Die Zukunft von
Messen, Kongressen und Events
Herzlichen Dank an alle Autorinnen und Autoren, die sich mit leidenschaftlichem Einsatz dem Thema „Zukunft im Veranstaltungsbereich“ gewidmet haben!
April 2021
TFI-Verlagsgesellschaft, Starnberg
Umschlaggestaltung: Ernst M. Becher, München
Titelfoto: Shutterstock
www.tfi-publications.com
Mein Foto wurde an der legendären „Penny Lane“ in Liverpool aufgenommen – am Vortag der letzten European Conference der UFI vor der Pandemie im Mai 2019 in Birmingham. Ich hatte seinerzeit die Messetagung genutzt und einen kleinen Abstecher gemacht. Besucht habe ich eine Stadt, die nach einem wirtschaftlichen Abstieg am Boden lag und sich neu erfinden musste. Das hat geklappt: Längst gilt Liverpool wieder als eine der hipsten Städte im Vereinigten Königreich.
Auch Messen, Kongresse und Events liegen aktuell im Frühling 2021 in Europa danieder. Natürlich hinkt der Vergleich. Denn die Gründe dafür sind nicht ursächlich wirtschaftlicher Art, sondern liegen in Verboten begründet, um das Virus zu bekämpfen. Hinterher, wenn alles vorbei ist, wird vieles genauso sein wie vorher, aber manches anders. Einige Entwicklungen lassen sich nicht zurückdrehen, sondern werden uns in Zukunft weiter begleiten.
Einerseits entsteht daraus die Frage, wie künftige Veranstaltungsformate aussehen werden. Hier spielen die Erwartungshaltungen der Teilnehmer und die digitalen Entwicklungen eine Rolle. Genauso interessant sind die Geschäftsmodelle, sprich, wie ausreichend Geld mit Veranstaltungen verdient werden kann.
Solche Zeiten des Wandels eignen sich gut für Bestandsaufnahmen und den Blick auf neue Perspektiven. Sicher, niemand hat eine Glaskugel auf dem Schreibtisch. Aber der Moment ist günstig, mal die Experten aus der Veranstaltungswirtschaft zu fragen, wie sie die Zukunft sehen. Schließlich beschäftigen sich wohl fast alle in der Branche intensiv damit, wie es weitergehen wird.
28 hochkarätige Autorinnen und Autoren haben sich in 25 Gastbeiträgen geäußert und es ist auf rund 240 Seiten eine spannende Sammlung entstanden – unterteilt in sieben Bereiche: Geschäftsmodelle, Veranstaltungsformate, Digitalisierung, Erwartungen von Zielgruppen, Unternehmensauftritte der Zukunft, Herausforderungen in der Live-Kommunikation und neues Denken. Auch blicken wir nach China, wo die klassische Messe aufgrund hoher Nachfrage weiter Konjunktur hat.
Eines wird dabei deutlich: Die Voraussetzungen für eine florierende Veranstaltungsbranche sind gut. Es gibt viel, auf dem sich eine glänzende Zukunft aufbauen lässt. Und bei allem Negativen hat die Krise einen Vorteil: Sie nimmt ein bisschen vom Druck, auf Bewährtes setzen zu müssen und fördert wirkliche Innovationen.
Digitalisierung und Technologie allein sind kein Selbstzweck. Entscheidend bleibt der Nutzen für die Teilnehmer, nur dann werden sie das jeweilige Format akzeptieren. Umgekehrt liegt darin auch eine große Chance, klassische Angebote umfassend zu erweitern und neue Zielgruppen zu erschließen. Veranstaltungen, die sich so neu erfinden, stärken auch ihren eigentlichen Kern: „Come together“ und „Get back“, um weitere Songs der Fab Four zu bemühen. Nur „Yesterday“ wird dagegen nicht mehr reichen.
Peter Borstel im März 2021
GESCHÄFTSMODELLE
Die „Customer Centricity“ wird deutlich an Bedeutung gewinnen
JOCHEN WITT / DR. GERD WEBER / JWC, Köln
Messeformate verändern sich
Schon seit geraumer Zeit ist festzustellen, dass sich Messen und ihre Formate in Deutschland und Europa verändern. Die Ursachen sind vielfältig; sie liegen unter anderem im veränderten Kostenbewusstsein und Marketingverhalten der Aussteller: Neue Online-Marketingkanäle sind entstanden, die verstärkt Einfluss auf die Budgetierung haben. Viele Unternehmen denken darüber nach, ihre Budgets umzuverteilen und kleiner oder weniger auf Messen präsent zu sein. Ein aktuelles Beispiel liefert die Motorradsparte von BMW, die zukünftig auf eine Beteiligung an den Motorradmessen in Mailand und Köln verzichtet. Trotz nicht erfolgter Messeteilnahme und Konzentration auf das Online-Marketing war das letzte Geschäftsjahr für BMW-Motorrad das zweitbeste in der Geschichte. Nennenswerten Einfluss auf Messebeteiligungen hat zudem der wachsende Trend, Wertschöpfungsketten zu nationalisieren. Die Globalisierung ist rückläufig, das macht insbesondere ein Blick nach China deutlich: Das Land war in den letzten Jahren der maßgebliche Wachstumstreiber für die Weltwirtschaft. Mit der Hinwendung zu einer mehr national und auf heimischen Konsum ausgerichteten Politik wird diese Funktion abnehmen. Die Pandemie hat die zuvor beschriebenen Tendenzen lediglich beschleunigt.
Die rückläufige Globalisierung – verbunden mit den fortbestehenden Reisebeschränkungen oder der Reisezurückhaltung vieler Geschäftsleute wird sich insbesondere auf internationale Messen negativ auswirken. Die Luftfahrtbranche rechnet damit, dass im internationalen Geschäfts-Reiseverkehr das Niveau des Jahres 2019 (wenn überhaupt) erst nach Jahren wieder erreicht wird. Insbesondere bei stark international ausgerichteten Messeveranstaltungen werden Besucherzahlen daher tendenziell abnehmen – mit entsprechenden Folgen für die Ausstellerbeteiligungen. Zudem hat die Pandemie viele Unternehmen in eine Schieflage gebracht, das daraus resultierende verschärfte Kostenbewusstsein wird Einfluss auf die Messebudgets haben. Und: Viele Marktteilnehmer haben festgestellt, dass sich Dinge auch online abwickeln lassen, selbst wenn das physische Treffen dadurch nicht ersetzt wird. Auch wenn viele Aussteller und Besucher sagen “Wir müssen uns wieder persönlich treffen“ geht der Trend zu weniger Fläche pro Aussteller weiter: Stände mit einer Größe von mehreren tausend Quadratmetern werden bis auf wenige Ausnahmen verschwinden.
Der Trend, Ausstellungsflächen zu verkleinern, besteht unseres Erachtens nach schon seit längerem. Nur hat in guten Zeiten vielen Ausstellern oft der Mut gefehlt, diesen Wunsch tatsächlich in die Tat umzusetzen. Dafür gab es nicht zuletzt psychologische Gründe: Ein Fernbleiben oder ein verkleinerter Messeauftritt war mit der Sorge um aufkommende Negativ-Spekulationen verbunden. Jetzt sind die Schutzzäune eingerissen und die Corona-Krise liefert einen begründeten Anlass, um Flächen oder Beteiligungen zu reduzieren.
Und wenn Messen pandemiebedingt zweimal hintereinander nicht stattfinden können, besteht die Gefahr, dass die Teilnahme ganz in Frage gestellt wird. Oder es entwickelt sich eine neue Erkenntnis: Man muss gar nicht auf die Weltleitmesse, um nach China zu exportieren. Vielleicht reicht es aus oder ist es sogar erfolgreicher, wenn die chinesische Tochterfirma vor Ort in China ausstellt. Für die sogenannten Weltleitmessen ergibt sich dadurch ein Gefährdungspotenzial, der Trend geht zu mehr „Kontinentalisierung“ oder Regionalisierung. Neben der Frage nach der Zahl der Aussteller und der Fläche pro Stand werden damit auch die Beteiligungspreise unter Druck kommen: Bei nachlassenden (internationalen) Besucherzahlen sinken Kundennutzen und Zahlungsbereitschaften. Natürlich lassen sich diese Szenarien nicht pauschalisieren, die Auswirkungen werden je nach Branche, Veranstaltungscharakter, Region und Wettbewerb unterschiedlich sein – genauso unterschiedlich wie die zu findenden Antworten.
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