1 ...6 7 8 10 11 12 ...25 Ich sah wieder nach der Drehtür ... Draußen schienen sich wahrhaftig Menschen anzusammeln, ich sah wohl schon Gespenster ...
Ich muß wirklich, sagte ich. Karla, wir müssen fort!
Sie beantwortete den Blick.
Ich nahm mir nicht die Zeit, das Geld einzustecken. Ich riß den Rehbraunen vom Haken, daß der Aufhänger platzte, im gleichen Käfterchen der Drehtür flüchtete ich mit Karla aus der Bank. Wir liefen hinaus –
Und liefen direkt in die Linse eines Fotoapparates! Licht flammte auf ...
Der Millionär! riefen ein paar. Der lachende Erbe!
Wir liefen über den Markt, es war uns nicht nach Lachen zumute. –
Am nächsten Morgen sahen wir schon unser Bild im Radebuscher Kurier, unserm Heimatblatt. Darunter stand: ›Herr Max Schreyvogel und Gattin, unsere Mitbürger. Bisher einfacher Kontorist des Vira-Versicherungs-Konzerns, jetzt Erbe eines Millionenvermögens und des Rittergutes Gaugarten mit den Vorwerken Trassenheide, Schafstall und Kleinschönchen‹.
Das stand unter dem Bilde, und diese Unterschrift war auch sehr notwendig. Denn ohne sie hätte man glauben können, das Bild eines fliehenden Bankräubers vor sich zu haben: mich bleichgesichtig, ein Bündel Scheine in der einen Hand, über dem Arm den Rehbraunen! Und Karla, die sich wieder einmal nicht recht überlegt hatte, was sie tat, die aus einer Zornstimmung heraus dem Fotografen die Zunge gezeigt hatte –!
Was sie lange, lange schwer bereuen sollte! Denn so ging sie nun durch die Blätter des deutschen Zeitungswaldes, viele Wochen und Monate lang ...
Immer wieder kam uns so ein Bild zu Gesicht – uns und allen, allen andern!
7. Kapitel
Wir trauen uns nicht nach Haus – Steuerobersekretär Vormann als Unke – Blumentüchlein, Sparbuch und Autofahrt
Jetzt waren wir schon so mißtrauisch und verschüchtert, daß wir uns nicht in unsere Mansardenwohnung hinaufwagten. Wir standen, hundertzwanzig Meter entfernt, an der Straßenecke, spähten zu unserm Fenster, meinten, die Mücke nach uns schreien zu hören, und wagten uns doch nicht zu ihr. Denn sicher lagen einer oder drei oder viele auf der Lauer, um uns gehalten trauervoll ihr Beileid auszusprechen, uns anzustarren und zu fotografieren.
Geh du doch rauf! schlug ich Karla vor. Ich bin doch der eigentliche Erbe, und vielleicht kennen sie dich nicht so. Wenn wirklich welche oben sind, tust du so, als wärst du fremd und wolltest zur Mutter Böök.
Und drinnen hör ich die Mücke schreien und gehe nicht zu ihr?! Du hast doch manchmal Ideen, Maxe –! rief Karla empört.
Da sahen wir den Obersekretär vom Steueramt, Herrn Vormann, mit seiner Aktentasche die Straße entlangkommen. Es war ja mittlerweile nach eins geworden und Essenszeit, für uns wie für ihn, wie für die kleine Mücke ...
Karla stürzte sich geradezu auf ihn: Herr Obersekretär, Sie müssen uns einen Gefallen tun! Ja, ich weiß, Sie wollen uns Ihr Beileid aussprechen, das ist schon in Ordnung! Max und ich, wir danken Ihnen. – Aber jetzt gehn Sie bitte für uns rauf in unsere Wohnung, hier ist der Schlüssel, und bringen uns die Mücke herunter ... Aber wenn jemand oben auf uns wartet, sagen Sie nicht, daß wir hier unten stehen ... Unter keinen Umständen, versprechen Sie das! – Und ziehen Sie ihr das rote Mäntelchen an; es hängt am Kleiderhaken neben dem Ofen, und setzen Sie ihr die Rotkäppchenkappe auf, sie muß da auch hängen ... Um die Handschuhe kümmern Sie sich nicht, die stecken in der Tasche vom Mäntelchen, mit den Handschuhfingern kommen Sie als Mann doch nicht zurecht ... Aber vergessen Sie nicht die Taschentücher, zwei Stück, Herr Obersekretär, Mückchen hat solchen Schnupfen! Im dritten Fach von der Kommode, ganz rechts ... Ach ja, und dann die Schuhe –
Bis hierher hatte Herr Obersekretär Vormann den immer hastigeren, atemloseren Redestrom Karlas geduldig über sich hinbrausen lassen. Er hatte sie mit seinen blassen blauen Augen unverwandt angesehen, und sein Gesicht war eitel Aufmerksamkeit gewesen. Jetzt aber, da Karla einen Augenblick Atem schöpfte, um zu überlegen, wo Mückes Schuhchen standen, fragte er ernst: Sie haben also wirklich geerbt?
Na natürlich! rief Karla empört. Sonst würde ich mich schon selber in meine Wohnung trauen!
Herr Vormann nickte, als verstehe er diese Zusammenhänge vollkommen. Jaja, sagte er so traurig-freundlich wie der Vertreter eines Begräbnisinstitutes. Jaja, Sie haben also wirklich geerbt – nun fangen die Sorgen an! Sie sind doch die Universalerben?
Natürlich! rief Karla. Aber wir wollen jetzt gar nichts davon hören. – Die Schuhe, die braunen, hohen, stehen am Herd. Sie sind nämlich gestern naß geworden, Herr Obersekretär –
Und haben Sie auch schon daran gedacht, fuhr Herr Vormann mit einer etwas vorwurfsvollen Stimme fort, als hätten wir uns der schlimmsten Nachlässigkeit schuldig gemacht, daß Sie über eine Million Mark Erbschaftssteuer an das Steueramt werden abführen müssen –?
Er sah uns mit seinen kugelrunden, blaßblauen Augen erwartungsvoll an. Ich weiß noch, daß meine sonst so temperamentvolle Karla vor Schrecken ganz blaß wurde und kein Wort hervorbrachte. Ich aber machte einen Satz, ganz wie vor langer Zeit in der Schule, wenn mein Hintermann Schnoffke mich beim Gedicht-Deklamieren unversehens mit einer Nadel stach, und rief: Über eine Million Mark, die sollen wir zahlen? Das ist doch unmöglich!
Herr Vormann nickte ernst. Doch, sagte er. Schon bei fünfhunderttausend Mark müssen erbende Neffen in der Klasse IV 28 Prozent der Erbmasse abführen. Und da das Vermögen über drei Millionen beträgt, vielleicht sogar vier –
Er hielt inne. Ich versuchte in der Eile auszurechnen, welchen Prozentsatz wir bei drei Millionen ... Aber ich, ein guter Kopfrechner, kam jetzt nicht damit zurecht. In meinem Kopf drehte sich alles, farbige Räder, und wie die beweglichen Schilder in einer Schießbude erschienen schwarze Zahlen: 44 Prozent – 60 Prozent – 97 Prozent – 345 Prozent!!!
Ich sah Karla an. Sie hatte die Lippen so fest aufeinandergepresst, daß sie fast weiß waren. Ihr Mund war nur noch ein Strich.
Aber unermüdlich ging die sanfte, traurige Stimme von Herrn Obersekretär Vormann fort – ich hatte es bis zur Stunde nicht gewußt, was für ein ekelhafter Kerl er war. Ich hatte ihn immer für sehr nett gehalten, besonders sein erleichtertes Singen nach dem Rasieren hatte ich stets gerne gehört. Aber jetzt fing ja überhaupt für mich die Zeit an, wo ich an meinen Mitmenschen nur die dunklen Seiten zu sehen bekam. Der weise Nachlassrichter Herr Schneidewind hatte mich nicht zu Unrecht gewarnt.
Und die Erbschaftssteuer ist noch das wenigste, hörte ich die traurig vorwurfsvolle Stimme von Herrn Vormann fortfahren. Das ist nur eine einmalige Ausgabe. Aber dann die regelmäßigen Lasten! Da ist die Einkommensteuer ... und die Umsatzsteuer ... und die Vermögenssteuer ... und die Hauszinssteuer ... und die Grundsteuer ... und die Grundvermögenssteuer ... und die Bürgersteuer ... und die Kapitalertragssteuer ... und die Kirchensteuer ...
Bei jeder neuen Steuer warf Karla den Kopf ein wenig mehr in den Nacken. Ihre Lippen lösten sich wieder voneinander, in sie und in die Backen kehrte Farbe zurück. Ich muß gestehen, ich fühlte mich völlig zerschmettert von der Lawine, die Herr Vormann auf uns niederstürzen ließ, bei Karla rief sie aber nur den Widerspruchsgeist wach.
Wir danken Ihnen schön, Herr Obersekretär, sagte sie mit streitlustigem Auge, für Ihren hübschen Glückwunsch. Aber bange machen lassen wir uns nicht, was, Maxe? Bisher sind wir mit 178 Mark im Monat ganz gut ausgekommen, und so viel lassen Sie uns doch schließlich von all der Erbschaft, ja, Herr Obersekretär?
Ich atmete auf, Karla hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Es mußte uns nicht Angst werden. Auch Herr Vormann sah vielleicht ein, daß er ein wenig zu weit gegangen war.
Читать дальше