Und jetzt, seit er mit Tuja und seinen kleinen Söhnen glücklich war, lebte er ohnehin sein eigenes Leben. Und als Hohepriester des Seth hatte er anderes zu tun, als sich um seine Schwester zu kümmern. Ihr begegnete er meist nur beim Essen.
Mit Tuja hatte er ein langes Gespräch geführt, als sie damals aus dem Zimmer seiner Schwester geflohen war. Sie hatte sich über ihre Schwägerin aufgeregt. In ihrem Zustand war dies ohnehin nicht gut. Sie hatte sich in ihr eigenes Zimmer geflüchtet und dort auf ihr Lager geworfen. Sie hatte sich abgewandt, ihr Gesicht in den Händen verborgen und geweint und sich, nachdem sie sich etwas beruhigt hatte, über die Lieblosigkeit ihres Schwiegervaters beklagt. Er hatte sie trösten müssen. Er wusste zwar, dass sie nicht ganz unschuldig war. Mit ihrem Hochmut – sie war schon von ihren Eltern verwöhnt und verzogen worden – verscherzte sie sich die Sympathie nicht nur bei seinen Eltern und der Schwester, sondern am ganzen Hof. Immerhin hatte sie mit gutem Gespür erkannt, dass der kleine Bastard ein hebräisches Kind sein könnte. Darin musste er ihr Recht geben. Aber in die Angelegenheit seiner Schwester wollte er sich auch nicht einmischen und es mit ihr verderben, umso mehr, als er sah, dass sie – wie dies schon immer der Fall war – das Wohlwollen ihres Vaters genoss.
Wenn jetzt solche Gedanken in ihm aufkamen und seine Frau ihm mit ihren Vorwürfen im Ohr lag, verfluchte er den Tag, an dem seine Schwester diesen Moses aus dem Sumpf geholt hatte. Doch diese Gedanken verflogen, schließlich würde er einmal König werden und über ihre Laufbahn und die ihres Bastards bestimmen können.
Jochebed aber war glücklich, dass sie ihren Sohn so lange stillen konnte und sich die Trennung von ihm hinausschob.
Mit Mirjam und Aaron spielte Moses, als wären sie seine Schwester und sein Bruder. Sie waren es ja auch, aber er wusste es nicht. Durfte es nicht wissen. Meriamun und der kleine Ramses hingegen wurden von ihm fern gehalten. Tuja achtete streng darauf, dass sie nie zusammenkamen. Sie hatte sogar schon nachdrücklich gefordert, dass der Balg – sie nannte ihn nie bei seinem Namen –, wenn er größer werde, beim Essen nicht mit ihren Kindern zusammen am Tisch sitzen dürfe.
Wer von den beiden Frauen, die sich am meisten um Moses kümmerten, war nun eigentlich seine Mutter? Noch schien er keinen Unterschied zu machen. Es sei denn, er wusste, dass die eine ihm von ihrer Brust zu trinken gab, was ihn auf eine besondere Weise mit ihr verband, aber die andere liebte er ebenso. Die Nächte verbrachte er bei ihr in ihrem Zimmer, seit ihn Jochebed nicht mehr in der Nacht stillen musste.
Henut-taui lachte und scherzte mit ihm, brachte ihm die ersten Wörter bei und sang ihn in den Schlaf.
Jochebed wusste das und war oft traurig vor dem Einschlafen, wenn sie daran dachte, wie ihr Sohn dem Singen der Prinzessin lauschte, bis ihm die Augen zufielen. Und je länger je mehr dachte sie daran, dass die Zeit kommen werde, da sie ihn nicht mehr stillen könne. Dann würde sie mit Mirjam und Aaron heimkehren müssen in ihre Hütte. Aber Moses müsste sie zurücklassen. Dann könnte sie nicht mehr miterleben, wie er heranwuchs und die Dinge des Lebens kennen lernte. Was würde einmal aus ihm werden? Vielleicht ein Schreiber am Hof des Pharaos?
Sie hoffte, dass es ihr wenigstens vergönnt sein würde, seine Entwicklung aus der Ferne mitverfolgen zu können.
Jetzt aber war sie glücklich, wenigstens einen Teil ihrer Zeit mit Moses verbringen zu dürfen. Am meisten genoss sie es, wenn sie sich beim Stillen ganz mit ihm verbunden fühlte. Sie wusste, das hatte sie der Prinzessin voraus. Henut-taui würde nie diese Muttergefühle empfinden können wie sie in diesen Augenblicken, wenn sein Mund an ihrer Brust sich ansaugte, wenn sie seine ersten Zähnchen spüren konnte. Dieses Glück entschädigte sie für vieles, das sie entbehren musste, und half ihr über die Traurigkeit hinweg, wenn sie wieder an den Abschied denken musste, der unweigerlich einmal kommen würde.
Zwei Ereignisse, von denen Moses allerdings nichts zu spüren bekam, trafen die Königsfamilie noch im selben Jahr. Das erste war ein freudiges: die Geburt von Setis und Tujas Tochter Tia. Alle Erwachsenen der Familie und die höchsten Würdenträger als amtliche Zeugen waren bei der Geburt zugegen. Die Glückwünsche ihrer Schwägerin nahm Tuja, ohne ihr dafür zu danken, mit einem abweisenden Gesichtsausdruck entgegen. Dankbarkeit kannte sie ohnehin nicht, weder für gutmeinende Worte noch für Geschenke. Weshalb sollte sie danken für etwas, das ihr als Gattin des Thronfolgers und als zukünftige Große Königsgemahlin selbstverständlich zustand?
Das zweite Ereignis war hingegen von betrübender Art. Der ältere der beiden Söhne von Seti und Tuja, der noch junge Meriamun, war verunglückt. Henut-taui hatte an diesem schicksalsschweren Tag mit Moses die ersten Gehversuche im Palast unternommen. Sie war mit ihm an der Hand durch die Korridore gegangen und dabei ihrem Neffen begegnet, der gerade eine Treppe zu ihr hinunter stieg. Im selben Augenblick wollte Tuja auf dem oberen Geschoss von ihrem Zimmer in ein anderes gehen, als sie ihren Sohn zu Henut-taui und Moses hinabgehen sah. Mit lauter Stimme rief sie Meriamun zurück, so dass dieser sich erschreckt umsah, den Halt verlor und die Treppe hinunter fiel. Dabei schlug er so unglücklich mit dem Kopf auf die Kante einer Stufe, dass er sofort sein Bewusstsein verlor und noch weitere Stufen hinabpurzelte. Dann blieb er regungslos vor Henut-taui und Moses liegen.
Mit einem Aufschrei sah Tuja, wie der Knabe stürzte. Als er sich nicht mehr erhob, eilte sie die Treppe hinunter, wo sich bereits Henut-taui über den Jungen gebeugt hatte, während sich Moses auf sein Hinterteil hatte fallen lassen. Barsch stieß sie ihre Schwägerin weg, die Moses bei der Hand nahm und sich in eine Ecke verzog, von wo aus sie Tujas vergeblichem Bemühen, den Knaben ins Leben zurückzuholen, zusah.
Tujas Schrei hatte noch andere Zuschauer, vor allem Diener, herbeigelockt, die zuerst stumm dastanden, dann aber, als sie die ganze Tragweite dieses Sturzes erkannten zum Pharao, zu Satre und zu Seti liefen, um ihnen von dem Vorfall zu berichten.
Auch der königliche Arzt war gekommen. Doch niemand konnte helfen. Setis älterer Sohn war tot.
Nachdem auch Tuja das begriffen hatte, wandte sie sich gegen Henut-taui, beschimpfte sie und machte sie für das Unglück verantwortlich.
Die Prinzessin nahm Moses auf den Arm und ging in ihr Zimmer zurück. In den folgenden Tagen ging sie Tuja aus dem Weg. Sie wollte ihre Trauer nicht stören. Wenn ihre Verzweiflung vorbei wäre, dachte sie, würde sich ihr Grimm von selbst wieder legen. Doch auch als die Trauerzeit vorüber und Meriamun bestattet war, ließ Tuja ihre Schwägerin ihren Groll spüren und machte ihr weiterhin versteckte Vorwürfe.
Moses war noch nicht zwei Jahre alt geworden, als im Palast eine Veränderung vorging, die nicht nur die Königsfamilie, sondern auch den ganzen Hofstaat und die Dienerschaft bedrückte.
Pharao Ramses war krank geworden. Heftige Ohrenschmerzen plagten ihn und machten ihn verdrießlich. Die Ärzte salbten sein Ohr und legten ihm Pflaster auf, doch es half wenig. Als nach kurzer Zeit der Besserung die Schmerzen wieder schlimmer wurden und die Umgebung des Pharaos wahrnahm, dass er nicht mehr gut hörte, wurde er unerträglich. Ramses stellte selber fest, dass sein Gehör nachgelassen hatte. Er erboste sich, wenn man zu leise mit ihm sprach. Mit der Zeit aber verdross es ihn zu sehr, immer wieder nachzufragen. Dies schien ihm unter der Würde eines Pharaos zu sein. Aber nun verstand er manches falsch, was ihn dann besonders ärgerte, wenn er seinen Irrtum entdeckte oder noch mehr, wenn es die anderen merkten.
Die Schmerzen im Ohr wurden immer unerträglicher. Ramses bekam Fieber, musste sich ins Bett legen. Aus seinem Ohr floss eine eitrig gelbe Flüssigkeit. Des Nachts konnte er nur auf einer Seite liegen. Sobald er sich auf die andere Seite drehte, wachte er auf vor Schmerzen. Seine Wange war aufgeschwollen und brannte wie Feuer. Als das Fieber ein wenig abgeklungen war und der Leibarzt ihm gestattete, aufzustehen, wagte er sich nicht unter seinen Schreibern und Beratern zu zeigen. Sein linkes Ohr stand ab, und er hatte einen schiefen Hals, so dass er den Kopf nicht mehr gerade halten konnte. Er sah erbärmlich aus. Er zog sich zurück, und es machte ihm Mühe, wenn man ihm Schriftstücke brachte, die er durchsehen und mit dem königlichen Siegel versehen sollte.
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