„Kommandant“, meldete der Soldat sich zurück. Gaten machte den Platz frei und der Mann stellte sich erneut auf seine Position. Gaten wandte sich ab und machte sich auf den Weg zu seinen Gemächern. Eine Sitzung des Militärrates stand an und er wollte sich vorher noch mal frisch machen.
Wenig später ließ er sich auf seinen Stuhl am Ratstisch sinken und zog die Papiere heran, die die Männer am Vorabend schon durchgegangen waren. Anders als man erwarten würde, waren es keine Aufstellungen von Soldaten oder sonstiger Militärkram. Tatsächlich waren es Aufzeichnungen der Gelehrten über die Drachenreiter, die einst im Süden gelebt haben sollen. Genau jene, die die Bergläufer schon einmal vertrieben hatten, wie es die Überlieferungen aussagten.
„Gate“, grüßte Leary seinen Freund und setzte sich neben ihn.
„Lord Older“, grüßte er abwesend zurück. Er war in eine Auflistung vertieft, die er in den Händen hielt. Dort standen geschätzte Zahlen, wie viele Drachen es damals gegeben haben soll.
„Du glaubst immer noch, die gibt’s?“, fragte der erste Offizier in seine Gedanken hinein.
„Warum nicht? Die Gelehrten hätten nicht darüber geschrieben, wenn es nicht so wäre“, antwortete Gaten, ohne den Blick von dem Papier zu heben.
„Es war ein Gelehrter und er wurde in den folgenden Jahren für verrückt erklärt.“
„Wie auch immer“, nun schaute er auf und seinen Freund resigniert an. „Wir haben derzeit nicht viel mehr Möglichkeiten, als das hier.“ Er deutete auf das Papier in seinen Händen.
„Also willst du wirklich einen Boten schicken?“, hakte Leary ungläubig nach. „Es könnte vergebens sein.“
„Könnte“, meinte Gaten und fügte an: „Muss es aber nicht.“
Der Rest des Rates traf ein und die Gespräche vom Vorabend wurden wieder aufgenommen. Sivan, der Rüstungsmeister, höhnte die ganze Zeit, was für ein Idiot Gaten doch war, weil er an solche Märchen glaubte. Drachen gab es nicht. Und wenn sie doch mal existiert hatten, wären sie heute sicher ausgestorben. Andernfalls hätte man ja einen sehen müssen. Doch nicht mal die Menschen an der Südküste berichteten von ihnen.
Gaten drückte trotzdem durch, dass eine Gruppe von Delegierten losgeschickt wurde. Sie sollten in den Süden reisen und dort in Erfahrung bringen, wo die Drachen sein konnten. Und wenn es auch nur vage Hinweise gab, sollten sie ihnen nachgehen. Es war ein Schuss ins Blaue, doch Gaten hoffte trotzdem auf irgendeine Art Erfolg.
1
Dragoth-Gard eth Skareth-Lena
Die Tage wurden zu Wochen und die Berichte aus dem Süden immer sporadischer. Bis es ganze Monate dauerte, bis neue Informationen kamen. Der Rat tagte nun seltener und Gaten konzentrierte sich darauf, Soldaten zu werben und auszubilden. Es kamen wenige Neue und viele von denen, die sich meldeten, waren kaum imstande, Kämpfer zu werden. Sie waren zu jung, zu alt oder hatten Gebrechen, die sie zu sehr einschränkten. Gaten gab ihnen trotzdem Aufgaben und ließ sie an der Waffe ausbilden, die ihnen am ehesten lag.
Ein Bote rief ihn und er unterbrach seinen Übungskampf mit Leary. „Kommandant Nahor. Ich habe einen Brief für Euch.“ Der Junge übergab das Schriftstück, verneigte sich und lief gleich wieder davon.
Gaten öffnete das Papier und lass stumm die beiden Sätze, die darauf standen.
In einer Woche werden fünf Reiter von den Sturmlanden erwartet. Die Garde der Drachen lässt ihre Grüße ausrichten.
Gaten starrte das Pergament an, als stünde reines Kauderwelsch auf dem Blatt. Nur langsam begriff er den Sinn.
Leary zog ihm die Nachricht aus der Hand. „Ist jemand gestorben?“, fragte er und las ebenfalls die beiden Zeilen. „Heilige Scheiße“, keuchte er. „Ist das ein Scherz?“ Sein Blick schoss zu Gaten, der ihn nur perplex erwidern konnte.
„Ich hab keine Ahnung“, schaffte er schließlich, zu sagen. War das ein Scherz? War die Nachricht echt?
Das Siegel war sein eigenes. Er hatte es den Delegierten mitgegeben, damit sie in seinem Namen verhandeln konnten. Aber konnten sie wirklich erfolgreich gewesen sein?
„Heilige Scheiße“, kam es erneut und noch immer ungläubig von Leary. „Gate, wir müssen zum König! Du musst ihm das sagen! Wenn diese Garde wirklich kommt, müssen wir dafür sorgen, dass sie uns freundlich gesonnen sind und es auch bleiben!“
Gaten nickte und fasste sich endlich. „Ich gehe sofort. Übernimmst du den Rat?“
Leary nickte, gab den Brief zurück und eilte davon. Gaten selbst zögerte, weil er nicht wusste, wie er dem König sagen sollte, dass sein Unterfangen anscheinend doch erfolgreich gewesen war. Dann setzte auch er sich in Bewegung und legte sich Worte zurecht, die der König hoffentlich ernst nehmen würde.
Zwei Wochen darauf standen tatsächliche alle Räte und auch König Reyes höchstpersönlich, mit der gesamten Königsgarde ein Stück weit vor der Stadt. Sie hatten eine kleine Prozession gebildet, um die Garde zu empfangen. Niemand wusste, wie man sie überhaupt empfangen konnte, also hatte man sich auf eine Begrüßung geeinigt, als würde ein hoher Würdenträger des Landes anreisen.
Alle Blicke waren in den Himmel in weite Ferne gerichtet und eine angespannte Stille herrschte. Die Pferde wurden in der Hitze der Sonne unruhig und auch die Männer begannen, in ihren Rüstungen zu schwitzen. Der lange Sommer hielt an und brannte gnadenlos auf der Haut.
Leary schlug Gaten auf den Oberarm und deutete nach vorn. In der Ferne kamen Reiter auf die Stadt zu. Es war nur eine kleine Gruppe, doch sie ritten schnell, wirbelten dabei eine Menge Staub auf, und schon wenige Minuten später erkannte Gaten, dass es fünf waren.
Verwirrt spähte er in den Himmel. „Sind sie das? Wo sind die Drachen?“, fragte er und schaute wieder auf die Reiter.
„Ich hatte gedacht, sie reiten die Flugechsen. Meinst du, das ist die Garde?“, wollte Leary wissen und nickte zu den fünf Reitern.
„Ich weiß nicht. Ich hatte auch gedacht, sie kommen geflogen.“
„Nahor!“, rief Reyes ihn.
Gaten wandte sich zum König „Eure Majestät?“
Der Ausdruck des Königs war nachdenklich. „Wollt Ihr sagen, das seien die sagenumwobenen Drachenreiter?“ Er ruckte mit dem Kopf zu der Gruppe, die nun fast bei ihnen war.
„Ich kann es nicht mit Gewissheit sagen, aber ich denke, das sind sie.“
„Wo sind die Drachen?“, wollte Ace wissen. Er war als Schatzmeister die rechte Hand des Königs und er war ebenfalls kein Freund von Gatens Idee.
„Vielleicht kommen sie noch“, meinte Gaten und zuckte mit den Schultern. „Wir sollten abwarten.“
Die Reiter wurden merklich langsamer und ließen ihre Tiere schließlich austraben, bis sie in gebührlichem Abstand vor der Prozession zum Stehen kamen. Gaten erkannte drei Frauen und zwei Männer. Sie alle waren von schlanker, sichtlich hochgewachsener Statur, trugen Rüstungen aus hellem Metall, das leicht aussah. Bänder aus schwarzem oder buntem Stoff hielten die Teile zusammen. Offensichtlich waren die Farben rangabhängig.
Die Frau an der Spitze war die Einzige, die schwarze Bänder trug. Die beiden anderen hatten blaue, die beiden Männer rote. An Waffen zählte Gaten drei Bogen, die von den Frauen getragen wurden, zwei Schwerter bei den Männern und an ledernen Beinscheiden trugen ausnahmslos alle offensichtlich Dolche. Die fünf wirkten, trotz der Bewaffnung und der Rüstungen, ungeheuer elegant und Gaten überlegte, ob auch sie sich speziell hergerichtet hatten oder ob die leichte Panzerung auf Drachenreiter hinwies. Immerhin mussten die Tiere die Reiter tragen und die mussten auf deren Rücken kämpfen. Mit schweren Metallteilen und unhandlich vielen Waffen ginge das sicher nicht.
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