Nach diesem schrecklichen Krieg, der viel zu viele Opfer gefordert hatte, hatten die Skareth-Lena jeglichen Kontakt zum Festland abgebrochen. Sie brauchten sie sowieso nicht, denn die Inseln konnten autark überleben. Seither hatte nie auch nur einer von ihnen das Festland betreten. Sie waren nicht mal mehr nördlich durch die Sturmfront geflogen, die, neben der wilden See, die Inseln vom Nordkontinent trennte. Aus zwei verbündeten Kontinenten waren Nachbarn geworden, die einander vergessen oder ignoriert hatten.
Bis Kommandant Gaten Nahors Bitte sie erreicht hatte und die harten Auseinandersetzungen im Rat um Zaya begonnen hatten. Dannika war gegen die Mission gewesen, doch Fehr, ihr Drache und Gefährte, seit sie beide Sprösslinge gewesen waren, hatte gemeint, es wäre schon allein den Flug wert. Und wenn sie nicht verhandeln wollte, würde sie wenigstens in die Welt rauskommen. Das hatte Dannika schließlich umgestimmt, denn sie war wirklich schon immer neugierig auf das Festland gewesen. Wie waren die Menschen hier? Wie war das Wetter? Wie war das Land und überhaupt alles, was damit zusammenhing?
Nun war sie hier und hatte schon beim Überflug feststellen müssen, dass es ihre Erwartungen nicht mal kratzte. Das Land war zum größten Teil recht flach und unbewohnt. Ab und zu gab es Städte oder Dörfer, die nicht wirklich schön gebaut waren. Es gab ein paar wenige schöne Wälder und Auen und links und rechts der Flussläufe war alles grün, aber eben nur das. Grün.
Natürlich hatten sie das meiste nur aus weiter Höhe gesehen, denn sie waren stets über den Wolken oder in großem Abstand zum Boden geflogen, damit man sie nicht erkannte. Aber auch auf dem kurzen Ritt zum Treffpunkt war es nicht unbedingt besser geworden. Die Feroth-Lena waren karg und eintönig im Gegensatz zu den Inseln der Skareth-Lena.
Dort gab es sehr viel mehr Wald. Viele Berge und Täler. Um einiges mehr Vegetation und vor allem mehr Farben, nicht nur grüne Bäume und Farne am Boden. Selbst im Geäst wuchsen Pflanzen, die herrlich blühten. Die Fische in den Flüssen schillerten in allen Farben. Die Vögel waren bunt und groß und ihre Gesänge erfüllten an schönen Tagen die Wälder und Weiten. Alles in allem waren die beiden Länder wie schwarz und weiß. Wobei die Skareth-Lena definitiv die weiße Seite war. Viel heller, freundlicher, bunter, lebendiger, einfach erfüllter von allem.
Dannika hatte schon früh Heimweh bekommen, doch Fehr hatte ihr zugesprochen und tröstete sie auch jetzt.
„Ich kann jederzeit zu dir kommen“ , klang seine tiefe, ruhige Stimme in ihrem Geist.
„Ich weiß. Ich hoffe, wir können das hier schnell erledigen“ , antwortete sie und nahm seine tröstende Aura an.
„Sei offen, Ika. Dieser Gaten scheint ein angenehmer Zeitgenosse zu sein. Halte dich an ihn.“
„Denkst du nicht, er tut nur so? Immerhin will er was.“
„Möglich. Aber ihr braucht einen Kontaktmann. Er hat die Bitte gestellt, auch wenn sein König es anwies. Er scheint offen für ein Bündnis zu sein.“
„Was nützt uns denn ein Bündnis? Wie Melli sagt, sie wollen was, aber was sollten wir fordern? Sie würden uns eh nicht unterstützen.“
„Für den Moment, fordere nichts“ , antwortete Fehr schlicht. Seine Stimme war wie immer besonnen. „Hört euch an, was sie wollen. Dann werden wir sehen, was wir tun. Vergiss nicht, wir sind niemandem verpflichtet. Wenn uns nicht gefällt, was sie sagen, gehen wir eben.“
Dannika schmunzelte. „Genau. Wir sagen einfach; Tschüss, winken und fliegen ab.“
Auch Fehr war erheitert. „Genau so.“ Sein Lachen drang als Welle der Belustigung durch ihre Verbindung. „Und nun entspanne dich. Ruf die anderen zur Ordnung und wartet ab.“
„Ja. Du hast recht. Ich danke dir.“
„Immer gern, Ika“ , sagte Fehr und schickte noch eine Welle von Zuneigung zu ihr.
„Ich hab dich auch lieb, Fe.“ Dannika schob die Verbindung in den Hintergrund und wandte sich an ihre Begleiter. „Wir werden abwarten und sehen, was sie genau wollen. Nichts steht festgeschrieben. Wenn sie etwas fordern, können wir es ohne schlechtes Gewissen ablehnen, sollte es uns nicht zusagen. Aber Zaya hat uns gebeten, sie anzuhören, und wir sollten wenigstens das tun.“
Die Gruppe nickte zustimmend, auch wenn keiner von ihnen überhaupt angetan war, hier zu sein. Sie alle waren ausgelost worden, bis auf Dannika. Sie hatte als unh Garda eth Dragoth Gard, als erste Gardistin der Drachengarde, gehen müssen. Jetzt war sie hier und würde auch die Gespräche über sich ergehen lassen.
Wenigstens sehe ich so was von der Welt , dachte sie und seufzte innerlich. Aus dem Hintergrund ihres Geistes kam ein leises Kichern.
Circa eine Stunde später klopfte es leise an Dannikas Tür. Sie rief den Klopfer herein und ein Junge, nicht älter als dreizehn, schob den Kopf durch den Türspalt.
„Komm ruhig rein“, lächelte sie freundlich, denn der Bursche schien verunsichert zu sein. „Was möchtest du denn?“
Er betrat den Raum, blieb aber an der Tür stehen. „Ich ... soll sagen, dass ... also das Essen wird serviert. Und ... Ihr dürft Euch dazugesellen ... also, insofern es Euch beliebt“, stotterte er und hielt den Blick am Boden.
„Es beliebt mir“, antwortete Dannika freundlich. „Vielen Dank, dass du mir Bescheid gesagt hast.“
Der Junge verneigte sich leicht und fügte an: „Ich warte draußen, Lady Dannika.“ Dann wandte er sich um und flüchtete halb aus dem Zimmer.
Dannika verdrehte die Augen. „Lady“ , dachte sie.
„Mir gefällt diese Anrede“ , meinte Fehr. „Sie klingt sehr würdevoll.“
„Ach ja? Es klingt merkwürdig. Außerdem bin ich Gardistin, Generalin der Drachengarde. Und nicht einfach nur eine gehobene Frau.“
„Wenn du diese Anrede wünschst, solltest du ihnen das sagen. Aber tu es in einem angemessenen Ton. Sie könnten es falsch aufnehmen, wenn du es ihnen einfach an den Kopf wirfst. Sie wirken auf mich irgendwie grob. Ihre ganze Aussprache klingt merkwürdig“ , hielt Fehr fest. „Sie betonen die Buchstaben so sehr und sie sprechen so laut.“
Dannika lachte auf. „Stimmt. Erst dachte ich, sie glauben, wir sind taub oder hören schwer, aber sie reden alle so laut. Und irgendwie klingen die Worte härter und rauer. Ich kann mir vorstellen, dass es auf die Dauer in den Ohren wehtut.“
In den Skareth-Lena sprach man nie laut, außer man stritt sich. Und auch wenn beide Länder früher die gleiche Sprache gehabt hatten, unterschied sie sich heute doch enorm. Abgesehen von den vielen verschiedenen Bezeichnungen war Dannika leise, weiche Töne gewohnt. In ihrem Volk hatten alle eine gewisse Ruhe in der Stimmlage.
„So ein ausgeprägter Gegensatz“ , dachte sie. „Und das in nur 350 Jahren.“
„Es wird noch mehr geben. Wir lebten sehr lange nebeneinander her. Die Völker haben sich unterschiedlich entwickelt“ , gab Fehr zu bedenken.
„Stimmt.“
„Spüre ich da etwa Interesse an dem Volk hier?“ , fragte ihr Gefährte amüsiert und Dannika konnte es nicht abstreiten.
Читать дальше