köpfe der Hörer oder auch darüber hinweg. Es wird schnell, laut, direkt, erbarmungslos und natürlich immer richtig und bibeltreu zum Glauben aufgefordert.
Das mag etwas anderes sein als die Worte der Diktatoren und Populisten dieser Welt – es folgt jedoch dem gleichen Muster: Ich muss jemanden überwinden. Herrschen heißt Macht ausüben, Druck machen und eben Power (Kraft) ausüben, um die Leute zur Gefolgschaft zu bewegen.
Dieses Missverständnis hat schlimme Konsequenzen. Bezogen auf die Herrschaft des Menschen über diese Erde, hat es uns an den Rand des Abgrunds geführt. Schon im August sind die Ressourcen für ein ganzes Jahr verbraucht. Ab jetzt vertilgen wir die Substanz, die sich nicht erneuert (der »Erdüberlastungstag« 2020 war der 22. August).
Ein viele Jahrhunderte auch christlich und kirchlich vertretenes Missverständnis hat mit dazu beigetragen: »Macht euch die Erde untertan und herrschet ...«, heißt es als Auftrag an den Menschen im ersten Schöpfungsbericht (1. Mo. 1,28). In der Folge wurde Herrschaft als Instrument der Macht verstanden und unser Globus gnadenlos ausgebeutet.
Und die Variante in der Verkündigung?
Sie ist schnell zu identifizieren. Die Begriffe »missionieren«, »predigen« oder »bekehren« werden als Manipulation oder koloniales Machtmittel verstanden. Warum? Weil dies leider oft genug in der Geschichte genauso praktiziert wurde und wird. Das Evangelium wird als Machtinstrument missbraucht. Die Predigt wird zum Machtgewinn oder -erhalt eingesetzt. Man sammelt Gefolgsleute und »seine Truppen«. Leute werden unter Druck gesetzt und gefügig gemacht. Moral und erhobene Zeigefinger beherrschen die Verkündigung. Man muss so oder so leben! Man muss sich »bekehren« und sich selbst verleugnen. Angst wird verbreitet. Die Auslegungshoheit biblischer Texte liegt bei den Amtsträgern, den ordinierten, den geschulten, den bekehrten und den entschiedenen Christen.
Mittelalter? Von wegen. Die Kirchen achten bis heute sehr darauf, dass alles so läuft, wie es ihren Regeln entspricht. » Wir taufen dich ...«? Da hat ein Priester die falsche Formel verwandt und die katholische Taufe war ungültig. »Du musst ...!«, wie oft findet sich solche Rede auch in den liberalsten Predigten? Wie viele Imperative und wie viel Moral verstellen uns den Weg zur froh machenden Botschaft?
Nur die anderen? Nein, auch ich selbst bin in Versuchung, mit Worten Macht auszuüben. Vor allem, wenn ich gut reden und Menschen mit Worten mitreißen kann, sie fessle (passendes Wort!) und sie überzeugen (klingt wie überreden!) kann. Insbesondere als Amtsträger, in meiner Position als Pastor, Referent, Diakon oder Jugendleiter habe ich viele Möglichkeiten, das Wort für meine Zwecke zu missbrauchen und es als Herrschaftsinstrument einzusetzen.
Das dienende Wort
Dabei ist das Wesen des Herrschens im Sinne Jesu ein völlig anderes. »Wer der Größte sein will, der sei euer aller Diener.« (Mk. 10,43-44).
Bezogen auf die Verkündigung bedeutet dies: Wir haben den Menschen (auch) mit unseren Worten zu dienen und sie eben nicht zu beherrschen! Wir verkündigen einen Gott, der dient. Unsere Sprache ist kein Instrument, andere zu überwinden, sie zu regulieren, auf Kurs zu bringen oder bei der Stange zu halten. Sie bleibt vielmehr dem Wohl und der Entfaltung der Menschen verpflichtet.
Wer Sprache in diesem Sinn einsetzt, wird besonders darauf achten, dass er oder sie genau hinhört. Was braucht, was denkt, was will jener Mensch, mit dem ich es da zu tun habe? Wir werden das noch thematisieren. Nicht was ich sagen will wird zum Maß aller Dinge, auch nicht ich selbst und wie ich dastehe – sondern meine Gesprächspartnerinnen und -partner oder meine Hörerinnen und Hörer werden zum Maß meiner Sprache und Verkündigung. Dieser Welt und den Menschen zu dienen hat das Wort Gottes in und mit der Schöpfung die Herrschaft angetreten.
Zwischen Babylon und Pfingsten
Wenn nur die Sprachverwirrung nicht wäre!
»Wir verstehen uns nicht!«, scheint das Grundprogramm menschlicher Beziehungen zu sein. Angefangen bei verschiedenen Sprachen und Dialekten der Völker und Kulturkreise bis hin zu Mann und Frau, Kinder und Eltern, Familie und Nachbarschaft. Ein Riss geht durch diese Welt, nein hunderttausend Risse. Statt aufeinander zu hören, uns zu einigen und gemeinsame Wege zu suchen, gibt es Streit, Trennung und sogar Krieg. Woran das liegt?
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