Dabei war der August Böök schon längst kein junger Mensch mehr, er war Mitte der Dreißig, aber nach Ruhe sehnte er sich nicht. Wir hatten ihn dann und wann bei seinen flüchtigen Besuchen in Oma Bööks Stube gesehen, einen großen, wettergegerbten Menschen mit dunklen Augen und dunklem Haar. Nie saß er auch nur eine Minute auf einem Stuhl stille, sondern lief immer auf und ab und erzählte dabei, erzählte immerzu, von Landstraßen, Schlangenbändigern, Gendarmen, jungen Mädchen, Wegen über die verschneiten Alpen nach Italien hinein, erzählte, erzählte ...
Wenn Oma Böök sich allein um diesen Enkel sorgte, so war es seltsam, daß allein dieser Enkel nie etwas von ihr verlangte oder annahm, sondern ihr immer etwas mitbrachte: Stoff zu einem Kleid, oder die hübsche Korallenbrosche, oder auch nur eine Tüte Pfefferkuchenreste aus seiner Bude. Die anderen Kinder und Enkel dachten an die Oma Böök, wenn sie etwas von ihr wollten, es mußte ja nicht immer Geld sein, sie konnte auch bei den Kindern einhüten, wenn die Großen verreisen wollten. Sie konnte auch abwaschen, plätten, beim Schlachten und Einwecken helfen. August aber wollte nie etwas, zu jedem Geburtstag bekam sie pünktlich ihre Karte und zu Weihnachten (mit den Neujahrswünschen gleich mit darauf) auch – aber wegen seiner Ruhelosigkeit sorgte sie sich um ihn!
Und nun sollten wir ihn seßhaft machen!
Seht mal, Kinderchen, wo ihr nun so reich seid, und ich habe überall rumgefragt, ein Automobil habt ihr bestimmt! Wo August doch immer so gerne Chauffeur werden wollte, nur hatte er nie Zeit zur Ausbildung! Aber wenn er dann bei euch Chauffeur wäre, könnte er euch immer spazierenfahren und hätte dabei seine Bewegung und Abwechslung und dabei doch regelmäßiges warmes Essen und festen Lohn pünktlich an jedem Letzten. Und wenn er dann bei euch ist, holt ihr mich mal im Auto ab, der August vorne, und ich mit Karla und der Mücke hinten, und dann besuchen wir dich, Max, draußen in Gaugarten. O Gott, ich bin noch nie in einem Auto gefahren, aber der August wird bestimmt ein guter Fahrer, der hat die Gaben dazu, nicht wahr?
Wir aber machten betretene Gesichter, und zehnmal lieber wäre es mir gewesen, die gute Oma hätte mich um hundert oder auch um vierhundert Mark gebeten: Sieh mal, Oma, wir wissen ja noch gar nicht, wie wir es draußen finden, und wenn es stimmt, daß wir wirklich ein Automobil haben, wird auch schon ein Chauffeur da sein, und den können wir doch nicht einfach fortschicken ...?
Oma Böök sah unsere beiden bedenklichen Gesichter verblüfft an. Was denn, Kinderchen, ihr habt doch geerbt und euch gehört nun alles?
Ja, natürlich, Oma. Aber wir müssen uns doch danach richten, wie wir es vorfinden!
Was denn?! rief sie mit ihrer hellen Altersstimme. Ihr fangt ja schön an! Wenn es euch gehört, da müssen die sich doch nach euch richten! Schon im Sprichwort heißt es: für Geld kann man sogar den Teufel tanzen lassen; und wenn ich nur hundert Mark hätte, ich ließe sie tanzen, alle, alle!
Sie schlug auf den Tisch, sie sah wahrhaftig ganz herrschsüchtig und streitlustig aus, die gute Oma Böök!
Aber ... sagte ich.
Und wenn ihr statt einem zwei Chauffeure haben wollt, dann haben eben zwei Chauffeure da zu sein – dafür habt ihr doch das viele Geld, nicht wahr? Kinder, Kinder, fangt es bloß nicht falsch an! Ihr wollt jetzt wohl alles tun, was die euch sagen?! Und wenn da so einer kommt und sagt: So hat's der Onkel Eduard gemacht – so wollt ihr's wohl auch so machen?!
Ja, gewiß, nein, gewiß nicht, sagte ich. Aber ...
Wozu habt ihr denn all die Last mit dem vielen Geld, wenn ihr nun nicht tut, was ihr lustig seid?! Ich ließe sie tanzen, ich schickte sie, ich ließe sie laufen! Und wenn ich heute auf dem Dach essen wollte und morgen im Keller, sie sollten mir das Essen schon bringen müssen, rauf und runter! Was, Karla –?
Ich sah, wie Karlas Gesicht sich aufhellte, und ich fand eigentlich auch, daß, was Oma Böök sagte, eigentlich ganz vernünftig war. Nicht gerade mit dem Essen im Keller – aber zu ängstigen brauchte ich mich vor all denen eigentlich wirklich nicht, und tun konnte ich wahrhaftig, wozu ich Lust hatte.
Nicht, daß ihr sie schikanieren sollt! sagte die Oma noch. Einen armen Dienstboten schikanieren ist gemein. Ich, als ich noch Magd war, hatte eine Madam, die weckte mich nachts um zwölfe und ließ mich in der Speisekammer die Eier zählen. Und wenn ich dann an ihr Bett kam und sagte: Madam, es sind hundertdreiundsechzig Eier, dann sollten es hundertvierundsechzig sein, und ich mußte manchmal bis zum Morgen zählen. So was ist gemein, weil es nur Schikane ist. Aber was einem Spaß macht ... Ich würde alle Augenblicke, wenn eines eine Arbeit extra gut gemacht hat, ihm was schenken: schwarze Strümpfe oder eine hübsche Schürze. Ich würde wollen, daß alle um mich immer nur lachten und keine Sorge hätten! Und die Mädchen würden ihre Schätze am Sonntag in die Küche einladen dürfen – ich wollte es mir und allen mit meinem Gelde schon vergnügt einrichten!
Sie sah uns mit funkelnden Augen an.
Aber ich habe es auch ohne dies schon vergnügt. Und wenn das nun mit dem August was wird ...
Also versprachen wir es ihr mit dem August, und wir hatten es sogar eingesehen und versprachen es gerne. Wenn ich auch meine heimlichen Bedenken hatte wegen Oma Bööks Art, vergnügten Haushalt zu führen mit ewigen Geschenken und Schätzen in der Küche – darüber war mir doch ein ganzer Seifensieder aufgegangen, daß man für Geld sogar den Teufel tanzen lassen, also alle eigenen Wünsche befriedigen kann. Nun freute ich mich direkt darauf, Schlossherr auf dem adligen Gut Gaugarten mit den Vorwerken Trassenheide, Schafstall und Kleinschönchen zu werden!
11. Kapitel
Der erste Bettelbrief – Es ist zu feucht, um ins Wasser zu gehen – Erbschleichwege des Vetters Friedrich Karl
Wir waren am Morgen zeitig wach, Karla wie ich. Nur die Mücke schlief friedlich fort, ihr verstörten keine Erbträume den Schlaf. Während ich den Ofen heizte und Karla das Frühstück richtete, sprachen wir flüsternd von unseren Träumen.
Karla hatte mit unseres Nachbars Tochter, Fräulein von Kanten, ausreiten sollen, aber nichts anzuziehen gefunden als meine vom Schlamm des Mummelteichs verschmierte Hose.
Ich aber saß mit dem wettergegerbten, dunklen August Böök am Steuer im Auto. Kaum aber fuhren wir, sah ich, es war nicht August, sondern die Oma, die doch keine Ahnung vom Fahren hatte. Ich rief sie erschrocken an, sie aber nickte mir lächelnd zu, und schon fuhren wir einen schrägen Baum hinauf – in die leere Luft. Die Oma nickte und lachte, der Baum wurde immer länger; sie rief mit ihrer hellen Stimme: Jetzt fahren wir eine Ewigkeit, und wenn die Ewigkeit um ist, sind wir beim Onkel Eduard im Himmel ...
Während sie noch so sprach, fing der Baum an, sich zu schütteln. Er schüttelte uns ab, und wir fielen, fielen endlos. Alles wurde schwarz, es wurde mir so schwindlig hinter den geschlossenen Lidern, daß ich die Augen aufmachte. Davon erwachte ich ...
Während wir noch von unseren Träumen sprachen und sie auszulegen suchten, kam ein Rascheln von der Tür her. Wir sahen hin –: unter der Tür erschien eine weiße Kante, rückte auf uns zu, hielt still, schob sich weiter, bekam Schwung – und nun lag da auf unserem frisch gebohnerten Stubenboden ein Brief!
Wir starrten ihn an wie ein Wunder, denn einmal saß außen an der Tür ein Briefkasten mit einem schön in Rundschrift geschriebenen Namenskärtchen darauf, zum andern hatten wir niemanden die Treppe heraufkommen hören. Und unsere alte Holztreppe knarrte doch so, daß sie sogar unter einer Katze geächzt hätte. Zum dritten war es aber doch erst sechs Uhr morgens! Wir standen also und starrten und lauschten – mindestens hätten wir jetzt den Träger des Briefes weggehen hören müssen! Und hörten keinen Laut!
Читать дальше