,Was ist hier passiert? Warum ist es so still? Bin ich auf einmal gelähmt? Was würde Chefinspektor Hopkins in dieser Lage tun? Kann mir denn niemand helfen?’
Die Welt blieb starr und still und stumm.
,Hilfe! Hilfe!’, schrien Patricks Gedanken, warfen die Ärmchen hoch und rannten in Panik durcheinander.
Dann empfand er einen dumpfen Schmerz, als wäre sein Kopf mit dem von jemand anderem zusammengeprallt – allerdings so, als sei dies nicht von außen, sondern innerhalb seines Schädels geschehen.
‚Verzeihung’, ertönte eine inzwischen wohlbekannte Stimme, ‚entschuldige bitte, dass ich hier eindringe, aber -’
‚Was wollen Sie hier drin in meinem Kopf?’
‚Dich zur Vernunft bringen’, entgegnete die Stimme der Fee. ‚Aber dazu – aua!…’
‚Was ist?’
‚Ich hab’ mir das Schienbein gestoßen’, maulte die Stimme. ‚An einem der Grübelbrocken, die deine Gedanken losgetreten haben.’
Patrick war sich nicht einmal bewusst, dass er so etwas besaß. ‚Tut mir leid’, dachte er zur Feenstimme.
‚Kannst du das nicht abstellen?’, keifte diese. ‚Man bricht sich ja alle Knochen in deinem Kopf!’
Patrick bemühte sich, seine Gedanken in verschiedene Ecken seines Gehirns zu schicken, damit sie sich dort eine Weile selbst beschäftigen konnten.
‚Schon besser’, sagte die Stimme der Fee, als die Gedanken sich verzogen und in ihrem Gefolge auch die Grübelbrocken davonkullerten. ‚Du siehst also, dass es keinen Sinn hat, dich zu weigern.’
‚Solange ich Ihre Wünsche nicht erfülle, bleibt diese Erstarrung bestehen?’
‚Genau so ist es.’
‚Hören Sie auf mit diesem faulen Zauber!’
‚Das liegt nicht in meiner Macht’, beschied ihn die Feenstimme. ‚Wer Feenwünschen nicht nachkommen will, wird vom Schicksal bestraft.’
Patrick bekam das starke Gefühl, dass ihm nichts anderes zu tun blieb, als sich alledem zu fügen, was von ihm verlangt wurde.
Und im selben Moment, als er dies beschloss, löste sich die Erstarrung und die Welt um ihn herum war wieder voll Leben und Bewegung. Der Kater putzte seine Pfötchen, als sei rein gar nichts geschehen. Draußen tobte das Fußballspiel. Die Vögel pickten und zwitscherten.
Patrick atmete erlöst auf.
Nun war alles wieder wie vorher.
„Bis auf eins”, griff die Fee diesen seinen Gedanken auf. Patrick vernahm ihre Stimme jetzt wieder über seine Trommelfelle, was ihm wesentlich angenehmer war, als ungebetene Gäste in seinem Kopf zu beherbergen.
„Und zwar?”
„Du hast etwas dazugelernt, oder nicht?”
„Wovon reden Sie?”
„Du weißt jetzt, dass man Feenwünsche nicht zurückweisen kann.”
„Das ist Erpressung!”
Die Fee zuckte die Achseln. „Ich habe mir die Regeln nicht ausgedacht. Du kannst dich ja beim Elfen- und Feenrat beschweren.”
„Klar, ich hab’ ja sonst nichts zu tun.”
„Du hast vollkommen recht”, nahm ihn die Fee beim Wort. „Also, Patrick, bist du bereit?”
„Wenn’s denn sein muss.” Patrick seufzte und schielte zum Fernseher, wo gerade die Ankündigungen der folgenden Sendungen gezeigt wurden. Wie viele wertvolle Filme und Shows würde er verpassen?
„Wie lange bleiben wir denn weg?”, erkundigte er sich.
„Das hängt von dir ab.”
Patricks Augen weiteten sich. „Von mir?”
„Gewiss. Nur von dir und davon, wie schnell du Erfolg hast.”
„Ich verstehe kein Wort!”
„Das macht nichts.”
„Wohin reisen wir überhaupt?”
„Glaubst du, die Antwort würde dir etwas nützen?”
„Aber bestimmt!”
„Sagt dir ‚Zwergonien‘ etwas?”
Patrick blieb ein paar Sekunden lang stumm. „Nein”, gab er dann zu.
„Na siehst du: Die Antwort nützt dir nichts. Also frag nicht länger und komm einfach mit.”
Patrick gab jeden Widerstand auf. „Bringen wir’s hinter uns.”
Er stellte sich neben die Fee und sah sie auffordernd an. Die Fee wirkte zufrieden und befahl: „Gib mir deine Hand!” Patrick gehorchte. „Und jetzt mach das Fenster weit auf!”
Patrick hatte schon die andere Hand am Fensterriegel, als ihm vor seinem inneren Auge seine kleine Schwester erschien, die in seinem Fernsehsessel lümmelte, seine Sendungen anglotzte und, was das Schlimmste war, seine Fernbedienung benutzte und die sorgfältig ausgetüftelte Programmierung dabei heillos durcheinanderbrachte … Kein Horrorfilm hätte furchteinflößender sein können.
„Augenblick!” Patrick entwand sich dem Griff der Feenhand und eilte zum Sessel.
„Was ist denn!”, rief die Fee ungehalten.
Wo war die verflixte Fernbedienung? Da! Halb vergraben in dem Spalt zwischen Sesselpolster und Rückenlehne! Patrick schob Dr. Katz beiseite, der ungnädig maunzte, und zog die Fernbedienung behutsam aus der Sesselritze. Nicht auszudenken, was dem empfindlichen Gerät hätte zustoßen können, wenn sich jemand unfachmännisch in den Sessel gelümmelt hätte! Patrick packte sein Lieblingsspielzeug und schob es sorgfältig in seine Hosentasche.
Die Fee verdrehte die Augen. „Lass doch dieses unnütze Dingsbums liegen!”
„Kommt nicht infrage!” Patrick lief zur Fee und ergriff erneut ihre Hand. „Fenster auf?” Die Fee nickte. Patrick öffnete erst einen, dann den zweiten Fensterflügel.
Die Fee entfaltete erst einen, dann den zweiten ihrer Feenflügel.
Im Fernsehen knallte ein Schuss. Patrick drehte sich um und sah, wie ein Gangster seinen Revolver auf ihn richtete. „Da bist du ja wieder, du Mistkerl!”, rief der Gangster. „Fahr zur Hölle!”
Drei Schüsse knallten. Patrick zählte in Gedanken mit; das hatte er sich angewöhnt, denn oft war es wichtig zu wissen, wie viele Patronen noch in der Trommel waren. Er hätte gern erfahren, wie die Story weiterging, doch die Fee zog ihn energisch mit sich. Traurig winkte er den Gangstern im Fernsehen wie liebgewonnenen Bekannten zu – bevor ihm die Luft wegblieb, weil er an der Hand der Fee durchs Fenster jäh nach draußen gerissen wurde.
„Auf nach Zwergonien!”, jubilierte die Fee, als sie in schwindelnde Höhe zum blauen Sommerhimmel hochsausten und weit unter sich eine Schar von Krähen zurückließen, die ihnen überrascht und bösartig hinterherstarrten.
Die Fee lachte ausgelassen. „Nach Zwergonien! Ins kleinste Land der Welt!”
Das übermütige Gehabe der Märchenfee, an deren Hand er hing, kam ihm seltsam vor, und ihr triumphierender Gesichtsausdruck beunruhigte ihn. Er fragte sich, ob eine Maus, die von einem Habicht weggeschleppt wurde, sich wesentlich anders fühlen würde.
Ich bin ihre Beute, dachte Patrick bestürzt.
Sie rasten dahin und die Luft pfiff an Patricks Ohren vorbei.
„Auf zu neuen Wunscherfüllungen! Zu neuen Stufen und zu neuen Silben!” Und die Fee lachte abermals auf und wiederholte jauchzend: „Auf nach Zwergonien!”
Kapitel 3: Feenflügelfehlflüge
„Nanu?”, sprach die Fee und ließ ihren Blick über das weitausgebreitete Panorama der Wolkenkratzer schweifen.
Patrick fröstelte, denn der Wind hier oben blies schneidend.
„Das ist ja merkwürdig …” Die Fee wirkte nicht zufrieden mit dem Ergebnis ihrer Flugzauberei. „Kann mir jemand erklären, wo wir hier sind?”
Einige bunt gekleidete Touristen hoben ihre Fotoapparate, verloren aber schnell das Interesse, als sie zur Überzeugung gelangten, dass sie es wahrscheinlich nur mit ein paar verrückten Einheimischen zu tun hatten.
Patrick erkannte einige der Hochhäuser. „Das Empire State Building. Rockefeller Center. Hm, das da … vielleicht Woolworth?”
Die Fee sah zerknirscht zu Boden. „Wo sind wir gelandet?”
Patrick lehnte sich über den Rand der Brüstung vor ihm. War das nicht eine riesige Nase dort unter ihnen? „Vermutlich auf der Freiheitsstatue vor New York.”
Читать дальше